Es ist noch nicht lange her, 1998/1999, da entschuldigte sich der kanadische Ministerpräsident und die beteiligten Kirchen, mehr oder weniger inoffiziell, für den Versuch, ganze indigene Kulturen auszulöschen: kurz für ein Menschheitsverbrechen mit genozidalen Merkmalen. Ausgerechnet Schulen dienten dazu.
Diese Residential Schools, in den USA oft Border Industrial Schools genannt, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurden (in Kanada) bis 1996 (!) betrieben.
Die 1955 geborene Mary Caesar, Kaska First Nation, absolvierte eine solche Schule und begab sich auf ihren „Weg der Heilung“. Mit Kunst und Lyrik, Malerei und Erzählungen hat sie diesen autobiografischen Weg veröffentlicht. Sie überlebte die oft unmenschlichen Bedingungen in einer dieser kirchlich geführten Einrichtungen.
Mary Caesar erzählt von ihren Cousins und Cousinen, die gleich ihr eine solche Schule besuchen mussten. Sie erzählt vom Verbot der Muttersprache, dem Haare abschneiden, von Schlägen, von sexuellem Missbrauch an den Kindern und Jugendlichen und davon, dass so manche auch in späteren Jahren den Freitod wählten oder am Alkohol zugrunde gingen.
Diese Berichte sind als solche nicht neu. Wir kennen sie aus der Literatur und aus Filmen. Wenn Liselotte Welskopf-Henrich in ihrer Pentalogie DAS BLUT DES ADLERS davon erzählt, dann geht es, hier in den USA um in etwa den Zeitraum, in den Mary Caesar in Kanada ein solches Internat besuchte.
indianische Autoren |
Zitkala-Ša erscheint angesichts der Heilungs-Reise von Mary Caesar eine Ausnahme zu sein, beide aber wurden Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, die ihre Erlebnisse in unterschiedlichen Jahrzehnten veröffentlichten.
Mary Caesar konzentriert sich in ihrem Buch auf ihre Art und Weise mit den eigenen Erlebnissen und deren Folgen umzugehen. Schreiben und Malen sind ihre Methoden und die Erinnerungen an andere, die letztlich die Schulzeit nicht „überlebten“. Diese Anführungszeichen stehen dafür, dass es nicht nur um das reine Überstehen des Internatsbesuches fernab der Heimat und den Eltern ging, sondern auch um das weitere Überleben, die Überwindung der Traumata. Hierfür war insbesondere von Bedeutung die Hilfe untereinander. Die indianischen Traditionen, die Mythen, die Hilfe untereinander, die für so manche ehemalige Schülerin, so manchen ehemaligen Schüler zu spät kam.
Eindrucksvoll ist die Erzählung über ihren Schulfreund Frank, in der sie die Wirkung der Priester und Nonnen auf die Kinder beschreibt, oder die über ihren Bruder Paul, in welcher die Erniedrigung des gleichen topfförmigen Haarschnitts für die Kinder dargestellt wird.
Das Gedicht Warrior / Kriegerin zeigt die Besinnung auf Ursprung und Kraft, I have a Vision / ich habe einen Traum vom Tag, an dem die Kaska First Nation „geheilt sein wird“ von all dem Unrecht, welches ihm und den anderen Völkern widerfuhr.
Text-Collage |
Bilder-Collage |
Zudem liegt ein zweisprachiges Buch vor uns, denn alle Texte wurden in englischer und deutscher Sprache abgedruckt.
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Traumfänger Verlag |
- https://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Henry_Pratt , 13.08.2023
- https://de.wikipedia.org/wiki/Residential_School , 13.08.2023
- DNB / Traumfänger-Verlag / Hohenthann 2015 / ISBN: 9783941485-39-6 / 145 Seiten
Es gibt so viele totgeschwiegene Gräuel - immer gut, wenn die Betroffenen einen Stimme haben, die gehört wird...
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