Seit ich seinerzeit 'Léon und Luise' von Alex Capus gelesen habe und von der Lektüre begeistert war, gehört dieser Autor zu denen, nach deren Romanen ich immer wieder einmal Ausschau halte. So war auch 'Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer' bei mir zu Gast - und nun eben 'Königskinder'.
Das Cover finde ich ehrlich gesagt weder sonderlich ansprechend noch wirklich passend zu der Erzählung. Da hätte ich mir etwas anderes erhofft - ohne den Namen 'Alex Capus' hätte mich der Einband jedenfalls nicht gereizt, zum Buch zu greifen. Aber letztlich kommt es ja auf den Inhalt an. Und dazu könnt Ihr hier mehr lesen:
Inhalt: (Quelle: Hanser Literaturverlage)
Als Max und Tina in ihrem Auto eingeschneit auf einem Alpenpass
ausharren müssen, erzählt Max eine Geschichte, die genau dort in den
Bergen, zur Zeit der Französischen Revolution, ihren Anfang nimmt. Jakob
ist ein Knecht aus dem Greyerzerland. Als er sich in Marie, die Tochter
eines reichen Bauern, verliebt, ist dieser entsetzt. Er schickt den
Jungen erst in den Kriegsdienst, später als Hirte an den Hof Ludwigs
XVI. Dort ist man so gerührt von Jakobs Unglück, dass man auch Marie
nach Versailles holen lässt. Meisterhaft verwebt Alex Capus das
Abenteuer des armen Kuhhirten und der reichen Bauerntochter mit Max' und
Tinas Nacht in den Bergen. Ein hinreißendes Spiel zwischen den
Jahrhunderten...
WIE SCHEHERAZADE AUS TAUSENDUNDEINER NACHT...
Schloss Versailles um 1668 (Ölgemälde von Pierre Patel) - Quelle: Wikipedia |
Eine Geschichte in der Geschichte erzählt Alex Capus hier,
dessen Romane ich seit der Lektüre von 'Léon und Louise' sehr mag.
Während des Lesens hatte ich oftmals das Gefühl, sanft und leicht durch
eine der Erzählungen von Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht zu gleiten - ein sehr angenehmes Empfinden. Und tatsächlich verrät der Autor selbst:
"Ich
wollte diese Geschichte auf eine ganz natürliche, intime Weise erzählen
– leise und vertraulich ins Ohr flüstern wollte ich meinem Leser die
Geschichte, möglichst direkt und intensiv, wie Scheherezade in
Tausendundeiner Nacht um ihr Leben Geschichten erzählt. Auch in meinem
Roman befindet sich das Heldenpaar in einer existentiellen Notlage und
hilft sich mit einer Erzählung durch die Nacht." ( ► Quelle: 5 Fragen)
Der
Schwerpunkt dieses Romans liegt eindeutig in dem historischen Teil, der
zur Zeit der Französischen Revolution spielt. Wenn man der Geschichte
folgt, mag man kaum glauben, dass diese auf wahren Gegebenheiten beruht -
Jakob, der arme Kuhhirte, und Marie, die Tochter des reichen Bauern,
die ihre große Liebe nicht leben dürfen, weil Maries Vater und die
Konventionen sehr eindeutig dagegen sprechen. Doch anders als in der
traurigen Ballade von den Königskindern schreibt das Leben für Jakob und
Marie einen anderen Verlauf. Denn Elisabeth, die kleine Schwester von
Ludwig dem XVI., liegt Jakobs Wohl am Herzen: auf ihrem Musterbauernhof
mit künstlichem Ziehbrunnen und glücklichen Tieren soll alles perfekt
sein. Ein unglücklicher Kuhhirte schmälert das Streben nach 'der
perfektesten aller Welten', weshalb die Schwester des Königs Marie
ebenfalls nach Versailles kommen lässt.
"Aber
kurz vor der Morgendämmerung, als es richtig kalt wird, geht er hinein
und kriecht ganz nah zu Marie. Dann hebt sie ihre Decke an und breitet
sie über ihm aus, und er nimmt seine Decke und breitet sie über Marie
aus." (S. 47)
Als
Rahmenhandlung fungiert der Erzählstrang um das ältere Ehepaar Max und
Tina, die wider besseren Wissens den Weg über den Bergpass wählen und im
Schnee stecken bleiben. Eine lange kalte Nacht steht ihnen bevor, und
Max beschließt, die dunklen Stunden mit einer Geschichte zu überbrücken.
Eine Eigenart der beiden ist es, über vermeintliche Kleinigkeiten
endlos in eine Diskussion zu geraten, sich über Nichtigkeiten zu zanken
ohne wirklich in Streit zu geraten. Dies liest sich teilweise ganz
unterhaltsam, gerät für mein Empfinden jedoch manchmal zu anstrengend.
Vor allem Tina hakt oftmals nach, wenn Max etwas sagt oder tut, und das
Erzählen der Geschichte um Jakob und Marie besänftigte daher nicht nur
Tina, sondern auch mich, wenn es mir mal wieder zu viel wurde mit der
Diskutiererei des Ehepaares.
"Dann
wird es still in der Nacht, und dann endlich geschieht es, weil die
Musik die Barrikaden seiner Seele geschleift hat, dass Jakob niedersinkt
und erstmals seit dem Abschied von Marie seinen Tränen freien Lauf
lässt." (S. 117)
Unaufgeregt
und mit einer unglaublichen Leichtigkeit erzählt Alex Capus seine
Geschichte. Gerade im historischen Teil wird dabei eine intensive
Recherchearbeit deutlich, denn viele kleine Elemente werden hier
eingeflochten, die gemeinsam ein intensives authentisches Bild der Zeit
um die Französische Revolution herum ergeben. Dazu gehört beispielsweise
die Ballonfliegerei, die damals überall in Europa Mode
wurde, ein heftiger Vulkanausbrüche auf Island, die Reisebedingungen in
Frankreich, die Essgewohnheiten, die Arbeitsumstände, die
Lebenserwartung - und die Gegebenheiten am Schloss von Versailles. Bei
der Beschreibung der Zustände dort bröckelte bei mir innerlich der Glanz
um das Hofleben mit jeder Zeile und machte haltlosen Zuständen und
einem widerlichen Gestank Platz. Dabei musste ich oft lachen, denn die
bildhaften Beschreibungen waren teilweise überaus skurril.
"Wenn zwölf Schweizer Milchkühe einem Bauern keine Milch geben, sagt Elisabeth, liegt das Problem, würde ich sagen, eher beim Bauern als bei den zwölf Milchkühen. Unter diesen Umständen sehe ich nicht ein, weshalb es die Kühe sein sollen, die man schlachten muss." (S. 84)
Überhaupt:
der Humor. Ironie und Witz halten hier bei der ansonsten eher
distanzierten Schilderung, die ein Märchen à la Scheherazade so mit sich
bringt, immer wieder Einzug und würzen die Geschichte in genau der
richtigen Dosierung. Aber auch andere Emotionen werden hier oftmals
unerwartet transportiert und berühren einen beim Lesen.
Eine
zarte Geschichte hat Capus hier geschrieben, durchdrungen von
historisch verbrieften Gegebenheiten, angereichert mit märchenhaften
Elementen aus Tausendundeiner Nacht und gewürzt mit einer gehörigen
Prise Ironie und Humor. Diese Mischung hat mir gut gefallen, und auch
wenn ich nicht verstanden habe, weshalb Max gerade diese Geschichte
erzählt und was diese Erzählung womöglich mit den beiden zu tun hat, die
gerade mit ihrem Auto in den verschneiten Bergen feststecken, fühlte
ich mich von dem Roman insgesamt sehr gut unterhalten.
Alex Capus kann ich wieder einmal attestieren: ein wundervoller Geschichtenerzähler...
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
- Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; Auflage: 3 (20. August 2018)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 9783446260092
- ISBN-13: 978-3446260092
Informationen zum Autor: (Quelle: Hanser Literaturverlage)
Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er
schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Bei Hanser erschienen Léon und Louise (Roman, 2011), Fast ein bisschen Frühling (Roman, 2012), Skidoo (Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, 2012), Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013), Mein Nachbar Urs (Geschichten aus der Kleinstadt, 2014), Seiltänzer (Hanser Box, 2015), Reisen im Licht der Sterne (Roman, 2015), Das Leben ist gut (Roman, 2016) und Königskinder (Roman, 2018).
Von Alex Capus bisher im Blog vorgestellt:
zur Rezension |
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Es gibt doch vielseitige Formen, Geschichte zu vermitteln. Gefällt mir.
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