Montag, 27. März 2023

Du Bois, W.E.B.: Along the color line

 Eine Reise durch Deutschland 1936

Eine Empfehlung in Form einer Kurzvorstellung des Buches durch einen Historiker auf einem bekannten Social-Media-Kanal lies es mich erwerben. Es ging im weitesten Sinne um Faschismus und Nationalsozialismus. 

Das ein schwarzer Historiker, Soziologe und Bürgerrechtler 1936 nach Deutschland reist und dort als Kritiker des amerikanischen Rassismus das Leben in der NS-Diktatur beobachtete, war mir neu. Allerdings wurden diese Kolumnen für den „Pittsburgh Courier“ in den USA durch C.H. Beck erstmals 2022 auf Deutsch herausgegeben.



Zum Inhalt: 

Im Pittsburgh Courier erschienen die Kolumnen im Forum für Fakten und Meinungen. Das hier vor uns liegende Buch ist zwar mit dem Titel Along the color Line – Eine Reise durch Deutschland 1936 überschrieben, im Inhalt geht sich aber nicht nur um das Deutschland des Jahres 1936. Auch sind die Texte, die während der Reise entstanden, nicht von vornherein „entlang der Farbenlinie“ geschrieben, der Autor betrachtet Europa und insbesondere das nationalsozialistische Deutschland aber oft entlang dieser color Line.

Dies bedeutet, er vergleicht den Umgang mit den „People of Color“, wie das heute oft formuliert wird, in Europa mit den USA. Selbst verblüfft ist der Autor des Öfteren, wenn er feststellt, dass er in London, Brüssel, Paris, ja selbst in Berlin als das wahrgenommen wird, was er ist, als Journalist und Soziologe aus den USA. Eine Bedingung dafür macht er aus: Manieren:

„Will man als Gentleman behandelt werden, sind Manieren unerlässlich. In Amerika haben wir unsere guten Manieren verloren – Weiße ebenso wie Schwarze. Wir schieben und schubsen, wir schreien und prahlen, wir bitten niemanden um Erlaubnis oder um Entschuldigung und viele von uns sehen darin einen Ausdruck von von Männlichkeit und Unabhängigkeit.“ ( Seite 21)

1936: Natürlich geht es um die Olympischen Spiele und um die Wahrnehmung der Deutschen während dieser Wochen. Du Bois schreibt über den „Eindruck, den die Olympischen Spiele und farbige Sportler auf Deutschland und Europa gemacht haben.“. Einerseits sieht man Schwarze in den USA als derart unterprivilegiert, dass schon der Umstand, dass schwarze Sportler international starten, erstaunt. Außerdem beobachtet der Autor unterschiedliche Verhaltensweisen in verschiedenen Ländern:

„Es ist recht verbreitet in Frankreich, schwarze Menschen als Franzosen zu betrachten. In England ist dergleichen nicht so üblich. Man sieht Farbige, doch sie  gelten als ‚colonials‘.“ (Seite 49)



The Pitsburgh Courier 8. August 1936 Titelseite
Buch, Seite 25


Während der Spiele hätten deutsche Zeitungen den schwarzen Sportlern, allen voran Jesse Owens, besondere Aufmerksamkeit gewidmet und die Tatsache erwähnt, dass „dieser oder jener ein Negro sei,“ Französische Zeitungen hätten auch Fotografien abgedruckt. Owens, so der Eindruck, wäre der beliebteste Athlet der Spiele.

Hier wird das Schreiben „along the color line“  deutlich.


Besonders beeindruckend fand ich die Ausführungen zu drei anderen Themen. Da ist einmal die Begeisterung des Autoren für das Deutsche Museum in München, welches ausführlich über Bergbau, Verkehr, Mathematik und Elektrizität, Klang und Musik ausstellt. Das Thema nimmt mehr als neun Seiten im Buch ein.

Über Pilgerstätten kommt er von Westminster Abbey, Chartres und Reims zu einer völlig anderen: zu Bayreuth und damit zu Richard Wagner, dem er die Kolumnen vom 17. und 31. Oktober widmet. Wagner hat es ihm angetan und neben Ausführungen zum Leben des Komponisten gibt du Bois auch kurze Zusammenfassungen der Opern Die Meistersinger von Nürnberg , Parsifal, Lohengrin und des Der Ring der Nibelungen. Man muss nicht seiner Meinung sein, aber interessant ist es schon, wenn du Bois meint: 

„Die musikalischen Dramen Wagners erzählen vom menschlichen Leben. Wie er es lebte, und kein Mensch, egal ob schwarz oder weiß, kommt darum herum, sie zu kennen, wenn er etwas vom Leben verstehen will.“ (Seite 54)

The Pitsburgh Courier vom 17. Oktober 1936, Seite 13
Beginn der Kolumnen von W.E.B. Du Bois
Buch Seite 44


Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, das für sich gültig zu befinden, es zeugt jedenfalls von du Bois Affinität zu Deutschland, hat er doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Jahre in Heidelberg und Berlin studiert.

Ein dritter interessanter Teil sind die Ausführungen zur Ausbildung in der Industrie. Hier besucht er in Berlin die Berufsschule von SIEMENS, neben der AEG damals führendes europäisches Unternehmen in Maschinenbau und Elektrotechnik.

Von der deutschen „Lehrlingsausbildung“ ist er begeistert und sinniert darüber, ob es sich um „ausbildende Industrie“ oder um „industrielle Ausbildung“ handelt. Erstere läge vor, weil die „Industrie genau weiß, wofür sie die Männer braucht.“ 

Daher geht sie „mit größter Umsicht vor und Fachwissen vor und probiert immer wieder Dinge aus, um das Menschenmaterial auszuwählen, es lange und sorgsam auszubilden und ein Endprodukt hervorzubringen, das in seiner effizienten, feinen, präzisen und regelmäßigen Arbeit weltweit unübertroffen ist.“ (Seite 62)

Die Berufsschule beschreibt er in der Überlegung, dass eine ähnlich zielgerichtete Ausbildung von Schwarzen in den USA deren Chancen in Arbeit und Leben maßgeblich beeinflussen und verbessern könnte.

Du Bois schreibt auch über Rasse und Arbeiterklasse und deren Lebensumstände und bemerkt dabei, dass die Ansichten der damaligen Wissenschaft über Rassen um 1900 bisher berücksichtigt werden mussten. Im Jahr 1936 führt er nun aus, dass es „keine angeborenen, unabänderlichen Unterschiede zwischen  den verschiedenen Menschengruppen gibt.“ (Seite 66)


Als er im Dezember seinen Aufenthalt in Deutschland beendet, wird er gegenüber dem  nationalsozialistischem Staat deutlicher und kündigt dies für die nächsten vier folgenden Briefe / Kolumnen an. Jetzt schreibt er über „Hitler und Deutschland“, darüber, dass er Enthusiasmus beobachtet und keine Opposition im Land erkennt und dass eine „nationalsozialistische Kampagne gegen alle nichtnordischen Rassen geführt [wird], vor allem gegen die Juden. Sie übertrifft an rachsüchtiger Grausamkeit und öffentlicher Herabwürdigung, alles, was ich jemals erlebt habe, und ich habe vieles erlebt.“ (Seite 79)

Der Autor, dem die Rassenschranken im eigenen Land sehr bewusst sind, schreibt dies drei Jahre vor der Reichspogromnacht (1939) und bevor die „Endlösung der Judenfrage“ in der Wannseekonferenz (20.01.1942) auf breiter politischer, staatlicher und wirtschaftlicher Grundlage den letzten und grausamsten Abschnitt des Holocausts einleitete.

Diktatur, Rassenvorurteile und Propaganda werden beschrieben und der Autor geht im Weiteren darauf ein, dass der sich in Vorbereitung befindende Holocaust etwas ist, was „ein amerikanischer Negro nicht verstehen kann.“ Du Bois beweist hier seinen geschärften Blick, seine Darstellungen sind also bereits 1936 sehr prägnant und bereits warnend. 

Zusätzlich beschreibt er die Hitlerdiktatur als „Staatskommunismus“ und vergleicht Deutschland mit der Sowjetunion. 

„Deutschland ist heute neben Russland das größte Beispiel für den marxistischen Staatssozialismus auf der Welt und gibt sich zugleich als das Bollwerk Europas gegen die rote Gefahr aus.! Dies ist das erstaunlichste Schauspiel der neueren Geschichte, und es bedeutet, wenn es irgendwas bedeutet, Hitlers letztlichen Untergang.“ (Seite 100)

Dieser Untergang würde entweder beruhen auf dem Verlust der Daseinsberechtigung des Nationalsozialismus, wenn „Deutschland zu einem zweiten Russland wird“, oder aber auf der Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaft und damit der Nichtumsetzung „ihres sozialistischen Programms.“

Hier irrte der Soziologe und Sozialist, der anscheinend damals schon die heute noch immer wieder erklärte Angst der US-Amerikaner vor sozialistischen Ideen zeigt und das, obwohl zu Hause Präsident Roosevelt mit dem New Deal eine beispiellose Serie von Wirtschafts- und Sozialreformen beschließt und auf den Weg bringt.



Buch Seite: 101


Damit sei der Inhalt der Kolumnen letztlich unzureichend vorgestellt. 


* * *

Das Nachwort. 

Die erstmals auf deutsch gedruckten Kolumnen wurden mit einem Nachwort von Oliver Lubrich versehen. Hier erfahren Leserinnen und Leser die Lebensgeschichte des Autors, der zum Zeitpunkt der Kolumnen bereits auf 68 Lebensjahre zurück blickte.

Du Bois wurde später in der McCarthy Ära verfolgt, trat der kommunistischen Partei (1961) bei, gab die US-Staatsbürgerschaft zurück und starb mit 95 Jahren 1963 in Ghana.

Allein dies zeigt m.E. eine gewisse Widersprüchlichkeit, aber für ihn kam Martin Luther King vielleicht zu spät. Zusätzlich erstaunt, dass du Bois, der dem sowjetischen Staatsmodell so kritisch gegenüberstand, auch Lenin-Friedenspreisträger war. 

Lubrich schreibt, auch das erscheint widersprüchlich, dass du Bois Bismarck bewunderte, aber er studierte auch von 1892-1894 an der Friedrich-Wilhelm- Universität in Berlin. 

1958 erhielt er die Ehrenpromotion der Humboldt-Universität in Berlin-Ost, in der es heute eine Vorlesungsreihe ihm zu Ehren gibt. 


Webseite der Humboldt - Universität
Gedenktafel (Quelle Wikipedia)
Collage von Litterae-Artesque


Im Weiteren widmet sich Lubrich im Detail den 1936 verfassten Kolumnen. Das Nachwort hilft sehr, Blickwinkel und Ausführungen zu verstehen, der alleinige Abdruck der Kolumnen hätte zu Verwirrungen führen können. Zusätzlich beschäftigt er sich mit bestimmten Verdrängungsmechanismen, die Du Bois der Diskriminierung der eigenen Person gegenüber entgegensetzt.

Lubrich bezeichnet die Überlegungen zu Rassismus und Antisemitismus von Du Bois als „seinerzeit hellsichtig“ und „heute von neuer Dringlichkeit.“

Ilko-Sascha Kowalczuk, von dem die Empfehlung stammt, bemerkte dazu: „Du Bois seziert den Nationalsozialismus und zeigt, was man 1936 sehen konnte, wenn man sehen wollte.“ (4)


Diesen Eindruck möchte ich als Leser durchaus bestätigen und empfehle das Buch weiter – beide Teile: Kolumnen wie Nachwort. 

(Die Rezension hätte viel kürzer aber auch länger sein können.)


  • W.E.B. Du Bois - Wikipedia
    Oliver Lubrich (Professor für Komparatistik an der Universität Bern) - Wikipedia
  • DNB / C.H. Beck / München 2022 / ISBN: 978-3-406-79154-3 / 165 S.


© Der Bücherjunge (31.07.2023)




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.