Samstag, 12. August 2023

Banwo, Ayanna Lloyd: Als wir Vögel waren

Port Angeles, Trinidad. In den sonnendurchglühten Gassen mischt sich das vielstimmige Geschrei der Händler mit Vogelgezwitscher und Verkehrslärm; es riecht nach Gewürzen und reifen Früchten. Unter stillen, schattigen Bäumen ruht Fidelis, der jahrhundertealte Friedhof der Insel. Hier arbeitet Emmanuel als Totengräber. Der junge Rastafari hat sein Zuhause verlassen, um seinen Vater zu finden. Als er Yejide trifft, hat das Schicksal ihre Wege längst fest miteinander verflochten. Und so beginnt dort, wo das Leben endet, eine magische Liebesgeschichte. (Verlagsbeschreibung)

 

DNB / Diogenes Verlag / 2023 / ISBN: 9783257072242   / 352 Seiten






Erhalten habe ich das Rezensionsexemplar über NetGalley, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Bei dem Cover war ich ehrlich gesagt überrascht, dass der Roman im Diogenes Verlag erschienen ist - dessen Cover sind normalerweise ganz anders gestaltet und haben damit einen Wiedererkennungswert. Doch kann ich nicht leugnen, dass das Cover sehr gut zum Handlungsort passt: Trinidad in der Karibik. Und letztlich kommt es ja auch auf den Inhalt an. Wie mir der gefallen hat, könnt Ihr hier nachlesen:











MAGISCHER REALISMUS IM KARIBISCHEN TRINIDAD...


Trinidad (Quelle: Pixabay)

Ayanna Lloyd Banwo entführt den Leser / die Leserin auf die karibische Insel Trinidad. Im Fokus stehen Emmanuel alias Darwin, ein junger Rastafari, sowie die junge Frau Yejide, die einen ungeahnten Einfluss auf Darwins Leben nehmen wird. Die Erzählung wechselt in der Perspektive stetig zwischen Darwin und Yejide, die beide in der großen Stadt Port Angeles wohnen, sich unter normalen Umständen jedoch wohl nie begegnet wären.

Darwin kommt in die Stadt, als sich dort die Gelegenheit ergibt, eine Arbeit zu finden und damit auch seine Mutter zu unterstützen. Doch ausgerechnet als Totengräber auf dem jahrhundertealten Friedhof Fidelis? Als Rastafari eigentlich undenkbar, und dementsprechend entsetzt reagiert auch seine Mutter:


"In der Stadt sind nur Tote, Emmanuel. Rastas hüten sich vor den Toten."


Doch Darwin hat keine Wahl, es findet sich keine andere Arbeit. Und so macht er sich auf den Weg zum Friedhof und beginnt mit seiner Tätigkeit. Er weiß nicht, was er von seinen Kollegen halten soll, die ihm als eingeschworene Gemeinschaft erscheinen. Darwin hat Respekt vor den Toten, und nach und nach enthüllen sich die Geheimnisse um den alten Friedhof. Darwin gerät dabei in eine zusehends ausweglose Lage - wer will er sein und wer soll er nach dem Willen der anderen sein?

Yejide dagegen lebt nicht direkt in der großen Stadt, sondern oberhalb in den Bergen, abgelegen in einem alten Haus, das von Generation zu Generation zu wachsen scheint. Sie lebt dort mit ihrer Mutter, deren Mann Peter und einigen anderen Menschen, die für den reibungslosen Ablauf des Alltags sorgen. Zwischen Yejide und ihrer Mutter herrscht ein sehr angespanntes Verhältnis, denn die Mutter liebt ihre Tochter offenkundig nicht und schenkt ihr keinerlei Aufmerksamkeit. Die junge Frau hat sich verbittert damit abgefunden, und doch ist der Wunsch geliebt zu werden ein großer. Als die Mutter stirbt, reagiert Yejide sehr gefasst. Doch im Tod weiht die Mutter sie in ihr Erbe ein - von Mutter zu Tochter wird seit Generationen die Gabe der Totenbeschwörung weitergereicht.

Yejides Perspektive blieb mir über weite Strecken tatsächlich eher fremd. Der magische Realismus dominiert hier sehr offenkundig, und mit vielen Bildern und mythischen Anklängen konnte ich nicht wirklich etwas anfangen. Doch der Atmosphäre, die Ayanna Lloyd Banwo hier kreiert, konnte ich mich letztlich nicht entziehen. Etwas traumartig gleitet man so durch die Erzählabschnitte, die Yejides Perspektive betreffen.

Darwin dagegen bildet zwar seinen Glauben als Rastafari ab, doch seine Passagen verkörpern auch die harte Realität. Armut, Gewalt, Brutalität, allgegenwärtiger Tod herrschen in der Stadt, wer Skrupel hat, gehört zu den Verlierern. Etwa ab der Mitte des Romans verweben sich die beiden Erzählstränge, nachdem sich Darwin und Yejide auf dem alten Friedhof treffen. Dies hat meinen Lesesog deutlich gesteigert. Darwins zunehmend missliche Lage erhöht die Spannung sukzessive, und schließlich wollte ich unbedingt wissen, wie das Ganze ausgeht. Yeyide und Darwin fühlen sich zueinander hingezogen, aber die Liebe ist keine einfache Angelegenheit - aufgerieben "zwischen den Anforderungen eines alten Matriarchats in den Hügeln und einer Stadt voller Abzocker, Träumer und Toter, die keine Ruhe geben".

Eine mythische Liebesgeschichte um zwei Außenseiter, die zu sich selbst und zueinander finden wollen - doch ob ihre Liebe eine Zukunft hat, werde ich hier natürlich nicht verraten. Magischer Realismus im karibischen Trinidad - eine mythische Atmosphäre, ein Roman mit einem ganz eigenen Sog, außergewöhnlich...


© Parden








Ayanna Lloyd Banwo, geboren 1980 in Trinidad, promoviert an der University of East Anglia in Creative and Critical Writing. Bisher erschienen vor allem Kurzgeschichten in verschiedenen Publikationen. ›Als wir Vögel waren‹ ist Banwos erster Roman; sie lebt in London. 

1 Kommentar:

  1. Wieder mal eine Geschichte mit völlig unbekannten Hintergründen. Rastafari musste ich erst einmal googlen.

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