am meisten missverstandene Land der Welt
Noa Tishby schreibt in drei Teilen vom Träumen, vom Verwirklichen und vom Sein. Traum, das steht für den Traum der Juden von einer eigenen Heimstatt, ein Ziel, welches mit Entstehung des Zionismus auf die weltpolitische Tagesordnung gehoben wurde. (Theodor Herzl: Der Judenstaat).
Die Geschichte der Autorin, eine "kurze" Geschichte des Landes Israel, den nahen Ostens und des Zionismus ist Inhalt des ersten Kapitels. Besonders interessant sind dabei die Hinweise auf einen gewissen E.T. Lawrence, besser bekannt als Lawrence of Arabia, der mit einem arabischen Prinz namens Faisal befreundet war. Lawrence setzte sich für gute Beziehungen zwischen Juden und Arabern ein: Bei den Treffen zwischen Prinz Faisal und Dr. Chaim Weizmann (Anführer der zionistischen Bewegung und erster Präsident des späteren Israels) fungierte er als Vermittler. Man stelle sich das heute vor: Ein Brite vermittelt zwischen Juden und Arabern. Wie kompliziert war dagegen die Lage in den Jahren 1947/48.
Tishby zitiert aus einem Brief Faisals an Weizmann, lest den Text im nächsten Bild.
Das ist das Thema des zweiten Teils indem das ständige Tauziehen zwischen Krieg und Frieden behandelt wird. Tishby betont deutlich, dass sie als linke Zionistin den Siedlungsbau sehr kritisch betrachtet und macht gleichzeitig deutlich, dass israelische Araber in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens die gleichen Rechte wie die israelischen Juden und andere religiöse Minderheiten haben.
Was sie allerdings nur nebenbei erwähnt, ist, dass terroristische jüdische Organisationen wie Lechi und Irgun, letztere unter Anderen geführt von Menachem Begin (späterer Außenminister und Ministerpräsident) Attentate gegen die britische Besatzungsmacht und gegen arabische Gruppen durchführten.
Wie diese Staatsgründung ablief, im Vorfeld und in der Folge, habe ich mehrfach hier im Blog behandelt. Eine beachtenswerte und kritische Darstellung liefert Tom Segev in seinen Büchern, zum Beispiel in Die ersten Israelis und Es war einmal ein Palästina. Welche Bedingungen in Palästina herrschten zeigen neben den vielen Büchern auch solche Filme wie EXODUS und vor allem GELOBTES LAND.
Sein. Die Gegenwart. Die Themen, mit denen sich Noa Tishby im dritten Kapitel beschäftigt sind Rassismus, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Im Zentrum steht dabei der sogenannte BDS. Das steht für Boycott, Divestment, Sanctions. Das ist der geforderte Wirtschaftskrieg gegen das Land, dessen Sicherheit nach einem vielzitierten Satz der Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel Staatsräson für Deutschland ist.
Drei Ziel verfolge der BDS: Da wäre erstens die Forderung nach dem Ende der israelischen Besetzung und Kolonialisierung allen arabischen Landes. Dies beträfe dann vor allem Gaza, Golan und Teile des Westjordanlandes. Das klingt im ersten Moment harmlos, meint die Autorin, jedoch ist es vor allem bewusst undurchsichtig beschrieben. Zweitens wird die Forderung nach vollständiger Gleichberechtigung der arabisch-palästinensischen Bürger Israel. Tishby verweist mehrfach darauf, dass israelische Staatsbürger gleiche Rechte und Pflichten haben (fast, bezogen auf ultraorthodoxe Juden) und arabische Interessen vertretende Parteien in der Knesseth eine bedeutende Rolle spielen.
Das dritte Ziel ist die Rückkehr aller palästinensischer Flüchtlinge. Hier wird esinteressant. Segev hat in Die ersten Israelis beschrieben, dass palästinensische Araber teilweise aus den arabischen Orten und Stadtteilen vertrieben und in Lagern zeitweise interniert wurden. An jüdisch-extremistische Kampfgruppen, die abseits der Regeln der Haganah und der späteren IDF (Verteidigungsstreitkräfte), wurde weiter oben bereits verweisen.
Gleichzeitig beschreibt Noa Tishby aber ein eher nicht bekanntes Problem, dass der "Vererbung" des Flüchtlingsstatus. Weil die Familien aus Furcht das zukünftige Israel verließen, kamen sie, insbesondere im Libanon in Flüchtlingscamps unter, in den sie teilweise seit Jahrzehnten ausharren – politisches Argument der Gegner Israels. Eine Art Integration in den arabischen Nachbarstaaten wurde nie versucht. Durch die Nachkommen haben nun über fünf Millionen den Flüchtlingsstatus, gezählt durch die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East). Palästinensische Flüchtlinge werden, so die Autorin, separat gezählt. (Für alle "anderen" Flüchtlinge auf der Welt ist wohl der Hohe Flüchtlingskommissar der UN - UNHCR - zuständig.)
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Dies sind Felder, welche Noa Tishby explizit benennt, Felder, welche eher weniger im Bewusstsein europäischer Zeitungsleser stehen, genau dafür hat sie ja ihren "Faktencheck" geschrieben. Das macht dieses Buch auch interessant, es weitet den Blick auf diesen Konflikt, der auch in den nächsten Jahren nicht so schnell ad acta gelegt werden kann.
Nach Noa Tisby wird sich Israel dem Frieden und dem friedlichen Zusammenleben in dem Moment direkt stellen, indem die Hamas und radikale palästinensisch-arabische Kräfte das Ziel, Israel zu vernichten, fallen lassen.
Die Art und Weise in dem die meist im Ausland lebende Autorin ihr Land, die Leute und die Ereignisse beschreibt, finde ich erfrischend und offen, ein lebendiges Sachbuch, welches sich hervorragend einordnen lässt in andere Sachbücher zum Thema.
Israel Thema auf Litterae - Artesque |
Ich danke Literaturtest für das Rezensionsexemplar.
- DNB / Randomhouse, Gütersloher Verlagshaus / Gütersloh 2022 / ISBN: 978-3-579-06282-2 / 398 Seiten
Lebendiges Sachbuch klingt gut!
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