Dieses Buch las ich im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin, und für die Bereitstellung des Leseexemplars durch den Verlag möchte ich mich auch an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken.
Ein Roman, der 2018 für den Man Booker International Prize nominiert war - gehobene Literatur also. Mit Preisträgern oder den Anwärtern solcher Preise habe ich so manchesmal meine Probleme. Ich will schon an dieser Stelle verraten, dass es mir auch diesmal so erging - der Roman drohte, mich in eine ernsthafte Leseflaute zu stürzen. Ich werde versuchen, meine Schwierigkeiten mit dem umfassenden Werk im Folgenden zu erläutern:
Inhalt: (Quelle: Penguin Verlag)
In Lissabon, einer der schönsten Städte der Welt, kreuzen sich zwei Lebenswege: James Earl Ray, der als Attentäter von Martin Luther King Schlagzeilen machte, ist auf der Flucht vor der Polizei. Und der passionierte Spaziergänger Antonio Muñoz Molina, der dreißig Jahre später dort an einem seiner wichtigsten Romane arbeitet, auf der Suche nach sich selbst und seinem Schreiben. Die Stadt am Atlantik wird zum Umschlagplatz von Leben, Geschichte und Literatur. Durchzogen von der vibrierenden Atmosphäre Lissabons und klugen Reflexionen über das Schreiben, klingt »Schwindende Schatten« wie ein guter Jazzsong, wie eine Mischung aus absoluter Kontrolle und Improvisation, aus Leichtigkeit und Tiefe.
VON LEICHTIGKEIT KEINE SPUR...
Lissabon am Tejo - Quelle: Pixabay |
Verspricht dieser Klappentext nicht ein ganz besonderes
Leseerlebnis? Zumal dieser Roman 2018 für den Man Booker International
Prize nominiert war, zeitgenössische Literatur, komponiert wie ein
Jazzsong - was würde mich da erwarten?
"Ich
liebte den Jazz (...) Ich liebte die Musik als solche und auch als
ethisches und ästhetisches Modell für das Verfassen von Literatur, ihre
Mischung aus Disziplin und Hingabe, aus virtuosem technischem Können und
absoluter Kontrolle, aus gleichermaßen Improvisation und Verzückung,
Leichtigkeit und Tiefe, Tempo und Verzögerung. So sollte das klingen,
was ich schrieb, mit mächtigem Anfangsschub und ohne zu wissen, wohin es
ging, manchmal gradlinig und andere Male auf Umwegen, auf denen ich
mich zu verlaufen drohte und dann doch unerwartete Schätze fand." (S.
95)
Es
fängt schon damit an, dass es mir schwerfällt zu schildern, worum es in
diesem Roman eigentlich geht. Denn hier wird nicht nur eine Geschichte
erzählt, sondern wenigstens zwei verschiedene, nebeneinandergestellt,
abwechselnd in getrennten Kapiteln, ohne wirklichen Bezug zueinander,
lediglich die portugisische Stadt Lissabon als verbindendes Glied.
James Earl Ray |
Dreißig Jahre später war Antonio
Muñoz Molina selbst das erste Mal in Lissabon, für drei Tage, die er
exzessiv auskostete, um möglichst viele Eindrücke für seinen damaligen
Roman zu sammeln. Später folgten weitere Besuche, und stets waren es
diese Besuche, die ihn aus dem Alltag katapultierten und gleichzeitig
ein Stück weiter zu sich hin führten, zu dem, was er wirklich sein
wollte.
"Unter
seiner stillen Oberfläche bestand mein Dasein aus einer wahllosen
Aneinanderreihung bruchstückhafter Leben, einem Nichtausleben
frustrierter Sehnsüchte, aus verstreuten Teilen, die nicht
zusammenpassten. Das meiste von dem, was ich tat, berührte mich nicht.
Was ich in meinem Innern war und was mir wirklich etwas bedeutete, blieb
einem Großteil der Menschen um mich herum verborgen..." (S. 42)
Wenn
ich jetzt Sätze wie dieses Zitat lese, ist die Faszination für das
Schreiben des Autors wieder greifbar, die ich zwischenzeitlich durchaus
verspürt habe. Molina zählt sicher nicht ohne Grund zu den wichtigsten
Gegenwartsautoren Spanies, Träger vieler Auszeichnungen. Und den Sätzen
des Romans ist anzumerken, wie sorgfältig an ihnen gefeilt wurde. Leider
sorgten viele andere Faktoren dann dafür, dass diese Faszination bei
mir zunehmend verloren ging und einer allumfassenden Langeweile Platz
machte.
Was man
Molina zugute halten muss, ist seine akribische Recherche - zu allem und
jedem. Jedes Detail von Interesse wurde im Vorfeld ausgiebig von ihm
beleuchtet - und dann ebenso großzügig im Roman positioniert, Themen,
die wie Gedankensprünge daherkommen, oftmals ohne Verbindung zur
eigentlichen Erzählung, einfach weil es dem Autor gerade in den Sinn
kam.
"Der
Roman entsteht aus allem, was ich weiß, aus allem, was ich nicht weiß,
und aus dem Gefühl, mich voranzutasten, ohne je einen exakten
erzählerischen Rahmen zu finden, weil eine Geschichte statt zu einem
Schluss zur nächsten führt, immer wieder neue Verbindungen herstellt,
genau wie die Synapsen unseres Gehirns es tun." (S. 500)
Solcherlei
Informationen finden sich nicht etwa im Nachwort, sondern sind Teil des
Romans - nicht nur das Leben des Autors, seine Begegnungen,
Erkenntnisse, Empfindungen finden hier einen Platz, sondern auch
Einblicke in das Entstehen eines Romans, wie Molina ihn schreibt. Das
mag für manchen Leser von Interesse sein - mich ödete diese für mich
immer mehr zur Nabelschau geratende Selbstdarstellung zunehmend an.
Bleibt die Erzählung um James
Earl Ray, den mutmaßlichen Mörder Martin Luther Kings, gejagt von
hunderten von FBI-Beamten. Anfangs fand ich diese Passagen durchaus
interessant, doch erging sich die Schilderung der Tage in Lissabon in
endlosen Wiederholungen ähnlicher Handlungen und Verhaltensweisen, wobei
die Figur selbst schemenhaft bleibt, die Schilderugen oftmals
unwirklich wie im Traum, die vergehende Zeit ein zähfließendes oder langsam tröpfelndes Konstrukt.
Langeweile
also hinsichtlich beider Handlungsstränge, verstärkt noch durch
stilistische Mittel wie endlosen Aufzählungen oder Schachtelsatzgebilden
von zig Zeilen oder gar einer ganzen (eng bedruckten) Seite. So gibt es
beispielsweise zwei ganze Seiten von wahllos anmutenden Auflistungen
von Werbeanzeigen der sechziger Jahre (S. 256 ff.) oder gar sechs fast
absatzlose Seiten darüber, wo James Earl Ray auf seiner Flucht überall
gesehen wurde, was er dabei trug, wie er aussah, welches Fahrzeug er
fuhr... (ab S. 206). Füllmaterial für den Roman - das war noch das
Schmeichelhafteste, was mir dazu einfiel.
"Alle
waren - das wusste er zu seiner eigenen Schande am besten - aus
hinfälligem Material gemacht, aus dem Lehm und dem Staub der Erde, einer
zerbrechlichen Legierung aus Gold und dem Ton des Töpfers, wie die
Statue aus dem Traum des Königs Nebukadnezar, edelmütig und
niederträchtig zugleich, heute Helden und am Tag darauf feige,
habsüchtig oder unzüchtig, nach außen bescheiden und innerlich
überheblich, von gerechtem Eifer und vom Zorn gegen Unrecht besessene
Propheten, Komödianten oder Schauspieler, die eine Menge begeistern und
zugleich innerlich unbeteiligt sein können, sich mit einem Seitenblick
in den Spiegel vergewissern, das die beabsichtigte Geste gelungen ist,
heimliche Ungläubige, nicht weil ihnen der Glaube abhandengekommen ist,
sondern wegen der schieren Wiederholung der immer gleichen Worte, so
wahr und so notwendig sie auch sein mochten, wegen der rhetorischen
Effekte, die nie ihre Wirkung verfehlten, der tausend Mal erzählten
Witze und der ganzen Routine, die die Nächsten in seiner Umgebung schon
erwarten und voraussagen können, resigniert, zynisch, gelangweilt, Wort
für Wort und Nacht für Nacht, manchmal gar mehrmals am Tag, wie die
Helfer und Techniker, die einen Kandidaten im Wahlkampf umschwirren, ihn
auf Reisen begleiten, aus nächster Nähe beobachten können und
schließlich als peinliche Parodie erleben, eine fuchtelnde, von
hysterischer Energie getriebene Marionette, gepudert und geschminkt für
die Fernsehkameras, schweißgebadet im heißen Licht der Scheinwerfer."
(S. 457 f.)
Ein (!) Satz! Anstrengend? Eben!
Bis
zum Schluss blieb mir die Antwort darauf verwehrt, weshalb diese zwei
Geschichten nebeneinander erzählt wurden. Gab der Stoff um den Mörder
Martin Luther Kings alleine nicht genug her für einen Roman? Fürchtete
der Autor, dass der autobiografische Anteil keine ausreichende
Leserschaft finden würde?
Für
mich war es so jedenfalls nichts Halbes und nichts Ganzes. Der Einblick
in die Geschichte von James Earl Ray war durchaus interessant - hätte
ich nicht die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass der Autor versucht, der
Figur seine Idee davon aufzudrücken, wie diese sich gefühlt und was sie
gedacht haben mag, und damit die Authentizität gleich wieder zu
verwischen.
Als
Fazit bleibt eine bleierne Müdigkeit, eine große Erleichterung, den
Roman endlich zuschlagen zu können, ein Gefühl vertaner Zeit. Das ist
sehr schade, denn das schriftstellerische Können, das ich durchaus
registriert habe, ging so für mich gnadenlos unter.
© Parden
Im Gegensatz zu dem Roman konnte mich diese Dokumentation berühren...
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
- Verlag: Penguin Verlag (25. Februar 2019)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Willi Zurbrüggen
- ISBN-10: 3328600132
- ISBN-13: 978-3328600138
Informationen zum Autor: (Quelle: Verlagsgruppe Randomhouse)
Antonio Muñoz Molina, 1956 im andalusischen Úbeda geboren, zählt zu den
wichtigsten Gegenwartsautoren Spaniens und hat mehr als ein Dutzend
Romane veröffentlicht, darunter „Der polnische Reiter“ (1991), „Die
Augen eines Mörders“ (1997) und „Die Nacht der Erinnerungen“ (2011).
Sein belletristisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, so gleich zwei
Mal mit dem spanischen Staatspreis für Literatur. 1995 wurde er in die
Königlich Spanische Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Muñoz
Molina lebt in Madrid und New York City.
Deine Verisse sind nicht nur länger als die positiven Rezensionen, ich lese diese aber ebenso gern. Vor allem die langen.
AntwortenLöschenBei schlechten Bewertungen habe ich immer das Gefühl, mich erklären zu müssen. Deshalb geraten diese Rezensionen meist länger. Mir tut es auch leid, wenn ein Roman mich so gar nicht trifft - gerne wäre ich zu einem anderen Schluss gekommen.
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