Heulend durch den Wald - ich muss gerade selbst grinsen, weil ich das schreibe. Aber genauso war es. Dieses Hörbuch ließ mich einfach nicht los, auch nicht beim Spaziergang im Wald, Laufen mit dem Stöpsel des Kopfhörers in einem Ohr.
Das mache ich durchaus öfter, aber normalerweise bediene ich die Stop-Taste, wenn ich merke, dass die Erzählung zu berührend gerät. Heulen in der Öffentlichkeit ist nicht so mein Ding. Hier aber... Naja, keine Ahnung, was Entgegenkommende so gedacht haben, wenn ich plötzlich scheinbar aus dem Nichts auflachte oder mit geröteten Augen um die Ecke schlich. Egal - das Buch ist einfach wundervoll!
Inhalt: (Quelle: RoofMusic)
Selma, eine alte Westerwälderin, kann den Tod voraussehen. Immer wenn ihr im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Dorf. Unklar ist allerdings, wen es treffen wird. Davon, was die Bewohner in den folgenden Stunden fürchten, was sie blindlings wagen, gestehen, verschwinden lassen oder in Ordnung bringen, erzählt Mariana Leky in ihrem Roman – und natürlich noch viel mehr. "Was man von hier aus sehen kann" ist das Porträt eines Dorfes, in dem alles auf wundersame Weise zusammenhängt. Aber es ist vor allem ein Buch über die Liebe im Modus der Abwesenheit.
OKAPI-TRÄUME UND DAS LEBEN...
Quelle: Wikipedia |
Luise ist es, die hier ihre Geschichte erzählt - zunächst
rückblickend auf sie als Zehnjährige, die, weil ihre Mutter fast nie
Zeit für sie hat und weil ihr Vater zu sehr damit beschäftigt ist
darüber nachzudenken, wie er mehr von der Welt 'hereinlassen' kann,
meistens bei ihrer Großmutter Selma ist, oft gemeinsam mit ihrem
gleichaltrigen Freund Martin. Selma ist es auch, die für Unruhe im Dorf
sorgt, als ruchbar wird, dass sie wieder einmal von einem Okapi geträumt
hat.
"Das
Okapi ist ein abwegiges Tier, viel abwegiger als der Tod. Und es sieht
vollkommen zusammenhangslos aus mit seinen schwarz weiß gestreiften
Zebra-Oberschenkeln, seinen Tapir-Hüften, seinem giraffenhaft geformten
rostroten Leib, seinen Reh-Augen und Maus-Ohren. Ein Okapi ist absolut
unglaubwürdig - in der Wirklichkeit nicht weniger als in den
unheilvollen Träumen einer Westerwälderin."
Immer,
wenn das Okapi in Selmas Träumen auftaucht, stirbt jemand Nahestehendes
innerhalb von 24 Stunden. Keiner will wirklich daran glauben, und doch
treibt es die Menschen im Dorf um, sich rasch noch um Wichtiges und
Unerledigtes zu kümmern, bevor es womöglich zu spät ist. Und auch wenn
sich der Tod diesmal um einige Stunden verspätet - wieder trifft es
einen aus ihrer Mitte. Und danach ist nichts mehr, wie es vorher war.
Nach
einem Zeitsprung von 12 Jahren begegnen wir Luise wieder, verzogen in
die nächstgelegene Kreisstadt, aber immer noch herzlich verbunden mit
Selma und mit vielen anderen Menschen aus dem Dorf. Und eines Tages, als
sie gar nicht damit rechnet, begegnet Luise am Waldrand - der Liebe.
Einer unbedingten Liebe, die dennoch kaum möglich ist, denn der, der ihr
da begegnet, ist Frederik, ein buddhistischer Mönch, der nur wegen
eines Seminars im Westerwald ist und ansonsten in Japan lebt.
Dies
ist eines der Bücher, die auf mich einen unglaublichen Sog ausüben.
Einmal angefangen, mochte ich gar nicht damit aufhören. Bei acht Stunden
und zwei Minuten Dauer des ungekürzten Hörbuchs ein wohl unmögliches
Unterfangen, und doch suchte ich immer wieder nach Gelegenheiten,
möglichst viel davon am Stück zu hören. Dabei verzauberte mich die
Sprache, der unaufgeregte, bildhafte, sanfte Schreibstil, und ich gewann
die Personen immer lieber, so verschroben sie auch sein mochten.
Eine
Dorfgemeinschaft bringt die Menschen auf engstem Raum zusammen, und bei
aller Unterschiedlichkeit und Eigentümlichkeit gibt es hier in diesem
Dorf im Westerwald einen zunehmenden Respekt voreinander, eine Toleranz,
ein Wir, das mich zuweilen wünschen ließ dazuzugehören. Selma und ihren
heimlichen Verehrer, den Optiker, habe ich zwangsläufig ins Herz
geschlossen - er, der immer verzagt ist und kofferweise Briefanfänge
aufbewahrt, die, geschrieben über die Jahre, versuchen sollten, Selma
seine heimliche Liebe zu erklären, und sie, die weise und voll trockenen
Humors aufs Leben blickt und auch in schweren Stunden zuverlässig für
Luisa und für andere da ist.
Auch
wenn hier skurrile Elemente Einzug halten - wie der Traum vom Okapi
oder auch die Liebe Luises zu dem buddhistischen Mönch - ist diese
Erzählung absolut liebenswert. Dabei steuert Mariana Leky ihre
Charaktere und mit ihnen den Leser sanft aber zielsicher durch das Meer
der Emotionen, Lachen und Weinen stets nahe beieinander. Wenn Sprache
derart berühren kann, dann liebeliebeliebe ich den Roman.
Die
Stimme von Sandra Hüller passt wundervoll zu der Erzählung, der Vortrag
sehr ruhig gehalten, unterbrochen nur von aufblitzendem Humor - und
einem defekten Anrufbeantworter, den ich mir sofort zulegen würde. Das
versteht jetzt nur jemand, der das Buch kennt, aber dieser eigensinnige
Apparat ist einer der unverzichtbaren und liebenswerten Details des
Romans.
Auch
wenn das Jahr noch viele Monate vor sich hat, kann ich jetzt schon
sagen: dieses Buch gehört zu meinen Jahres-Highlights. Und ganz sicher
werde ich es noch einmal hören / lesen / was auch immer. Von mir gibt es
hier in jedem Fall eine glasklare Leseempfehlung!
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Audio CD
- Version: Ungekürzte Ausgabe
- Spieldauer: 8 Stunden und 2 Minuten
- Sprecherin: Sandra Hüller
- Verlag: tacheles!/ROOF Music; Auflage: 7 (27. Juli 2017)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3864844363
- ISBN-13: 978-3864844362
Informationen zu der Autorin: (Quelle: Dumont Buchverlag)
Mariana Leky studierte nach einer Buchhandelslehre Kulturjournalismus an
der Universität Hildesheim. Bei DuMont erschienen der Erzählband
›Liebesperlen‹ (2001), die Romane ›Erste Hilfe‹ (2004), ›Die
Herrenausstatterin‹ (2010) sowie ›Bis der Arzt kommt. Geschichten aus
der Sprechstunde‹ (2013). 2017 erschien ihr Roman ›Was man von hier aus
sehen kann‹, der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Die
Autorin lebt in Berlin und Köln.
Mit ihren ersten Erzählungen gewann sie den Allegra Preis 2000. Für den 2001 bei DuMont erschienenen Erzählband ›Liebesperlen‹ wurde sie mit dem Niedersächsischen Literaturförderpreis und dem Stipendium des Landes Bayern ausgezeichnet. 2005 wurde sie für ihren Roman ›Erste Hilfe‹ mit dem Förderpreis für junge Künstler in der Sparte Dichtung/Schriftstellerei des Landes NRW ausgezeichnet. ›Was man von hier aus sehen kann‹ ist das ›Lieblingsbuch der Unabhängigen‹ 2017 – gewählt von Buchhändlerinnen und Buchhändlern aus ganz Deutschland.
Mit ihren ersten Erzählungen gewann sie den Allegra Preis 2000. Für den 2001 bei DuMont erschienenen Erzählband ›Liebesperlen‹ wurde sie mit dem Niedersächsischen Literaturförderpreis und dem Stipendium des Landes Bayern ausgezeichnet. 2005 wurde sie für ihren Roman ›Erste Hilfe‹ mit dem Förderpreis für junge Künstler in der Sparte Dichtung/Schriftstellerei des Landes NRW ausgezeichnet. ›Was man von hier aus sehen kann‹ ist das ›Lieblingsbuch der Unabhängigen‹ 2017 – gewählt von Buchhändlerinnen und Buchhändlern aus ganz Deutschland.
Informationen zur Sprecherin: (Quelle: RoofMusic)
Sandra Hüller, 1978 geboren, ist eine der renommiertesten Bühnen-, TV-
und Film-Schauspielerinnen. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste und
erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Hallo Anne,
AntwortenLöschendiesen Roman habe ich auch geliebt. Wie schön, dass er dir auch so gut gefallen hat. Ich habe ihn gelesen, kann mir ihn aber auch, entgegen meiner Gewohnheit, gut als Hörbuch vorstellen. Die Schauspielerin Sandra Hüller ist super, ich kenne sie aus dem wunderbaren Film Toni Erdmann.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag,
Barbara
In dem Fall würde ich tatsächlich dem Hörbuch den Vorzug geben, einfach weil die Lesung so genial zu der Erzählung passt!
LöschenManche Bücher würden nie hier besprochen werden, wenn du nicht dabei wärst, liebe Anne.
AntwortenLöschenIch finde das Konzept des gemeinsamen Blogs immer noch überzeugend - so ist die Vielfalt jedenfalls gewährleistet... ☺
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