Vor einigen Tagen veröffentlichte ich hier die Rezension zu einem Roman, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts handelt. Silke Elzner erzählt die Geschichte von der letzten Fehde an der Havel, in der sie den Bauernjungen Carl in die „große weite“ Welt Brandenburgs schickte, es geht eben mal nicht in die große weite Welt, „nur“ an der Havel entlang.
Der Roman ist für den HOMER – Literaturpreis für historische Romane nominiert.
Die Rezensentinnen und ich stellen für die Blogtour aus diesem Grund nicht nur die Bücher vor, der Rezension folgt hier das Interview mit der Autorin.
Silke Elzner wurde in Dortmund geboren und schrieb bereits für die Schülerzeitung Kurzgeschichten und Gedichte. Sie studierte später Linguistik und Literatur, ebenso Anglistik. Sie zog nach Australien, nach Spanien. Nach dreizehn Jahren kehrte sie zurück. Das Mittelalter hatte sie wohl immer im Gepäck, gerade Spanien ist ja „voll“ davon. Doch nun, schreibt sie, nötigt sie ihren Mann durch Brandenburg zu ziehen. Und durch Brandenburg mäandert die Havel...
Dein erster Roman spielt zu Beginn des 15. JH in Brandenburg, der zweite beginnt auf Burg Altena. Dann führt die Handlung in deine Geburtsstadt. Wieder nach Hause, nach Dortmund?
Was man als Leser nicht sieht, ich habe bereits vier komplett geschriebene Bücher auf meinem Schreibtisch liegen. „Die letzte Fehde an der Havel“ ist mein drittes, aber das erste, das ich veröffentlicht habe. Ich bin eigentlich nicht so sehr an Orte gebunden, sondern an eine bestimmte Periode, das Mittelalter. Das Havelland als Schauplatz habe ich gewählt, weil es gerade der Beginn der Corona-Zeit war und Brandenburg quasi für mich als Wahl-Berlinerin vor der Haustür lag. Das machte es leichter für die Vor-Ort-Recherche als zum Beispiel die Benelux-Länder, wo eine andere meiner Geschichten spielt. Mein neuestes Buch spielt in meiner Heimatstadt Dortmund, wo die Geschichte rund um Agnes von der Vierbecke kleinen Kindern in der Grundschule gelehrt wird. So habe auch ich damals davon davon erfahren, und ich war seit jeher von dieser historischen Begebenheit fasziniert.
Wir sprachen schon einmal darüber, aber erkläre doch den Leserinnen und Lesern, warum du dich für eine moderne Sprache entschieden hast. Sprachen sie die Adligen und die Bauern mit DU an? So fast ohne ehrerbietige Formeln?
Allgemein gibt es weites Spektrum an Dingen, die man beachten und zu denen man Entscheidungen treffen muss, wenn man die Sprachmodalitäten wählt für einen historischen Roman. Als studierte Linguistin habe ich mich natürlich mit der faktischen Seite beschäftigt, aber wie alle anderen Autoren auch, geht man dann an jeden dieser Aspekte recht praktikabel ran: Einerseits sind bestimmte Gepflogenheiten interessant, wie z.B. die korrekte Anrede, aber im Verlauf eines 500-Seiten-Buches können diese dann doch zum Verständnis der eigentlichen Geschichte im Wege stehen. Die Sprache, die ich gewählt habe für meine Figuren, soll mehrere Funktionen erfüllen: Zum einen soll sie für den modernen Leser lesbar sein. Nichts ist langweiliger als überkomplizierte, gestelzte, blumige Sprache. Zum anderen ist sie ein Charakterisierungsmittel für die Figuren: Ein ungebildeter Bauer wird anders sprechen als ein Herzog, der der Welt des Hochadels entstammt. Auch wollte ich die Urtümlichkeit und Wildheit der Mark Brandenburg darstellen. Romansprache ist immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Kein Dialog ist so wie im echten Leben, sondern eine Art Repräsentation der Wirklichkeit durch die Linse des Autors. Und ob die Adligen und Bauern einander mit „Du“ ansprachen – darüber könnte man ganze Dissertationen schreiben. Falls sich jemand für dieses Thema weiter interessiert: Siehe hierzu das sehr aufschlussreiche Buch „Alltag im Mittelalter“ von Ernst Schubert, der in dem Kapitel „Umgangsformen: Der Alltag hinter der höfischen Etikette“ ausführlich auf die Quellenlage und die Indizien für den Umgang der Menschen miteinander eingeht. Unter anderem schreibt er: „Noch bis ins 12. Jahrhundert hinein duzten sich die Menschen allesamt, sie duzten auch den Höhergestellten. […] Auf dem Land blieb diese Umgangsform noch lange erhalten, was bereits im Spätmittelalter einen Gegenstand des Spotts über die tölpischen Bauern bildete“ (S. 166) und ferner „Bis in die große Politik, bis in das Verhältnis von Kaiser und Papst spielte die Frage hinein, wer wen mit ‚tu‘ oder mit ‚vos‘, mit ‚Du‘ oder mit ‚Ihr‘ anreden dürfe. Der Ranghöhere wird mit dem ‚Ihr‘ geehrt, aber er duzt den Rangniederen und wäre es selbst der Beichtvater.“ (S. 167) sowie „Das Duzen zwischen zwei Menschen ist Ausdruck von Verwandtschaft, Nachbarschaft, Genossenschaft, Freundschaft. Wer sich duzt, versichert sich die Verbundenheit in Gleichheit.“ (ebenda) Dass sich Dietrich von Quitzow als Adliger mit seinen Männern duzt und das Du zurückerwartet, soll genau dies ausdrücken: Sein Wunsch, als einer der ihren angesehen zu werden, natürlich nur so lange, wie es ihm genehm ist. Gleichzeitig ist er ein eher unbedeutender Landadliger in einer hinterwäldlerischen Provinz – sein Umgang z.B. mit seinem „Boss“ Jobst von Mähren äußerst sich ganz anderes, wohingegen der Markgraf ihn als Untergeordneten duzt. Gleichwohl muss man natürlich auch hier sagen, dass die Quellenlage für den mündlichen Umgang miteinander begrenzt ist, und dass das alles künstlerische Interpretationen und Entscheidungen sind, die man als Autor treffen muss, um eine gewisse Stimmung zu erzeugen sowie Charaktere und Figurenkorrelationen zu verdeutlichen.
Das Recht auf Fehde sprichst du in deinen Romanen an, der zweite, der Verrat der Kaufmannswitwe, spielt noch 40 Jahre vor der Fehde an der Havel und es geht ebenfalls um eine Fehde. Was beinhaltete das Fehderecht und wann wurde es abgeschafft?
Fehden waren im Mittelalter ein übliches und akzeptiertes Mittel der Schlichtung, aber auch des politischen Machtspiels. Daher ist es nicht überraschend, dass sie Bestandteil von Erzählungen werden, die zu jener Zeit spielen. Bei der „Letzten Fehde an der Havel“ sind Fehden ein Mittel für Dietrich von Quitzow, um sich selbst zu bereichern und seinen Einfluss zu erweitern. Er bewegt sich im damaligen rechtlich abgesicherten Rahmen, nutzt das System aber für seine Zwecke gezielt aus. Beim „Verrat der Kaufmannswitwe“ kulminiert die Geschichte in einer einzelnen formellen Konfrontation der Grafen von der Mark und des Erzbistums von Köln gegen die Stadt Dortmund, was als „Große Fehde“ in die Geschichte eingegangen ist.
Recherchen über die von dir bisher erzählte Zeit gestalten sich doch sicher schwierig, Wikipedia reicht da bestimmt nicht aus. Wie fängst du das an? Wie lange hast du für die Geschichte von Carl, Mette und Dietrich recherchiert?
Zunächst einmal suche ich mir einen Stoff, der mich interessiert. Meistens zentriert es sich um eine historische Person. Die kann zum Protagonisten oder Antagonisten taugen. Dann wird abgewogen: Gibt es genug Material, um daraus eine Geschichte zu schaffen, die so weit wie möglich auf historischen Fakten steht? Im Fall der „Fehde an der Havel“ habe ich mich erstmal mit der Wikipedia vertraut gemacht. Ich denke, das ist die Einstiegsdroge für die meisten historischen Autoren. Dann habe ich geschaut, was es bereits an literarischer Verarbeitung zum Thema gibt: Theodor Fontane, Karl May, Ernst von Wildenbruch. Das habe ich erstmal alles gelesen und mir dann überlegt, wie ich diesen Stoff persönlich angehen würde und welche Fragen ich dazu zu klären habe. Die meiste Literatur erhalte ich über Antiquariate, z.B. in diesem Fall habe ich mich eingelesen in die Mittelaltergeschichte Berlins, in die landschaftlichen Besonderheiten der historischen Mark Brandenburg, in die Adelsfamilien der Region, das bäuerliche Leben in der Region, in die Biografie des Burggrafen Friedrich, in die Lebensdaten und das Wirken der Quitzow-Brüder, den Konflikt mit den Hohenzollern usw. Erst wenn ich das Gefühl habe, ich habe die wichtigsten Eckpunkte verstanden, entwerfe ich die Geschichte und meine Figuren. Und nebenher versuche ich, die Schauplätze zu besuchen, z.B. Kletzke, Tangermünde, Friesack, Brandenburg an der Havel, Strausberg, die mittelalterlichen Stätten in Berlin und so weiter. Solche Lokalrecherche, selbst wenn nicht mehr viel vorhanden ist aus jener Zeit, hilft noch einmal, ein Gefühl für die Atmosphäre diese Orte zu entwickeln. Wie es scheint, hat sich diese Vorarbeit ausgezahlt: Eine Buchhändlerin in Wandlitz erzählte mir, zwei ihrer Kunden, sie betonte: „Professoren“, hätten die akribische Recherche bemerkt und gelobt. Das macht mich natürlich sehr glücklich, dass es erkannt und gewürdigt wird. Diese Art der Vorarbeit hat ungefähr ein halbes Jahr in Anspruch genommen, würde ich sagen, wobei man ab einem gewissen Zeitpunkt ins Plotten und Schreiben übergeht und dabei auch weiterhin neue offene Fragen zu klären hat, die man so vielleicht so nicht vorhergesehen hat. Will man zum Beispiel in einer Szene den Alltag einer Person beschreiben, steht man auf einmal vor ganz neuen Rechercheaufgaben, die schwieriger sind als die Historie einer historischen und adligen Person nachzulesen.
Carl, die Hauptperson in „Die Letzte Fehde an der Havel“, ist kein durchweg positiver Held. Warum hast du eine Person erschaffen, die auch fragwürdige Dinge tut?
Als ich damals auf der Suche nach einer zündenden Idee war, schrieb ein Leser in einem Internetforum, dass es keine guten historischen Romane zu einfachen Menschen gibt, denn die hätten ja nichts Spannendes erlebt. Da horchte ich sofort auf. Nichts Spannendes? Sind wir nicht alle Menschen, die lieben, hoffen, fühlen? Das war der Auslöser, der dafür gesorgt hat, dass meine Hauptfigur ein einfacher Bauer sein sollte. Mir ist es ausgesprochen wichtig, dass die Figuren nicht einfach „gut“ oder „böse“ sind, das gilt für beide Seiten der Medaille. Ich finde das langweilig und auch nicht authentisch. Kein Mensch im echten Leben ist ausschließlich gut oder böse (außer vielleicht, er ist ein ausgemachter Soziopath, aber das ist die Ausnahme). Viel mehr Gedanken habe ich mir eigentlich nicht zu dem Thema gemacht. Die Geschichte zeigt eine starke charakterliche Entwicklung der Hauptfigur, und seine Taten spiegeln wider, wozu ein Mensch getrieben oder verleitet wird. Meine Testleser waren durchweg positiv eingestellt zu der Figur, auch wenn sie vielleicht nicht alle Entscheidungen guthießen. Selbst das Lektorat hatte da nichts zu bekritteln. Umso erstaunter war ich dann über die Reaktionen der ersten Leser, die ein Problem damit zu haben schienen, dass Carl eben nicht der durchweg positive Held ist. Alle seine Entscheidungen und Handlungen sind konsequent, wie ich denke, und ich empfinde es als realistisch, dass jemand, der unter solchen Bedingungen und in einem solchen Umfeld sozialisiert wird, vielleicht nicht unbedingt mit modernen Auffassungen daherkommt und zum Beispiel seine Blutlinie sehr hoch bewertet und entsprechend reagiert, wenn da hineingepfuscht wird. Das ist mein Anspruch an den historischen Roman, dass die handelnde Figur ein Kind ihrer Zeit ist. Es tat ein wenig weh zu sehen, dass manche Leser dies anders empfanden und das Buch entsprechend nicht so sehr genießen konnten, wie ich mir das eigentlich gewünscht hätte. Andererseits: Carl ist offenbar eine polarisierende Figur, und das kann er nur sein, weil er für die Leser „echt“ ist. Das, denke ich, ist etwas, worauf ich stolz sein kann.
Es gibt Leserinnen und Leser, die mögen es nicht unbedingt, wenn historische Romane mit „faktischer“ Geschichte „überfrachtet“ werden. Letztens las ich mal, dass bei einem wirklich bekannten auflagenstarken historischen Roman eine "schöne fiktive Handlung gefehlt hätte“. Für mich selbst kann es gar nicht historisch genug sein. Ich mag auch keine pseudo-historischen Romane, also zum Beispiel eine Liebesgeschichte, die man auch in die Zukunft hätte legen können. Wie siehst du das Verhältnis von „fiktiv“ und „historisch“?
Der historische Roman ist ja ungemein vielfältig, genauso wie die Geschmäcker der LeserInnen. Für mich persönlich muss in einem historischen Roman immer ein geschichtlicher Kern stecken. Eine historische Kulisse für eine relativ austauschbare Geschichte reicht mir nicht aus, einfach, weil ich nebenher auch ein wenig über die Zeit oder die erwähnten Ereignisse lernen will. Ich denke, der Trick für uns AutorInnen ist es dabei, diese historischen Fakten möglichst verdaulich und spannend aufzubereiten. Dazu gehört dann auch, eine fiktive Erzählung drumherum zu spinnen, je nachdem, was die Geschichte hergibt. Ich habe auch schon einen Roman geschrieben, wo fast alle Charaktere historisch belegt sind, aber selbst hier gibt es natürlich einen künstlerischen Interpretationsrahmen, denn wie Personen damals wirklich waren und welche Einstellungen sie hatten, das ist schwer nachzuvollziehen nach all der Zeit. Es gibt eben nicht nur die eine Wahrheit. Und ich denke, am Ende sind es immer noch Romane und keine Sachbücher, da müssen Charaktere und Figuren auch schon mal ein wenig ausgeklopft und gebogen werden, um einen annehmbaren Spannungsbogen zu erzeugen.
Kennst du die anderen Autoren, die sich in diesem Jahr für den HOMER Literaturpreis versammeln, oder kommst du vor lauter Recherche gar nicht zum Lesen? Ich kenne sie nicht persönlich, aber ich habe natürlich immer ein Auge auf das, was um mich herum passiert. Ich lese viele historische Romane, nicht nur Mittelalter, aus Interesse, aber auch, um den Markt zu verstehen. Ich lese aber nicht nur Historisches, ab und an schmuggelt sich auch mal ein Krimi, ein Thriller oder etwas Zeitgenössisches dazwischen.
Die „letzte Fehde“ ist dein erster veröffentlichter Roman. Was erwartest du für den Abend des 7. Oktober?
Ich freue mich darauf, viele nette KollegInnen, BloggerInnen und VerlagsvertreterInnen kennenzulernen und einfach gemeinsam mit ihnen einen schönen Abend zu erleben. Allein die Nominierung war für mich schon Auszeichnung genug. Ich muss nicht auf der Bühne enden und eine Medaille entgegennehmen, um diese Gala in vollen Zügen zu genießen.
* * *
Vielen lieben Dank, liebe Silke, für diese Ausführlichkeit bei der Beantwortung meiner Fragen. Ich freue mich auf unser Zusammentreffen in Ingolstadt. Bis jetzt habe wir hier wirklich interessante Romane vorgestellt. Da kommen sicher noch ein paar dazu. Ich wünsche dir, dass "Die Fehde..." erfolgreich ist. Sonst war es eben nicht die letzte, von der du geschrieben hast ;)
* Autorenfotos mit freundlicher Genehmigung von Silke Elzner von ihrer Internetpräsenz
© Der Dresdner Bücherjunge
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