Job und Kind unter einem Hut – die alleinerziehende Sina jongliert damit
seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen Partner Torsten dabei
unterstützt. Und sie haben Ellen, Ende sechzig, die sich für
Nachhaltigkeit einsetzt und das hat, was sich Sinas Sohn Elvis so
wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt dem
sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht preisgibt,
spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine
Patchworkfamilie.
- Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
- Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (25. März 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3257071302
- ISBN-13: 978-3257071306
Die Erzählung hält dem Leser einen
Spiegel vor - oft genug muss man sich beim Lesen fragen: wie hätte ich
gehandelt, was hätte ich gedacht? Schön war es, diesen Roman im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks zu lesen und die Eindrücke der anderen Leser*innen mit den eigenen zu vergleichen. Dem Diogenes Verlag danke ich an dieser Stelle für die Bereitstellung eines Leseexemplars!
LEBENSTHEMEN UND VORURTEILE...
Job und Kind unter einem Hut – die alleinerziehende Sina
jongliert damit seit Jahren. Seit kurzem wird sie von ihrem neuen
Partner Torsten dabei unterstützt. Und sie haben Ellen, Ende sechzig,
die sich für Nachhaltigkeit einsetzt und das hat, was sich Sinas Sohn
Elvis so wünscht: Zeit, Geduld – und einen Hund. Doch dann widerfährt
dem sensiblen Jungen etwas Schlimmes. Da er sein Geheimnis nicht
preisgibt, spinnt sich ein fatales Netz aus Gerüchten um die kleine
Patchworkfamilie.
Bewusst setze ich hier noch einmal den Klappentext voran, der vom Inhalt genug
verrät - ja, fast schon zu viel. Denn er deutet in eine Richtung, die
mich auf der Hut sein ließ beim Lesen, um eben nicht in die Falle von
Gerüchten und Vorurteilen zu tappen, die hier angedeutet wird. Ob das
gelungen ist?
Der erste Leseabschnitt dient vor allem als ausgedehnte Einführung.
Die Charaktere in ihren jeweiligen Lebensumfeldern schälen sich
allmählich heraus, wobei vor allem die beiden Frauen im Zentrum des
Geschehens stehen. Die Autorin bringt die jeweilige Lebenssituation
durch einen steten Perspektivwechsel zwischen der alleinerziehenden
Mutter Sina und der Rentnerin Ellen zum Ausdruck.
Der achtjährige Elvis erhält dabei keine eigene Perspektive, sondern
wird aus der Außensicht von seiner Mutter bzw. von Ellen geschildert,
die ihm Nachhilfe erteilt und einen Teil seiner Ferienbetreuung
übernimmt. Der Leser erfährt von Elvis allein aus den Beobachtungen und
Gedanken der beiden Frauen über ihn. Das beinhaltet natürlich auch eine
Interpretationsebene, die im Verlauf noch eine gewichtige Rolle spielt.
Um den Charakteren Tiefe zu verleihen, lässt die Autorin bewusst eine
große Anzahl an Themen einfließen, die den Personen ein Profil
verleihlt. So lebt die alleinerziehende Mutter Sina mit Anfang 30 in
einer Wohnung in München, die sie sich aufgrund der Staffelmiete kaum
noch leisten kann. Ohne großes soziales Netz hat sie Mühe, den Spagat
zwischen aufreibendem Beruf ohne feste Arbeitszeiten und dem, was sie in
ihrer Rolle als Mutter auch an eigenen Ansprüchen hat, zu schaffen.
Geldsorgen, Unzufriedenheit im Beruf, dazu ein neuer Lebenspartner, der
als arbeitsloser trockener Alkoholiker, geschieden und Vater zweier
eigener Söhne, auch sein eigenes Päckchen zu tragen hat - da kommt
einiges zusammen. Sina hangelt sich oft von Tag zu Tag und bemüht sich,
für Elvis stets eine geeignete Betreuungsmöglichkeit zu finden. Nicht
immer kann sie dabei Rücksicht darauf nehmen, was ihr Sohn gerne möchte.
Ellen ist mit ihren 68 Jahren noch recht rüstig. Auch ihr sind
Geldsorgen nicht unbekannt, und so verdient sie sich zu ihrer
bescheidenen Rente durch das Austragen von Zeitungen und durch
Nachhilfeunterricht noch ein Zubrot dazu. Auch Elvis lernt sie kennen,
als er als Nachhilfeschüler zu ihr kommt. Um die Empfehlung zum
Gymnasium zu schaffen, müssen sich die Noten bessern. Die Rückblenden
bezeugen, dass Ellen ein reiches Leben geführt hat, erfüllt von Liebe zu
ihrem früh verstorbenen Mann und ihren beiden Söhnen, die beide weit
weg wohnen. Ein gewisses Maß an Einsamkeit hat sich längst als ständiger
Begleiter eingestellt, auch wenn Freunde und vor allem ihr treuer Hund
diese immer wieder aufweichen. Aber Gedanken, was sie in ihrem Alter
überhaupt noch vom Leben zu erwarten hat, kommen Ellen immer wieder.
Elvis ist ein ruhiger, oft introvertiert wirkender Junge, der bei
Ellen allmählich aufzutauen beginnt, was auch an ihrem Hund liegt. Immer
wieder wird deutlich, dass Elvis versucht, auf seine überlastete Mutter
Rücksicht zu nehmen und Entscheidungen zu akzeptieren, die ihm
teilweise nicht sonderlich gefallen. Sein leiblicher Vater, ein
erfolgreicher Anwalt, hält Vereinbarungen oft nicht ein und lässt Elvis
stattdessen Geld oder Geschenke zukommen, die das wieder gut machen
sollen. Zum neuen Lebenspartner seiner Mutter bekommt der Junge nur
langsam Kontakt. Seine Nachhilfelehrerin Ellen lässt Elvis an ihrer
Lebenserfahrung und ihren Einstellungen teilhaben. So entwickelt der
Junge allmählich ein Umweltbewusstsein sowie ein Gespür für
Nachhaltigkeit, was seine Mutter z.T. nervt, weil Elvis sie
beispielsweise auffordert, beim Einkaufen eine Stofftasche statt einer
Plastiktüte zu verwenden.
Ich schildere die drei Charaktere hier so detailliert, weil genau das
auch im Roman geschieht. Zwar habe ich verstanden, dass all diese
Details dazu beitragen, das Profil der Personen herauszuarbeiten, doch
gab es hier für meinen Geschmack doch zu viele Themen. Dadurch gerät die
Erzählung in die Gefahr des Sichverzettelns, weil dabei nicht allen
Themen das Gewicht zugestanden werden kann, das diese verdient hätten.
Letztlich kann dabei gar eine Botschaft vermittelt werden, die so
vermutlich nicht angedacht war. Näher ausführen kann ich das nicht ohne
zu spoilern, aber das war ein Faktor, der für mich nicht stimmig war und
mich störte.
Das Hauptthema: der Umgang mit vorschnellen Urteilen und
Meinungsbildungen ist in jedem Fall ein wichtiges. Die Autorin hält
dabei auch dem Leser den Spiegel vor - tatsächlich fragte ich mich
während der Lektüre immer wieder, was ich wohl gedacht, wie ich wohl
gehandelt hätte. Diesen Denkanstoß fand ich sehr positiv. Auch der
Schreibstil hat mir gefallen: leise und unaufgeregt, dabei süffig und
bildhaft. Viele Szenen waren von Dialogen geprägt, was der an sich oft
handlungsarmen Situation eine angenehme Lebendigkeit gab.
Alles in allem ein gut zu lesender Roman, wenn auch für meinen Geschmack
ein wenig zu überfrachtet mit den diversen Themen, die dadurch trotz
teilweise immenser Bedeutung für einzelne Charaktere schnell achtlos
fallen gelassen wurden. Zusammen mit dem etwas konstruiert wirkenden
Ende sorgte dieser Kritikpunkt für einen Abzug in der Wertung. Insgesamt
bin ich aber neugierig geworden auf weitere Romane der Autorin...
© Parden
Martina Borger, 1956 geboren, arbeitete als Journalistin, Dramaturgin
und Filmkritikerin, bevor sie sich aufs Drehbuchschreiben verlegte. Sie
hat bei mehreren Serien als Storylinerin und Chefautorin gearbeitet.
Gemeinsam mit Maria Elisabeth Straub veröffentlichte sie zwischen 2001
und 2009 Romane unter dem Label ›Borger & Straub‹. Ohne Co-Autorin
erschien 2007 ihr Roman ›Lieber Luca‹. Martina Borger lebt in München.
Nicht ein einziger kleiner Hinweis auf das Geheimnis?
AntwortenLöschen