Dienstag, 7. Februar 2023

Schütt, Rüdiger: Gorch Fock - Die Biografie

Gorch Fock dürfte heute den meisten „nur“ bekannt sein als Name für ein Segelschiff. Vielleicht weiß auch jemand, dass es mehrere Segelschiffe dieses Namens gab. Zwei gibt es aktuell und das auf dem 10 D-Mark-Schein fährt noch über die Weltmeere mit künftigen Offizieren der Bundesmarine als Kadetten an Ort. 

Gorch steht für Georg und Fock für den Familiennamen der Großmutter von Johann Wilhelm Kinau (1880 - 1916). Dieser hat unter dem Pseudonym Gorch Fock im Jahr 1912 den Roman Seefahrt ist not! herausgebracht und wurde damit berühmt.

Der Titel des Romans gab daher auch den Titel für die Biografie über den niederdeutschen Schriftsteller, der viele seiner Stücke auch in Plattdeutsch verfasste. Nun wurde der Roman zuletzt im Input – Verlag als Band 3 der Reihe Perlen der Literatur verlegt. Das Lesen des Romans führt fast zwangsläufig zur Beschäftigung mit dessen Autor, daher war der Fund der Biografie in der wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG) die logische Folge nach der Buchbesprechung von Seefahrt ist not!

Der Roman, der einst aus dem deutschen Deutsch- oder Literaturunterricht nicht wegzudenken war, spielte nach dem 2. Weltkrieg keine große Rolle mehr, auch wenn der Name des Autors das Segelschulschiff ziert und eine Nichte 1958 die Champagnerflasche an den Bugspriet warf.


 

„Es ist vor allem die NS-Rezeption seines von Helden durchsetzten Werkes, die heute eine unvoreingenommene “Beschäftigung mit Gorch Fock erschwert. Das Spektrum der Urteile über ihn ist breit gefächert und reicht vom ‚blutigen Militaristen‘ und ‚Vordenker des Nationalsozialismus’ bis zum ‚genialen Abenteuerschriftsteller‘ und ‚Erneuerer der niederdeutschen Literatur‘“ (Vorwort Seite 7)


Schütt nimmt sich vor, 100 Jahre nach dem Tode des Johann Kinau, Gorch Fock neu zu bewerten, wobei er den „Vermittler spezifischer Kultur- und Zeitgeschichte“ würdigen will. Einen Repräsentanten „einer bei Ausbruch des Krieges [WK I] jungen Generation von Kulturschaffenden, die blind begeistert für Volk und Vaterland ihr Leben ließen.“ (Vorwort)


* * *

Rüdiger Schütt geht in vierzehn Kapiteln auf das Leben und Schreiben des Johann Kinau ein, den er selbst nur Gorch Fock nennt. Dabei sind 9 Kapitel seinem Leben, die weiteren Kapitel der Wirkung von Person und Werk gewidmet.



Vater / Ewer in Finkenwerder / Vaterhaus



Der niederdeutschen Literatur gerade in der Hamburger Gegend, diesbezüglichen Vereinen, den Beiträgen des Gorch Fock, Gedichten, Szenen und kleinen Theaterstücken wird hier viel Raum gegeben, ebenso den Förderern des Dichters.

Im Vorfeld des 1. Weltkrieges werden auch die nationalistischen Gedanken Gorch Focks sichtbar. Mit Begeisterung wird er Soldat, eigene Erlebnisse führen aber zu einer gewissen Ernüchterung. Den mittlerweile bekannten Dichter will dann auch die Marine haben.



"...dat Gott - England strofen kann!"


Dazu meint der Biograf:
„Nachdem er den Landkrieg zuletzt aus der zweiten Reihe erlebt hat und sich blockiert fühlte ‚wie ein Schiff auf dem Schlick‘, will er nun ‚den Seekrieg mit ganzer Seele erfassen‘...
Gorch Fock fühlt sich ganz in seinem Element und ist glücklich, an die Familientradition anknüpfen zu können. Für ihn scheint der Zeitpunkt gekommen, an dem der seekranke Johann Kinau und der ‚Dichter der See‘ Gorch Fock miteinander verschmelzen können.“ 
(vgl. Seite 133)

Bei der Marine trifft er auch den Bruder Rudolf wieder. Dieser wird später, wie auch Aline Bußmann, die Werke des 1916 Gefallenen redigierend herausgeben, was heißt, einerseits die Tagebuchnotizen zu einem „lesbaren“ Text zu formen und dabei die schrecklichen Erlebnisse entweder zu entschärfen oder wegzulassen.



Rudolf und Johann Kinau



Dies führt dann nicht unmaßgeblich zu einer besonderen Beachtung im Literaturbetrieb der Nationalsozialisten. Der Rezensent meint, dass diese Beachtung auch ohne das Zutun von Bruder und ehemaliger Geliebten denkbar war, die Beschäftigung mit dem Dichter nach Ende der NS-Zeit aber vielleicht leichter gewesen wäre.

Neben der Taufe des Segelschulschiffs gab es durchaus ein „literarisches Nachleben“ des Gorch Fock, zwanzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges zählten seine Texte noch zur Schullektüre, allerdings nur in der Bundesrepublik. (Vgl. Seite 186/187)

Der Nachlass ist ziemlich groß, trotzdem ist der Name, obwohl für allerlei Werbung (Lebensmittel, ein Intercity) verwendet, literarisch kaum bekannt.

Mit den Widersprüchen seiner Zeit und in sich selbst, so Rüdiger Schütt, konnte Johann Kinau alias Gorch Fock schlecht umgehen. Die Heldenverehrung, im Gegensatz zum Niedergang der Finkenwerder Fischer, die Kriegsbegeisterung bei gleichzeitiger Erahnung der Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges, wie auch sein Doppelleben (Familienmensch Johann Kinau / Dichter und Held Gorch Fock) zeigen einen zwiegespaltenen Menschen. Vielleicht hätte, bei Überleben des Krieges, ein zweiter Ernst Jünger aus ihm werden können, dem eine Art „Stahlgewitter im Skagerrak“ gelungen wäre. Oder der Schriftsteller wäre als „Kriegszitterer“ verstummt. (Vgl. Seite 194)

* * *

Nach dem eindrucksvollen Roman Seefahrt ist not! war das „Nachlesen“ für den Blogger hier „zwingend“ erforderlich. Die Ambivalenz des Schriftstellers sollte uns nicht abhalten, die Werke zu lesen, der Mundart zu lauschen und eben die Gegensätzlichkeit zu verstehen.

Gerade die 224seitige Biografie kann die Leserin, den Leser wieder heranführen und gleichzeitig deutlich machen, welche Folgen nationalistische Ideen in der Literatur haben können, besonders, wenn sie durch entsprechende Kräfte verstärkt propagiert werden. Gleichzeitig wird zu verstehen sein, dass Menschen in ihrer Zeit handeln und denken und auch, wenn bestimmte Ansichten und Haltungen heute zu verurteilen sind, andere Werke nicht in der Versenkung verschwinden müssen.

Insofern werden wir die umfangreiche Literaturliste nicht abarbeiten müssen, wenn wir uns neben dem „Fischerroman“ einige Gedichte und Prosatexte ansehen. Die Biografie von Rüdiger Schütt ist dabei eine große Hilfe.

* * *


Rüdiger Schütt, geb. 1966, Dr. phil., ist Literaturwissenschaftler und Wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universität Kiel. Er wurde in Hamburg mit einer Biographie über Hans Leip promoviert und verfasste zahlreiche Bücher über Autoren des 19. und 20. Jh., darunter Gorch Fock, Richard Dehmel, Kurt Hiller, Detlev von Liliencron, Peter Rühmkorf und Feridun Zaimoglu.




  • DNB / wbgTheiss / Darmstadt 2016 / ISBN: 978-3-650-40123-6 / 224 Seiten
  • Collagen unter Verwendung der Aufnahmen in der Biografie

© Der Bücherjunge



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