Mit Interesse und leichter Skepsis nahm ich das Angebot des Verlages an.
Der Autor und Regisseur Rolf Sakulowski besuchte 2003 einen zu DDR-Zeiten streng geheimen Platz: das Ausbildungslager Verlorenwasser, in dem polizeiliche Anti-Terroreinheiten trainierten. Diese nannte man Diensteinheit IX und einige Volkspolizei-Bezirksbehörden hatten eine solche, zu Beginn ca. 5-köpfige, später bis zu 30 Mann starke Gruppe.
Nun, zwanzig Jahre nach dem Film, den ich unten verlinke, legt Sakulowski einen Roman zum Thema vor.
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Inhalt: Werner Holland, Mann der ersten Stunde und späterer Leiter der D-IX Potsdam, bekommt 2005 Besuch und einen Auftrag von Alina, einer Russin, die in der Botschaft der Russischen Föderation arbeitet. Während der „Ausführung“ bringt sie ihn zurück in die Vergangenheit und bezichtigt ihn des Mordes an ihrem Bruder Alexej. Der desertierte einst unter Mitnahme seines Sturmgewehres, der üblichen Kalaschnikow, aus einer sowjetischen Kaserne in Jüterbog...
Zum Einsatz kommt auch die Diensteinheit IX. Schon einmal hat Holland erlebt, wie die GSSD (Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland) mit unerlaubt abgängigen Soldaten umging. Daran erinnert er sich während der Fahndung nach Alexej...
Der Roman: Drei Ebenen erzählt Sakulowski in diesem spannenden Roman. Da sind erstens die Geschwister Alina (Lina) und Alexej, die früh ihre Eltern verloren und bei den Großeltern in der Oblast Saratow aufwuchsen. Das innige Verhältnis zeigen die Briefe, die der junge Soldat an seine Schwester schrieb und von denen sie ein Paket erst lange nach der versuchten Flucht 1986 erhält.
Die zweite Ebene zeigt den Aufbau der Diensteinheit und ist mit dem Polizisten Werner Holland verbunden, sie beschreibt das Training, Einsatz und die privaten, familiären Verhältnisse. Hierbei erzählt der Autor am Beispiel der Russischlehrerin Christiane, wie sich Kontakte zwischen Angehörigen der Sowjetarmee und DDR-Bürgern und Institutionen darstellten. Am deutlichsten wurde das zum Beispiel in Schulen.
Die Diensteinheiten IX entstanden, ähnlich wie die GSG 9 des damaligen Bundesgrenzschutzes (Bundespolizei), in Folge des Münchener Attentats 1972, als ein palästinensisches Terrorkommando Teile der israelischen Olympiamannschaft in Geiselhaft nahm, einige ermordete und Gefangene in Israel freipressen wollte.. In Fürstenfeldbruck zu einer Katastrophe kam. In der DDR standen 1973 die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Angesicht des Olympiaattentats hegte man die Befürchtung, dass dies ein weites Feld für Terroranschläge bietet.
Da solche Terroranschläge in diesem Sinne nicht (?) stattfanden, Schwerverbrechen wie Banküberfälle mit Waffengewalt oder Sprengstoff auch eher selten waren, beschränkte sich das Einsatzgeschehen eher auf die Fahndung nach Deserteuren aus der Sowjetarmee (und NVA?).
Dritte Ebene ist das Zusammentreffen des ehemaligen Polizisten Holland, der nun als Privatermittler arbeitet und Alina, die denkt, Holland hätte Alexej bei der Festnahme erschossen.
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Das Buch: Sakulowski hat einen spannenden Roman geschrieben, den der Verlag als „Eindrücklich, spannungsvoll und bildgewaltig“ bezeichnet, was ich in Bezug auf dei „Bilder“ etwas übertrieben ansehe. Ansonsten hat er vor allem realistische Bilder gezeichnet, dass betrifft zum Beispiel den Umgang, den Sprachgebrauch im „bewaffneten Organ“ Volkspolizei, insbesondere im Spezialkommando Diensteinheit IX. Er verfällt allerdings dem Schema, die höheren Offiziere, den Leiter der Volkspolizei-Bezirksbehörde (Generalleutnant) und den Leiter dessen politischen Abteilung (Oberst), als unangenehme Figuren zu zeichnen, eine Ausnahme ist der ehemalige Leiter der Diensteinheit, welcher Holland einst rekrutierte.
Das eine Zusammenarbeit solcher geheimer Einheiten gerade für die Abwehr terroristischer Angriffe mit dem Ministerium für Staatssicherheit obligatorisch war, ist eher verständlich, auch hier sind handelnde Figuren eher machtbesessen und charakterlich unangenehm, als vielleicht auch mal, beispielsweise, pragmatisch (?).
Gut gefallen hat mir der Teil, der sich mit Christiane Holland beschäftigt, diese Bilder hab ich als „gelernter DDR-Bürger“ vor Augen. Dazu gehört, dass sich auf dieser Ebene durchaus Bekanntschaften und Freundschaften zu sowjetischen Offizieren und deren Familien bildeten.
Der „Rest“ ist Roman, der sich gut lesen lies und den ich mal wieder in kürzester Frist regelrecht duchgeschmökert habe, was natürlich für ihn spricht. Mal schauen, was Sakulowski noch so geschrieben hat.
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Rolf Sakulowski traf ich während der Leipziger Messe am Stand des Emons: - Verlages. Über eine Stunde sprachen wir über die Recherche zu diesem Thema und darüber, was der Autor alles erlebt hat bei den Spezialeinsatzkommandos. Damit bestätigte er, was der Roman vermuten lies: da hat sich einer tief mit diesen Kommandos beschäftigt. Er hat die Männer kennengelernt, über die er schrieb.
Es ging dann auch um die aktuelle Situation der Ausbildung bei der Polizei, die Gewinnung von Nachwuchs, um Rechtsextremismus in der Polizei und um das Fach Politische Bildung / Staats- und Verfassungsrecht. Meine nicht unbedingt umfassenden Einblicke in die Problematik fand Rolf Sakulowski selbst interessant.
Die im Anschluss verlinkten beiden Filme des Autors zum Thema eignen sich zur Vertiefung der Thematik. In diesen werden ehemalige Angehörige interviewt. Allerdings würde ich sie für die Zeit nach der Lektüre empfehlen. Laut Wikipedia gab es auch die 9. Volkspolizei-Kompanie der VP-Bereitschaften, deren Einsätze dem Chef des Stabes des MdI (Ministerium des Innern) vorbehalten waren. Die Diensteinheiten IX waren bei den Bezirksbehörden (BDVP) disloziiert.
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar..
Das unsichtbare Kommando Teil 1
Das unsichtbare Kommando Teil 2
© Bücherjunge (02.05.2023)
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