Donnerstag, 27. Juni 2019

Todenhöfer, Jürgen: Die große Heuchelei

Ich habe soeben nachgesehen: Am 22. September 2015 stellte ich die Buchbesprechung zu INSIDE IS – 10 Tage im islamischen Staat von Jürgen Todenhöfer auf unseren Blog. Das dies fast vier Jahre her ist, verwundert mich ein wenig. Im Jahr 2014 besucht Todenhöfer mit seinem Sohn Frederic unter anderem die durch den islamischen Staat eroberte ostirakische Stadt. Im März 2017 sind die beiden erneut in der nunmehr schwer zerstörten Stadt. Im Dezember 2014 sprachen sie dort mit deutschen IS – Kämpfern, jetzt stehen sie vor einem unbekannten Toten. Der IS ist weitestgehend geschlagen.

In der Buchbesprechung begann ich mit einem Hinweis auf eine Talkshow, der Jürgen Todenhöfer mit Peter Scholl – Latour verglich. Nach der Lektüre kann ich sagen, ja, der Stil und die Art dieser „politischen Reisebeschreibung“ erinnern schon sehr an den großen Publizisten, wir werden Todenhöfer vermutlich aber nicht gerecht, wenn wir dies ständig betonen, zumal er eine ganz eigene Art und Weise der Abrechnung mit DER GROSSEN HEUCHELEI des Westens betreibt.



WIE POLITIK UND MEDIEN UNSERE WERTE VERRATEN unterschreibt der Autor sein aktuellstes Buch und dabei geht es beileibe nicht mur um die Politik der USA. In 21 Kapiteln berichtet er über die Politik der westlichen Mächte, über Kriege und deren Ziele und deren Verharmlosung, über die Gegensätze von Kulturen, die Gemeinsamkeiten von Religionen und das nicht nur in den Ländern des mittleren Ostens. Todenhöfer führt uns in den Irak und den Iran, nach Gaza, in den Jemen, er besucht Saudi – Arabien, die USA und Afghanistan. Ein ganzes Kapitel widmet er der Vertreibung der Rohingya aus Myanmar, eine Geschichte, die hinter dem Syrien- und Jemen-Konflikt anscheinend verborgen bleibt.


Die Bilder sprechen für sich...


Die große Heuchelei bestehte darin, dass der Westen, allen voran die USA letztlich blanke wirtschaftliche Interessen antreiben in den Konflikten auf dieser Welt. Es ginge ihnen eher nicht darum, „dass afghanische Mädchen die Schule besuchen können“. 
Deutlich spricht er die milliardenschweren Waffenverkäufe Deutschlands an und erinnert daran, dass die IS-Leute vor vier Jahren ihm deutsche Waffen und Munition zeigten. 
Als besonders eingehend kann man das Kapitel bezeichnen, indem es um den Jemen und die unglaublichen Versorgungslücken für die Bevölkerung geht oder jenes, in dem er von Projekten im Gaza spricht. Todenhöfer erzählt über Prothesen für versehrte Kinder und über kleine Fußballplätze. Seine Stiftung Sternenstaub ermöglicht dies mit den Umsätzen seiner Bücher.

Jürgen Todenhöfer nimmt neben den Staaten auch die westliche Presse ins Visier. Deutlich benennt er die Süddeutsche Zeitung, die FAZ, die ZEIT und auch das Magazin DER SPIEGEL und wirft denen fehlende „innere Pressefreiheit“ vor und den sogenannten „Fankurven – Journalismus“, also einseitige Berichterstattung nach der der der eigene „Verein“ alles richtig, der gegnerische hingegen alles falsch macht. Deutlich macht er aber auch, dass die Leitmedien trotzdem keine Lügenpresse sind. Stattdessen 
Sitzen Verleger und vor allem die für sie arbeitenden Journalisten einer Lebenslüge auf: „Die Lebenslüge des Westens, dass seine Machtpolitik eine humanitäre Aktion sei.“

Der Autor, der einige Zeit als Richter arbeitete und viele Jahre für die CDU im Bundestag saß, ist bekannt für seine kritisch betrachteten Methoden. Bereits als junger Abgeordneter sprach er mit Pinochet, dem Diktator Chiles. Er bekommt Zugang zu den Mullahs, zu Assad, spricht mit führenden Saudis und hochrangigen US-Geheimdienstlern, mit den jemenitischen Huthi-Rebellen und afghanischen Taliban oder pakistanischen Generälen. Man ist ganz sicherlich mit seinen Einschätzungen nicht immer zufrieden, aber man vertraut diesem achtundsiebzigjährigen Publizisten, weil er unverfälscht schreibt und dabei auch Botschaften vermittelt. Dafür lässt er sich gern „benutzen“ und übermittelt „Non-Paper-Friedenspläne“ von Assad an die „daran nicht sonderlich interessierte“ Bundeskanzlerin.

Dass Vater und Sohn Todenhöfer hierbei sehr persönlich betroffen sind, merkt man an vielerlei Ereignissen: Frederic besucht Mossul einmal allein und das Bild des mumifizierten kleinen Kindes und des gefesselten IS-Gefangenen geht ihnen nicht aus dem Kopf. Überhaupt sind es die Kinder, die sie liebevoll in den Vordergrund stellen, in jedem Teil der Welt, den sie besuchen. Die Geschichte des zwölfjährigen Alan, des Jungen aus Baschika und dessen Flucht ohne Eltern bis nach Deutschland im Jahr 2015 berührt ungemein. Die Zu- und Umstände einer solchen Flucht sind kaum vorstellbar. 

Todenhöfer stellt „kurz und bündig“ und als Fazit dar, dass der Westen, dass wir unsere Poltik nicht nur überdenken müssen, wir müssen sie ändern. Kriege im mittleren Osten ändern gar nichts. Außerdem gefährden wir mit dieser geübten Außenpolitik unsere Demokratie selbst. „Die Bevölkerung wird in der Frage von Krieg und Frieden systematisch belogen. Und dadurch von jeder echten demokratischen Willensbildung ausgeschlossen. Viele Menschen spüren das. Sie wenden sich antidemokratischen, populistischen, rassistischen und nationalistischen Parteien zu.“

Damit wird auch klar, wo Jürgen Todenhöfer steht.



Todenhöfer ist in der Medienwelt etwas umstritten. Man wirf ihm gelegentlich Undifferenziertheit, demagogische Ansätze, Verrat von Werten und sogar Antisemitismus.  Er hätte sich vom Amerikafan und Kommunistenhasser zum Islam-Versteher und Antisemiten entwickelt. Die Reise in den IS und die Gespräche mit den dortigen Terroristen wurden ebenso kritisiert, Todenhöfer hätte dem IS eine Plattform der Selbstdarstellung geradezu ermöglicht. Sicherlich kann man es zu vielen seiner Aktionen sehr unterschiedliche Meinungen geben - aber Antisemitismus kann man ihm nicht vorwerfen. (vgl. Wikipedia) Deutlich wird daran aus meiner Sicht nur, dass ein nunmehr fast 80jähriger Publizist im Laufe der Jahrzehnte sich in seinen Auffassungen verändert hat. Hier jedenfalls zeigt er im Alter, dass die Bilder am meisten wirken, die es sollten: Tote und versehrte, hungernde und vernachlässigte, als Kindersoldaten missbrauchte Jungen und Mädchen in den Krisenherden dieser Welt, auf die das Abendland Bomben, Raketen und Granaten wirft.


ARD Mediathek

Persönlich werde ich seinen Büchern weitere Aufmerksamkeit widmen, schließlich las ich auch gern die Bücher des Scholl – Latour


DNB / Ullstein - Probyläen / 2019 / ISBN: 978-3-549-10003-5 / 349 Seiten

© Bücherjunge


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