Samstag, 22. Juni 2019

Vance, J.D.: Hillbilly Elegie

Was ist das: Ein Hillbilly? Laut Wikipedia ist das die abfällige Bezeichnung für die eher arme Bevölkerung in ländlichen und bergigen Gebieten der USA wie den Appalachen. Hillbilly bedeutet „Hinterwäldler“, oder „Landei“.


Der Begriff taucht um 1900 wohl erstmalig auf. Demnach sei im New York Journal der „Hill-Billie“ als freier und unverbogener weißer Bürger Alabamas beschrieben worden, „der in den Bergen lebt, nicht groß was zu sagen hat, sich so anzieht, wie er es vermag, spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, Whiskey trinkt, wenn er welchen bekommt und nach Lust und Laune durch die Gegend ballert.“ Dies hat ein gewisser Anthony Harkins in  Hillbilly: A Cultural History of an American Icon geschrieben. [1]


Auf J.D. Vance und seine Hillbilly – Elegie stieß ich über die Recherchen zu Tara Westovers BEFREIT. Deren Autobiografie erzählt ihre Geschichte, in der sie 17jährig erstmals ein Klassenzimmer besucht und 10 Jahre später in Cambridge promoviert.
Dem Hillbilly J.D. Vance muss das gefallen haben, dessen Leben zwar völlig anders und doch ähnlich verläuft.


Geboren wird er in 1984 in Middletown wo er auch aufwächst. Die Familie ist weit verzweigt und gehört zu der „weißen Arbeiterklasse“ in den Appalachen und deren Ausläufern. Seine Familienverhältnisse sind wahrhaft zerrüttet, die Mutter verliert ihre Lizenz als Krankenschwester wegen ihrer Drogenprobleme, außerdem hat sie ständig neue „Väter“ für ihren Sohn und seine sechs Jahre ältere Schwester Lindsay parat. Er erlebt den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg in der Gegend mit und schreibt dazu: 

„Ich war eines dieser Kinder mit einer trostlosen Zukunft. Ich hätte mich beinahe der tiefsitzenden Wut und Verbitterung ergeben, die alle in meinem Umfeld erfasst hatte. Das ist meine Lebensgeschichte, und das ist der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Die Leute sollen wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich fast schon aufgegeben hat, und warum es tatsächlich soweit kommen kann.“ (Seite 9/10)

Vance meint, dass er in seinem Leben nichts Bedeutendes erreicht hat. „...auf jeden Fall nichts, was rechtfertigen würde, dass ein vollkommen fremder Mensch Geld ausgibt, um darüber zu lesen.“ (Seite 8)
























Das „Bedeutende“ was er meint, ist ein Jura-Studium an der Yale – University und dies erscheint einzigartig in der „Tradition“ der Familie, auf die die oben angegebene Beschreibung passt. Man sollte sie allerdings nach der Lektüre ergänzen, um die unbedingte Aufrechterhaltung der Ehre der Familie: wer Eltern oder Großeltern beleidigt, der darf sich auf körperliche Züchtigung unbedingt einstellen. „Intensive Loyalität und eine leidenschaftliche Hingabe an Familie und Nation“, zählt Vance zu den guten Eigenschaften. Armut ist Familientradition. Diese wird durch die Verlagerung von traditionellen Arbeitsplätzen nach Asien verstärkt, der Region geht es also immer schlechter. Die Menschen dort bezeichnet er als „Ulster – Schotten“. Genau die im 18. und 19. Jahrhundert nach Amerika emigrierten armen Schotten und Iren bildetet ja die Arbeiterschicht, wurden Polizisten oder Feuerwehrleute.

Die Großeltern ziehen von Jackson, einer Kleinstadt mit ca. 6000 Einwohnern nach Middletown, „Papaw“ hat dort die Möglichkeit sich als Stahlarbeiter einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten. Das Haus von „Mamaw“ und „Papaw“ wird zum Dreh und Angelpunkt des jungen Vance. Trotzdem geht vieles schief, auch dem Großvater gelingt es nicht vollständig aus dem ehemaligen Milieu auszubrechen, auch er verfällt teilweise dem Alkohol, zieht aus und doch bleiben die Großeltern einander verbunden. Trotzdem lernt er von der Großmutter, deren Ausdrucksweise legendär erscheint, dass er nur mit Bildung etwas erreichen wird. Vance schreibt es dann auch explizit der Großmutter zu, dass er diesen Um- und Zuständen entkommen konnte. Während des Studiums hat er trotzdem Schwierigkeiten Problemlösungen verschiedenster Art mit anderen zu besprechen, ursprünglich klärte man Probleme halt unter sich, die gingen andere nichts an.

Wir kennen die Bilder amerikanischen Pathos´, die Paraden, die Ehrung gefallener Soldaten, die Hand auf der Brust, während die Hymne gespielt wird und Vance gibt es unumwunden zu: Ja er ist ein Patriot aus ärmsten Verhältnissen, der sofort bereit ist, sein Land auch zu verteidigen. Zu den US-Marines geht er aus letztlich zwei Gründen: Da ist dieser Patriotismus für das großartigste Land der Welt, aber da ist auch der junge Mann, der sich noch nicht richtig traut, den erfolgversprechenden Bildungsweg unmittelbar nach der Highschool sofort einzuschlagen. In den USA werden Veteranen besonders gefördert. [2] Er absolviert das Collage an der Columbus University Ohio und studiert weiter an der genannten Elite-Universität.

Vance erklärt, warum die Abgehängten, die Erfolglosen, ursprünglich der demokratischen Partei nahestehenden Hillbillys zu den Republikanern abwandern und maßgeblich am Wahlerfolg des jetzigen US-Präsidenten beteiligt sind. America First – das gefällt ihnen, die mit dem intellektuellen und charismatischen schwarzen Vorgänger nicht so richtig was anfangen können oder konnten, Barack Obama ist ihnen suspekt.

Der Autor vermeidet dabei die Klischees, bzw. hängt er ihnen gar nicht an, sowohl dem von der Tellerwäscher-Mär als auch dem vom Verständnis für die armen Schichten. In der WELT wurde beschrieben, dass man Verständnis nicht entwickeln, aber diese Lebensweise, Lebensart und deren Bedingungen verstehen muss. Das gelingt zum Beispiel durch das Lesen dieser Elegie. [3]

* * *

Vor uns liegt ein faszinierendes Buch. Es dauert, bis man so halbwegs versteht, was J.D. Vance uns hier darlegen will. Man hat als Leser immer irgendwie im Kopf, dass er es doch geschafft hat, was hat er denn bloß? Mir kommen immer Bilder aus einem Film in den Kopf, in dem ein Kriegsheimkehrer ein junges Mädchen aus einer solch armen Bergarbeitersiedlung in Kentucky führt und aus der dann die Loretta Lynn wird, eine der bekanntesten Country-Sängerinnen – Nashville Lady. Da der Film auf der Autobiografie der Sängerin  beruht, erkennen wir hier Analogien zwischen den Geschichten, vergleicht man die gezeigten bzw. beschriebenen Lebensweisen.

Es ist ein eindringliches Buch, nicht das es nun besonders nachdenklich macht, aber der Einblick, den es gewährt, ist ein ungewohnter. Die Nachwirkungen der Sklaverei, die Rassendiskriminierung bis weit in das 20. Jahrhundert sind vielen bekannt, weniger schon die Bedingungen unter denen die indigenen Völker, die Indianer in ihren Reservationen leben. Aber die hier, die Hillbillys, die werden etwas verdeckt von der allgemeinen oberflächlichen Sicht aud das Land, welches trotzdem als reichstes Land der Erde gilt.



J.D. Vance schrieb zu einem hier vor kurzem besprochenen Buch » Befreit wirft ein Licht auf einen Teil unseres Landes, den wir zu oft übersehen. Tara Westovers eindringliche Erzählung — davon, einen Platz für sich selbst in der Welt zu finden, ohne die Verbindung zu ihrer Familie und ihrer geliebten Heimat zu verlieren — verdient es, weithin gelesen zu werden.« [4]


Die Ausgangssituation war für Tara Westover eine völlig andere, die beruht auf religiösen Fanatismus, für viele von uns allerdings ebenso wenig vorstellbar wie die Lebensweise und Lebensart der Hillbillys. Vance wie Westover haben gemeinsam, dass sie sich, teilweise mit Hilfe anderer Menschen, Zugang zu Bildung, zu einem Universitätsstudium verschafften. Sie schaffen einen Blick auf das moderne Amerika, genauer die Vereinigten Staaten, der, ich erwähnte es schon, zu Beginn unglaublich wirkt, beim zweiten Hinsehen einiges erklärt. America First: Für viele Menschen, von denen wir in beiden Büchern lesen, wird die Politik des momentanen Präsidenten allerdings auch keine Veränderung bewirken.



© Der Bücherjunge (31.01.2022)


Quellen:


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5 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Und mir gefällt, dass ein ausgewiesener Kenner amerikanischer Literatur auf diese Rezension aufmerksam geworden ist und sie so einschätzt. Vielen Dank.

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  2. Hallo Uwe,

    viele amerikanische Romane finde ich immer sehr schwer einzuordnen. Befreit bildet da eine große Ausnahme, denn das Buch lässt sich einfach sehr interessant lesen.
    Deine Rezi zu Hillbilly gefällt mir gut und erklärt einiges, was so typisch ist für amerikanisches Denken.

    Es ist überall auf der Weltso, dass die Abgehängten und Erfolglosen ihr Land maßgeblich zum schlechten hin führen, sei es durch eigene Radikalität oder durch unwissende Unterstützung von bestimmten Parteien.

    Liebe Grüße und danke für den Besuch auf meinem Blog!
    Barbara

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  3. Leider scheint der Autor trotz seines familiären und sozialen Hintergrundes, trotz Marine-Engagement und Yale Law auf die Trump-Seite unter den Republikanern abgerutscht zu sein. Was man nicht alles für einen Senatssitz tut. Er hätte wohl mal "ein verheißenes Land" seines Ex-Präsidenten lesen sollen. Hat ihn doch Barack Obama einst so gelobt und empfohlen.

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    1. Stelle fest, Fehler: Barack Obama empfahl "Befreit" von T. Westover, Vance tat dies auch.

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