"Hab was für dich", sagte er und kramte in seiner Hosentasche. Eine kleine Blechdose. Er schüttelte sie und machte große Augen. Und damit hat es angefangen. Manchmal hat Samuel Ideen, die mir völlig fremd sind. Sein Geschenk war eine dieser Ideen. Ich bin nicht allein verantwortlich. Unter normalen Umständen wäre das alles nicht passiert.
Finn-Ole Heinrich ist ein junger norddeutscher Autor. Der Roman "Räuberhände" ist sein Romandebüt und erschien 2007 im
mairisch Verlag.
Es ist die fesselnde Geschichte zweier Jungen, die eine Art "Bruderliebe" verbindet, obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Milieus stammen:
Während Jannik aus "gut situierten" Verhältnissen kommt, ist Samuel der Sohn einer allein erziehenden Frau, die zur Trinkerin wurde, als ihre Lebensträume scheiterten. So wird Samuel sozusagen zum "Adoptivkind", da Janniks Eltern den Freund ihres Sohnes aus Mitleid wie ein Familienmitglied behandeln und bei sich aufnehmen. Fortan teilen sich die Jungen ein Zimmer in Janniks Elternhaus. Dennoch kümmern sich die beiden rührend um Samuels Mutter, die ihre Tage im Suff und im "Pennermilieu" verbringt.
So leben die beiden zwischen der kaputten, der "Pennerwelt" von Samuels Mutter und der spießig-heilen Welt von Janniks Eltern, die "immer alles richtig" machen und gegen deren verlogene bürgerliche Vorzeige - Moral sie sich auflehnen.
Im Grunde schämen sich beide Jungs, jeder auf seine Art, für ihre Elternhäuser.
So kommt es nicht von ungefähr, dass die beiden Jungs sich ihre eigene Welt in Form eines Schrebergartens zimmern, der ihr Rückzugsgebiet und zugleich ein Refugium für ihre pubertären Träume wird.
Samuel träumt zudem die ganze Zeit davon, seinen türkischen Vater zu finden, den er nie gesehen hat. Dafür lernt er sogar türkisch und sie beschließen, nach dem Abitur zusammen aus ihrer Welt auszubrechen und nach Istanbul zu fahren, um sich hier auf die von vornherein hoffnungslose Suche nach Samuels Vater und auch auf die Suche nach einer neuen Existenz zu machen.
So verleben die beiden Freunde eine kurze, unbeschwerte Zeit miteinander in der exotischen Stadt ihrer Träume. Dennoch holt die Realität sie nur allzu bald ein:
Samuel erkrankt schwer und sein Freund pflegt ihn über Wochen aufopferungsvoll. Währenddessen wird das Geld knapp.
Am Ende aber scheitern sie mit ihrem Vorhaben nicht daran, sondern an der Erkenntnis, dass ein einschneidendes Ereignis, das sich kurz vor ihrer Abreise ereignet hat, zwischen ihnen steht und ihr Verhältnis zueinander dauerhaft verändert hat. Die alte, ungetrübte Verbundenheit besteht nicht mehr.
Als dann von zu Hause die Nachricht vom tragischen Tod von Samuels Mutter eintrifft, bricht die mühsam aufrechterhaltene Illusion der beiden Freunde einer Vorstellung von Freundschaft und einem gemeinsamen Leben, von einer eigenen Existenz in der Stadt am am "Goldenen Horn" vollends zusammen:
Jannik erkennt, dass dieses Leben nicht "sein" Leben, diese Stadt nicht "seine" Stadt ist und kapituliert. Er erklärt den "Urlaub" für beendet und beschließt, in sein altes Leben und nach Hause zurückzukehren:
"So, dann jetzt mal zu Mutti".
Samuel hingegen, der die Nachricht vom tragischen Tod seiner Mutter äußerlich kühl aufgenommen hat, will hingegen nicht aufgeben und bleibt allein in Istanbul zurück.
Der Autor zeichnet seine Charaktere mit großer Eindringlichkeit. Die Geschichte, das Buch ist keine triviale Lektüre, sondern anspruchsvoll und macht nachdenklich. Dennoch ist es kein "schwerer" Lesestoff, denn Finn-Ole Heinrich erweist sich als ein begabter Erzähler und bedient sich einer klaren aber bildreichen Sprache. Im Grunde ist es die Geschichte zweier Jungen auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Platz im Leben. Und hinter dem selbstbewussten Verhalten Samuels verbirgt sich offenbar ein sensibler und verletzlicher Charakter, dessen innere Unsicherheit sich in dem stetigen Drang offenbart, seine Fingernägel abzubeißen: Räuberhände !
Das schön ausgestattete Buch hat 207 Seiten und ist an ein, zwei freien Nachmittagen gut zu lesen.
Wer einmal Abwechslung sucht von eingefahrenen Leseroutinen und vom "Mainstream" gängigen "Lesefutters", wer sich mal wieder mit einem außergewöhnlichen Buch in seinen Lieblingssessel zurückziehen möchte, dem lege ich dieses Buch als Vertreter einer jungen deutschen Gegenwartsliteratur ans Herz.
Ich denke, der Leser wird die Anschaffung nicht bereuen!
Heinrich, Finn-Ole
Räuberhände
mairisch Verlag
Deutsche Nationalbibliothek
© TinSoldier
Erinnert mich ein wenig an "Drachenläufer" auch wenn dies eine ganz andere Geschichte ist.
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