Wenn jemand einen Weltbestseller geschrieben hat - so wie Zusak mit 'Die Bücherdiebin' - so wird er mit allen darauf folgenden Romanen zwangsläufig daran gemessen werden. Natürlich ist kein Roman wie der andere, und entsprechend besteht auch immer die Möglichkeit, bitter enttäuscht zu werden.
Etwas besorgt begann ich daher im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin mit der Lektüre, und rasch wurde deutlich, dass dieser 640 Seiten starke Roman tatsächlich nichts, aber auch gar nichts, mit 'Die Bücherdiebin' gemein hat. Also enttäuscht? Mitnichten. So viel sei hier schon einmal verraten. Alles weitere erfahrt Ihr hier:
Inhalt: (Quelle: Limes Verlag)
Dies ist die Geschichte der fünf Dunbar-Brüder. Nach dem Tod der
geliebten Mutter und dem Weggang ihres Vaters leben sie nach ihren ganz
eigenen Regeln. Sie trauern, sie lieben, sie hassen, sie hoffen und sie
suchen. Nach einem Weg, mit ihrer Vergangenheit klarzukommen, nach der
Wahrheit und nach Vergebung. Schließlich ist es Clay – angetrieben von
den Erinnerungen an ihren tragischen Verlust –, der beschließt, eine
Brücke zu bauen. Eine Brücke, die Vergangenheit zu überwinden und so
sich selbst und seine Familie zu retten. Dafür verlangt er sich alles
ab, was er geben kann, und mehr: nichts weniger als ein Wunder.
BRIDGE OF CLAY...
Quelle: Pixabay |
13 Jahre hat Markus Zusak, der vor allem durch 'Die
Bücherdiebin' weltberühmt wurde, an diesem 640 Seiten starken Roman
gefeilt und gearbeitet. Eine lange Zeit voller Zweifel und stetiger
Änderungen, und doch wollte und konnte Zusak nichts anderes schreiben.
Und für mich kann ich sagen: ich bin froh darum...
'Bridge
of Clay' lautet der Originaltitel des Romans, in meinen Augen
aussagekräftiger und passender als der sperrigere deutsche Titel, auch
wenn sich dieser im Verlauf der Lektüre ebenfalls erschließt. Doch wer
ist nun dieser Clay?
Clay ist der vierte der fünf Dunbar-Brüder, einer australischen Familie, deren Geschichte hier erzählt wird.
"Es
gab einen Jungen, einen Sohn, einen Bruder. Ja, für uns gab es immer
einen Bruder, und er war derjenige von uns fünfen, der alles auf seine
Schultern lud. Wie immer, sagte er ruhig und besonnen zu mir, und
natürlich traf er damit ins Schwarze." (S. 9 f. )
Und
nun sitze ich hier und zerbreche mir den Kopf, wie ich diesem so
besonderen Roman mit einer Rezension gerecht werden kann? Ich fühle mich
überfordert, maßlos. Denn diese Erzählung ist ein Erlebnis - man kann
davon berichten, aber man versteht es erst, wenn man es selbst gelesen
hat.
Der Inhalt
lässt sich nicht beschreiben, ohne zu viel zu verraten - oder zu wenig.
Soll ich schreiben, dass Zusak hier eine Familiengeschichte präsentiert?
Eine Erzählung voller wilder Jungen, einer Mutter und einem Vater, die
trotzig dem Schicksal begegnen? Einem Schicksal, das die Familie sprengt
und den Vater für die Jungen zum Mörder werden lässt? Clay, der viel
auf seine Schultern lädt und der eine Brücke baut, in der viel Arbeit
und noch mehr von ihm selbst steckt - und die so vieles symbolisiert?
Wer soll das verstehen? Schreibe ich aber mehr, so entzaubere ich den
Roman für jeden, der mit dem Gedanken spielt, ihn zu lesen - und ich
wünsche ihm, dass das viele sein werden.
Dieser
Roman ist anders als 'Die Bücherdiebin', vollkommen anders. Und wer mit
der Hoffnung beginnt, hier auf ein ähnliches Werk zu stoßen, wird
womöglich enttäuscht sein. Aber wer bereit ist, sich auf ein ganz
besonderes Leseerlebnis einzulassen, der wird, zumindest wenn man sich
an den eigenwilligen Schreibstil gewöhnt hat, unbedingt belohnt.
Dabei
ist nicht nur die Geschichte auf eine ganz eigene Art gewoben,
episodenhaft und immer wieder wechselnd in Perspektive und Zeitebene,
wodurch sich die Figuren und ihre Entwicklung fast mosaikartig und wie
aus grob behauenem Stein ganz allmählich herausschälen. Es ist vor allem
der Schreibstil, der hier erwähnenswert ist, und der vor allem zu
Beginn fast schon experimentell wirkte und sich für mich etwas sperrig
las, dabei aber rasch einen ganz eigenen Zauber entwickelte.
Voller
Bilder und Metaphern, befrachtet mit einer nicht immer gleich
verständlichen Symbolik, durchzogen von altgriechischen Heldensagen (die
auch Einfluss auf die eigenwillige Namensgebung der Haustiere hatten),
oft nur in angerissenen Satzfragmenten, erzeugt diese Art des Schreibens
einen zunehmenden Sog, der einen das Buch kaum noch aus der Hand legen
lässt. Und trotz der oft fast sachlichen Darstellung - schließlich
schreibt hier der älteste der Dunbar-Brüder die Ereignisse aus seiner
Sicht - sorgt manchmal ein einzelnes Wort, ein kleiner Satz dafür, dass
einem beim Lesen die Luft wegbleibt und die Tränen kommen.
Ein
Roman, durchzogen von Melancholie und Schmerz, Liebe und Hoffnung,
Zusammenhalt und Verzweiflung, Schuld und Vergebung, Trauer und Humor.
Und am Ende legt Markus Zusak gekonnt das letzte Steinchen in das Mosaik
dieser Familienerzählung, und alles bekommt einen Sinn, jedes Teilchen
ist an seinem rechten Platz, alle Fagezeichen lösen sich auf. Kunstvoll
gewebt ist diese Geschichte, und damit umgarnt der Autor den Leser und
zieht ihn in eine emotionsgeladene und stimmungsvolle Erzählung hinein,
aus der er sich erst nach der letzten Seite allmählich wieder zu lösen
vermag.
Ein
leiser Roman von ungeheuerer Wucht, ein Leseerlebnis, das seinesgleichen
sucht - es lohnt sich unbedingt, sich darauf einzulassen! Und einmal am
Ende angekommen, würde man am liebsten gleich von vorne anfangen, weil
man beim zweiten Mal womöglich auf einer tieferen Ebene liest. Wirklich
ein besonderes Werk...
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
- Verlag: Limes Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (4. Februar 2019)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Alexandra Ernst
- ISBN-10: 3809027065
- ISBN-13: 978-3809027065
- Originaltitel: Bridge of Clay
Informationen zum Autor: (Quelle: Verlagsgruppe Randomhouse)
Der Bestsellerautor Markus Zusak hat sechs Romane geschrieben, darunter
»Die Bücherdiebin« und »Der Joker«. Seine von Publikum und Presse
gleichermaßen gefeierten Bücher sind in mehr als vierzig Sprachen
übersetzt. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Sydney.
Man kann einfach nicht alle Bücher selber lesen. Durch die Vorstellung ermöglichen wir uns die Konzentration auf andere, auch wichtige Bücher.
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