Für dieses Rezensionsexemplar möchte ich mich ganz herzlich beim Worthandel-Verlag bedanken!
Weshalb sollte einen solch ein Buch interessieren, wenn man selbst nicht zu den Betroffenen gehört? Nun, es wird wohl kaum jemanden geben, der nicht jemanden kennt, der... Und je nachdem wie eng dieser Jemand mit einem zu tun hat, kann ein Einblick in die Problematik nicht schaden. Sowieso nicht...
Inhalt: (Quelle: Amazon.de)
Warum trinken, wenn man doch davon betrunken wird? Natürlich gerade
deshalb, als Wahrnehmungsfilter. Wir alle müssen trinken. Aber saufen
wir uns auch alle die Sinne zu? Wo ist die Grenze, der schmale Grat
zwischen Genuss und Sucht und wo führt das hin und was steckt dahinter?
Gibt es eine Philosophie des Saufens? Wie oft trinkst du? Was hast du
mit Alkohol zu tun? Und wer von deinen Freunden, Kollegen, Bekannten
oder in deiner Familie, schaut gern mal zu tief in die Flasche? Kann man
aus der Sucht, dem unstillbaren Verlangen, wieder herausklettern? Und
wieso hilft Laufen gegen das Saufen?
Freundlich textet der zahnlose Bettnachbar mit Berliner Akzent den frisch eingelieferten Patienten zu. Die Oberschwester berichtet über den charmanten, aber doch unnahbaren Chefarzt der Entzugsklinik, der selber gern mal einen Wein trinkt und Genussraucher ist. Die Anwältin, Dr. jur., die sich für was besseres hält, schimpft über ihren Mann und erzählt, was sie sich für die Zeit nach dem Entzug vorgenommen hat. Natürlich muss sich was ändern. - Und wer trifft sich noch im geistigen Zentrum der Klinik in der Raucherecke? Oder was denkt die Putzfrau über die Sauereien, die sie tagtäglich wegmachen muss?
Ein Erfahrungsbericht? Hat denn nicht jeder Erfahrung mit dem Alten Raben Alkohol? Flog er vorbei? Ist es ein Sachbuch? - Vielleicht eher ein poetischer Reiseführer durch die Entzugsklinik Grauenbrietzen bis hin zur Stammkneipe des Schreibers und seiner Wohnung als Rückzugshöhle während der nassen Bommerlunderwochen. Aber auch im Lehrerzimmer der Entgiftung gilt es, die blaue Fahne zu verbergen.
„Alter Rabe Alkohol“ beschreibt die Sucht poetisch und amüsant aus zehn Blickwinkeln von Menschen, die mit der Klinik und dem Alkohol zu tun haben. Dazwischen sind wunderbare Gedichte vom Suff eingestreut. Der Autor war Epsilonalkoholiker und legt mit diesem Buch sein fulminantes Debut vor.
Freundlich textet der zahnlose Bettnachbar mit Berliner Akzent den frisch eingelieferten Patienten zu. Die Oberschwester berichtet über den charmanten, aber doch unnahbaren Chefarzt der Entzugsklinik, der selber gern mal einen Wein trinkt und Genussraucher ist. Die Anwältin, Dr. jur., die sich für was besseres hält, schimpft über ihren Mann und erzählt, was sie sich für die Zeit nach dem Entzug vorgenommen hat. Natürlich muss sich was ändern. - Und wer trifft sich noch im geistigen Zentrum der Klinik in der Raucherecke? Oder was denkt die Putzfrau über die Sauereien, die sie tagtäglich wegmachen muss?
Ein Erfahrungsbericht? Hat denn nicht jeder Erfahrung mit dem Alten Raben Alkohol? Flog er vorbei? Ist es ein Sachbuch? - Vielleicht eher ein poetischer Reiseführer durch die Entzugsklinik Grauenbrietzen bis hin zur Stammkneipe des Schreibers und seiner Wohnung als Rückzugshöhle während der nassen Bommerlunderwochen. Aber auch im Lehrerzimmer der Entgiftung gilt es, die blaue Fahne zu verbergen.
„Alter Rabe Alkohol“ beschreibt die Sucht poetisch und amüsant aus zehn Blickwinkeln von Menschen, die mit der Klinik und dem Alkohol zu tun haben. Dazwischen sind wunderbare Gedichte vom Suff eingestreut. Der Autor war Epsilonalkoholiker und legt mit diesem Buch sein fulminantes Debut vor.
EINBLICKE, DIE NACHDENKLICH STIMMEN...
Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Aber mich persönlich
macht der Umgang mit einem Alkoholiker hilflos. Den ersten Obdachlosen,
der mitten auf dem Bürgersteig eingeschlafen war, erlebte ich
fassungslos als Kind - und die Reaktionen der Erwachsenen um mich herum
machten mich nicht weniger fassungslos. Später sind mir noch einige
Alkoholiker im Bekanntenkreis begegnet, vielleicht auch im
Verwandtenkreis - und unter Kollegen.
Eine
Kollegin war denn auch der Grund, weshalb ich mich für dieses Buch
interessierte. Stets die Hilflosigkeit im Gepäck, wusste niemand so
recht mit der Alkoholkrankheit der Kollegin umzugehen, die sie zu
verheimlichen suchte, die aber offensichtlich war - und uns auf eine
gewisse Art und Weise auch zu Co-Abhängigen machte. Für niemanden eine
schöne Situation, und die Gefühle dazu waren sehr widersprüchlicher
Natur: Mitleid, Unverständnis, das Gefühl, beschützen zu müssen, Wut,
Hilflosigkeit, Ohnmacht. Eine Situation, die das Arbeitsklima lange
belastet hat - bis die Kollegin in Rente ging.
"Wir
sind hier, weil es letztich kein Entrinnen vor uns selbst gibt. Solange
der Mensch sich nicht selbst in den Augen und Herzen seiner Mitmenschen
begegnet, ist er auf der Flucht. Solange er nicht zuläßt, daß seine
Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es für ihn keine
Geborgenheit. Solange er sich fürchtet, durchschaut zu werden, kann er
weder sich noch andere erkennen - er wird allein sein." [Richard
Beauvais, 1964] (S. 31)
Von
diesem Buch erhoffte ich mir zumindest einen Einblick in die
Erfahrungswelt eines Alkoholikers, und den bekam ich auch - und
gleichzeitig noch viel mehr.
Dieses Buch ist mehr als ein Erfahrungsbericht
- aber dies ist es eben auch. Der Autor ist / war ein sogenannter
Epsilon-Alkoholiker, im Volksmund auch bekannt als 'Quartalssäufer'. Er
schildert seinen letzten Entzug in einer Suchtklinik, bietet aber auch
Einblicke in das Leben als Alkoholiker. 'Einsichten aus einem Entzug'
lautet denn auch der Untertitel - und doch fasst es das auch nicht
komplett.
Es
ist kein Ratgeber für Betroffene oder Angehörige, es ist auch kein
Sachbuch, das über Symptome aufklärt oder über die verschiedenen Arten
von Alkoholismus. In diesem Buch gewährt ein Alkoholiker einen Einblick
in sein Leben - aber ohne Tränendrüse, Selbstmitleid oder halbherzige
Erklärungen. Und er präsentiert dies auf eine unerwartet poetische Art,
mit dazwischengeschobenen Versen, philosophischen Anklängen - und
gnadenlos ehrlich.
Dabei erzählt Heyne Winterfeldt keineswegs nur aus seiner eigenen Perspektive. Er fühlt sich erstaunlich sensibel in die verschiedensten Rollen ein - in die anderer Betroffener, in die der Nachtschwester, der Oberschwester, des leitenden Arztes, des Kneipenbesitzers, der Putzfrau - und konfrontiert den Leser so nicht nur mit den Dunkelkammern des Lebens, sondern ebenso mit der Hilflosigkeit der Gesellschaft (können Entzugskliniken wirklich mehr erreichen, als einen Ertrinkenden kurzzeitig aufs Trockene zu holen?) und womöglich auch mit seinen eigenen Gedanken.
"Jedes Tier läuft in seiner Furcht fort und verbirgt sich, wenn es Angst hat und verletzt wurde. Der Mensch harrt aus. Bis alle Kräfte verschlissen sind und die entzündete Seele geflutet wird. Dann endlich treibt einen das Gift sicher fort, aber es spült einen ins Abseits. Mit dem Fluch, daß noch nie gefunden wurde, was man anzusteuern meinte." (S. 231)
Mich
konnte diese Mischung beeindrucken, wobei die Ohnmacht des Süchtigen,
seine Verzweiflung am Leben, die Sackgasse, die er sehenden Auges
einschlägt, erlebbar wird - aber gleichzeitig auch Poesie,
(Selbst-)Ironie, ein Augenzwinkern und Humor ihren Raum finden. Die
verschiedenen Blickwinkel auf die Erkrankung machten mich immer wieder
nachdenklich, und auch wenn ich nie viele Seiten am Stück lesen konnte,
weil die Melancholie doch oft greifbar war, bin ich dankbar für diesen
Einblick.
© Parden
- Gebundene Ausgabe: 248 Seiten
- Verlag: worthandel; Auflage: 1 (16. Dezember 2014)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3935259646
- ISBN-13: 978-3935259644
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