Kurzmeinung:
EIN LEBEN IN EINSAMKEIT...
"Er war zehn Jahre alt, und er wusste: wenn er nicht erfröre, würde heute sein Leben beginnen. Er wusste es, wie nur ein Kind es wissen kann, auch wenn es falsch sein mag." (S. 9)
Dirk Gieselmann präsentiert in seinem Debüt einen nahezu lyrischen Kurzroman, der ein Leben in Einsamkeit skizziert. Er setzt ein zu dem Zeitpunkt, als der Junge Hans zehn Jahre alt ist und mit seinen Eltern auf eine unbewohnte Insel in einem See flieht - wovor auch immer. Dies bleibt ebenso vage wie die Ortsangaben und die Zeit, zu dem der Roman spielt. Das Zeitempfinden ist einer der Aspekte, die hier sehr bildhaft umschrieben werden:
"Die Zeit verging, kehrte um und verging dann noch einmal. Es kam nicht nur ein Februar, es kamen gleich zwei oder drei. Dann kam ein März und ein weiterer. Dann noch ein Februar. Es war nicht so, dass nichts geschah: Das Nichts geschah, das dunkelweiße Nichts eines nicht endenden Winters." (S. 67)
Hans wächst in einem gleichgültig-lieblosen Umfeld auf, geprägt vom Schweigen der Eltern. Einziger Lichtblick ist sein Freund Kalle, dessen Kindheit aus Angst vor den Eltern und vor gewalttätigen Schulkameraden besteht. Doch Kalle kommt nicht mit auf die Insel, Hans ist nun ganz allein und hat nur den alten Mudi, einen Hund, der schon vor ihnen auf der Insel war. Dennoch fühlt sich Hans nicht unglücklich, da auf der Insel, wo er immer mehr eins mit der Natur sein kann. Wäre da nicht die Schulbehörde, die auf seinen Schulbesuch pocht. Und schließlich der Einsamkeit die Ohnmacht gegenüber Ereignissen und Mitmenschen hinzufügt, das vollkommene Ausgeliefertsein von Willkür und Gewalt. Wie bleibt man Mensch unter derartigen Umständen? Welche Sehnsüchte bleiben da noch?
"Für Hoffnung gilt das Gleiche wie für Süßes: Zu viel davon ist schlecht für Jungen." (S. 115)
Eine düster-melancholische parabelhafte Erzählung zieht einen in ihren Sog, voller beeindruckender Sprachbilder und Metaphern. Märchenhaft-träumerisch fast, dadurch auch seltsam distanziert, nimmt die Geschichte doch gefangen. Ich will nicht vorgeben, alle Bedeutungsebenen entdeckt und verstanden zu haben, allein die lyrische Sprache konnte mich schon begeistern.
"Was auch immer, wer auch immer, warum auch immer: Das sagte der Vater, wenn er nicht wusste, was stattdessen zu sagen gewesen wäre, und auch dann, wenn er es wusste. Er sagte es oft: Es war der Refrain seines Schweigens." (S. 16) "Klang sein Schweigen so wie ihres?" (S. 153 f.).
Eine Erzählung über ein Leben in Einsamkeit. Über das was dann noch bleibt. Überwältigend atmosphärisch, beeindruckend sprachgewaltig. Bitter, düster, traurig - und doch schön und nicht hoffnungslos. Mich konnte der Kurzroman berühren.
Der Roman wird derzeit viel beworben... Unter anderem mit Matthias Brandt für Lesungen...
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