Fast vier Jahre ist es her, dass ich mein erstes Buch von Alina Bronsky gelesen habe: Baba Dunjas letzte Liebe. In diesem neuen Roman geht es ebenfalls wieder um eine Großmutter - doch diesmal spielt die Erzählung nicht in Tschernobyl, sondern in Deutschland.
"Alles in allem ein kleines, feines Buch - ebenso wie
sein Hauptcharakter leise und ohne Sentimentalität, dennoch mit
melancholischem Unterton und gleichzeitig durchsetzt von
augenzwinkerndem Humor. Eine Mischung, die mir gefallen hat, der ich
allerdings einige Seiten mehr gewünscht hätte." Das schrieb ich damals als Fazit zu Baba Dunja. Nun, diesmal sind es ein paar mehr Seiten geworden. Ob ich deshalb also rundum überzeugt wurde? Lest selbst:
Inhalt: (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)
Kaum jemand kann so böse, so witzig und rasant von eigenwilligen und doch so liebenswerten Charakteren erzählen wie Alina Bronsky: Max’ Großmutter soll früher einmal eine gefeierte Tänzerin gewesen sein. Jahrzehnte später hat sie im Flüchtlingswohnheim ein hart-herzliches Terrorregime errichtet. Wenn sie nicht gerade gegen das deutsche Schulsystem, die deutschen Süßigkeiten oder ihre Mitmenschen und deren Religionen wettert, beschützt sie ihren einzigen Enkel vor dem schädlichen Einfluss der neuen Welt. So bekommt sie erst als Letzte mit, dass ihr Mann sich verliebt hat. Was für andere Familien das Ende wäre, ist für Max und seine Großeltern jedoch erst der Anfang.
Ein
Roman über eine Frau, die versucht, in einer Gesellschaft Fuß zu fassen,
die ihr entgleitet. Über einen Mann, der alles kontrollieren kann außer
seine Gefühle. Über einen Jungen, der durch den Wahnsinn der
Erwachsenen navigiert und zwischen den Welten vermittelt. Und darüber,
wie Patchwork gelingen kann, selbst wenn die Protagonisten von so einem
seltsamen Wort noch nie gehört haben.
BITTERBÖSE, SCHWARZHUMORIG, ZWISCHENMENSCHLICH UND SKURRIL...
Quelle: Pixabay |
Auch
wenn hier aus der Ich-Perspektive von Max erzählt wird, der zu Beginn
knapp sechs Jahre alt ist und im Laufe des Romans der Pubertät entgegen
wächst, gibt es hier unbestritten nur einen Hauptcharakter: die
Großmutter. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber das Wort
'Großmutter' impliziert für mich Attribute wie 'weise', 'gütig',
'freundlich', 'großzügig' oder auch 'verwöhnend'. Nun, auf die
Großmutter in diesem Roman trifft jedenfalls nichts davon zu.
Max
ist zu Beginn des Romans mit seinen Großeltern gerade aus Russland nach
Deutschland gezogen und lebt mit ihnen in einem Wohnheim für
Auswanderer. Die Wohnverhältnisse sind äußerst beengt, der Großvater
wortkarg, die Großmutter dagegen - nicht. Wortreich schwadroniert sie
durch den Tag, hat zu jedem und allem etwas zu sagen - und nichts davon
freundlich. Schimpfend und pöbelnd herrscht sie jeden an, vor allem den
kleinen Max, der ein Idiot, eine Belastung, ein stets vom Tod bedrohtes
Kind sei.
Tatsächlich
behandelt sie ihn zwar barsch, dabei aber übertrieben fürsorglich -
Schokolade, Weißmehl, Kuchen: alles zu gefährlich für den kleinen
Organismus. Stattdessen gibt es zerkochtes, ungewürztes Gemüse, meist auch
noch zu einem faden Brei gestampft. Was klingt als sei es ein Fall für
das Jugendamt, hat mich im Gegenteil köstlich amüsiert. Die
Schilderungen sind vor allem am Anfang des Romans gleichzeitig
haarsträubend und zum Brüllen komisch.
"Die
Worte glitten an mir vorbei, und ich wollte ihnen nicht einmal
hinterherdenken. Doch dann kehrten sie um, wie der Wind manchmal die
Richtung wechselt, und bohrten sich in mein Hirn." (S. 119)
Würde
man sich in die Lage von Max versetzen, müsste man schreiend davon
laufen. Aber Alina Bronsky hat den Ich-Erzähler nicht weinerlich oder
selbstmitleidig veranlagt, sondern eher stoisch wie seinen Großvater,
beobachtend und doch seiner Wege gehend. Er findet im Laufe der Zeit
'Lücken im System', die er zu nutzen weiß - und so erfährt auch Max
schließlich, wie Schokolade schmeckt oder wie es sich anfühlt, Dinge
selbst entscheiden zu können.
Die
kindliche Perspektive verleiht dem Leser zudem gleichzeitig das Gefühl,
stets nah dran zu sein am Geschehen, und tatsächlich nur über eine Art
Halbwissen zu verfügen. Dadurch bleibt die Neugier auf mögliche
Enthüllungen bestehen.
"Warum wehrst du dich eigentlich nie? Gegen niemanden?" - "Ich käme dann zu nichts anderem mehr." (S. 133)
Umstände
und Charaktere verändern sich im Laufe der Zeit, und die Großmutter hat
ihre ganz eigene Art, darauf zu reagieren. Auch wenn die alte Frau alle
Menschen in ihrem Umfeld immer wieder vor den Kopf stößt und versucht,
alles und alle zu kontrollieren, mochte ich sie irgendwie auch in ihrer
schrulligen Art. Ganz allmählich kommen auch andere Facetten zutage,
Ereignisse aus ihrer Vergangenheit, die zum Teil erklären können,
weshalb sie sich so verhält wie sie es nun einmal tut. Dennoch ist sie
keine Figur, die einem leid tut, sondern eine, die das Leben - wenn auch
auf ihre sehr spezielle Art - immer wieder bei den Hörnern packt.
Im
letzten Drittel des Romans lässt sich Alina Bronsky weniger Zeit für
die Erzählung, springt in den Zeiten oft unvermittelt vor, um an
markanten Wendepunkten haltzumachen. Dies mag auf manche Leser
verstörend wirken, mir aber reichte es, da keine wichtige Information
fehlte und schlussendlich - oft auch zwischen den Zeilen - alles gesagt
war.
Die
Tragikomödie namens Leben hat Alina Bronsky in diesem Roman gelungen zur
Schau gestellt - bitterböse, schwarzhumorig, zwischenmenschlich und
skurril. Für mich ein unterhaltsames Leseerlebnis...
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
- Verlag: Kiepenheuer&Witsch (9. Mai 2019)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3462051458
- ISBN-13: 978-3462051452
Informationen zur Autorin: (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)
Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland,
lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland. Ihr Debütroman
»Scherbenpark« wurde zum Bestseller, fürs Kino verfilmt und ist
inzwischen beliebte Lektüre im Deutschunterricht. Es folgten die Romane
»Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche« und »Nenn mich einfach
Superheld«. »Baba Dunjas letzte Liebe« wurde für den Deutschen Buchpreis
2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. Die Rechte an Alina
Bronskys Romanen wurden in zwanzig Länder verkauft. Sie lebt in Berlin.
Momentan lese ich die „Hillbillie - Elegie“ von J.D. Vance. Mein Großmutterbild wandelt sich auch gerade. Genau die richtige Nachfolgelektüre für „Befreit“ von Tara Westover
AntwortenLöschenIch bin gespannt!
LöschenIch war sehr enttäuscht vom Buch. Gerade das, was die Autorin ausgelassen hatte, hätte mich sehr interessiert. Das letzte Drittel ist zu kurz, zu schnell abgehandelt.Die Handlungen und Reaktionen der Protas waren für mich kaum nachvollziehbar. Und der Schluss? Den fand ich nicht rund. Sehr, sehr schade, da die Idee sooo viel Potential hatte!
AntwortenLöschenWenn du Lust hast, komm doch gerne HIER vorbei.
GlG, monerl
Bücher treffen auf Erwartungen - manchmal werden sie erfüllt, ein andermal nicht. Ich verstehe Deine Einwände, teile sie jedoch nicht. So unterschiedlich werden eben auch Romane empfunden... ☺
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