Donnerstag, 23. Februar 2023

Braig, Maria: Amra und Amir

Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag wird die in Deutschland aufgewachsene Amra in den Kosovo, das Herkunftsland ihrer Eltern, abgeschoben. Sie kennt weder das Land noch die Sprache und findet sich plötzlich ohne Geld, Wohnung und Arbeit in einer völlig unbekannten Welt wieder. Ihr bleibt nur das Leben auf der Straße. Um sich zu schützen schlüpft sie in die Rolle des Jungen Amir, der sich als Müllsammler und Gelegenheitsjobber durchschlägt. Neben dem alltäglichen Überlebenskampf muss sie sich schon bald auch mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen: Ist sie mehr Amra oder mehr Amir? Mehr Frau oder mehr Mann? Oder muss sie sich vielleicht gar nicht entscheiden? (Klappentext)
 
 DNB / epubli / 2021 / ISBN: 978-3754102213 / 220 Seiten
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 ABSCHIEBUNG...

Der Klappentext verrät schon großzügig, um was es in diesem Buch geht. Amra wurde in Deutschland geboren, beide Eltern im Krieg geflüchtet aus dem Kosovo. Sie kennt nichts anderes als Deutschland, ist dort zur Schule gegangen, macht gerade eine Ausbildung als Automechatronikerin und genießt die Treffen mit ihren Freund:innen. Da erreicht sie kurz nach ihrem achzehnten Geburtstag ein Brief: sie wird abgeschoben in den Kosovo. Amra ist der Sprache nicht mächtig, steht dort vor dem Nichts - und kann doch nichts gegen diese Entscheidung ausrichten. Schnell wird ihr klar, dass sie als Frau keine Chance haben wird, ein selbständiges Leben zu führen. Der Bruder ihrer Mutter sucht schon nach einem passenden Ehemann für sie. Doch Amra beschließt, sich dem Rollenbild nicht zu beugen und verschwindet spurlos. Verkleidet als junger Mann, der sich fortan Amir nennt. Mehr schlecht als recht schlägt der sich durch, lebt von Gelegenheitsjobs, dem Versetzen von Gegenständen von der Müllhalde sowie dem Beschaffen von Lebensmitteln aus Containern. Und verzehrt sich nach seinen Freund:innen in Deutschland, ebenso wie nach der Mutter. Die Zurückgebliebenen bleiben jedoch nicht untätig, sondern bemühen sich, Amra nach Hause zurückzuholen. Egal auf welchem Weg...

Zu Beginn des Romans empfand ich die Gefühle Amras angesichts der schockierenden Nachricht als absolut authentisch und eindringlich. Tragische und gnadenlose Umstände schüren die Verzweiflung, die Ohnmacht, die Resignation. Diese Bedrücktheit sowie die Intensität der Gefühle lässt im Laufe der Lektüre jedoch nach. Amra findet sich zwangsläufig mit ihrer Situation ab, widmet sich dem Überleben und dem Versuch, die ganze Situation möglichst unbeschadet zu überstehen. Die Auf und Abs der weiteren Entwicklung bieten einige Überraschungen, letztendlich jedoch keine wirkliche Lösung und zufriedenstellende Zukunftsperspektive. Das vage gehaltene Ende empfand ich als unangenehm, jedoch gleichzeitig auch als durchaus passend.

Die Autorin beleuchtet hier jedoch nicht nur die komplexen Zusammenhänge von Flüchtlings- und Asylverfahren mit dem Hintergrund traumatischer Erlebnisse, die seinerzeit zur Flucht führten. Gleichzeitig verknüpft Maria Braig damit auch Amras geschlechtliche Identitätssuche sowie ihre Vorlieben hinsichtlich möglicher Sexualpartner:innen, was mir entwas aufstieß. Weshalb noch mehr "Drama"? Gefühlt jeder Roman, der etwas auf sich hält, widmet sich auf irgendeine Weise unbedingt auch der Genderfrage. Natürlich, ebenfalls ein wichtiges Thema. Aber weshalb immer alles auf einmal? Mir hätte die Konzentration auf die Abschiebung und die damit verbundenen Hintergründe hier durchaus gereicht.

Der Roman lässt sich flüssig lesen, scheint mir als Jugendbuch sehr geeignet zu sein. Er reißt ein bedeutsames Thema an, das trotz der immer wiederkehrenden Flüchtlingswellen in Deutschland unbedingt eines bleiben sollte, das in den Fokus gerückt wird. Damit die Menschlichkeit eine Chance erhält. Mich lässt der Roman jedenfalls nachdenklich zurück...


© Parden

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Maria Braig wurde 1957 in Isny im Allgäu geboren und verbrachte dort die ersten neunzehn Lebensjahre. Anschließend studierte sie Germanistik, Geschichte und empirische Kulturwissenschaft in München und Tübingen. Sie lebt heute in Osnabrück. (Quelle: epubli)
 
 
 
 
 

1 Kommentar:

  1. Das wäre mir wohl auch so gegangen, das ich das Thema Geschlechteridentität als störend empfunden hätte. Aber man muss Autoren und Autorinnen schon überlassen, welches Thema, wie viele Themen in Botschaften verpackt werden sollen.

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