Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag wird die in Deutschland
aufgewachsene Amra in den Kosovo, das Herkunftsland ihrer Eltern,
abgeschoben. Sie kennt weder das Land noch die Sprache und findet sich
plötzlich ohne Geld, Wohnung und Arbeit in einer völlig unbekannten Welt
wieder. Ihr bleibt nur das Leben auf der Straße. Um sich zu schützen
schlüpft sie in die Rolle des Jungen Amir, der sich als Müllsammler und
Gelegenheitsjobber durchschlägt.
Neben dem alltäglichen Überlebenskampf muss sie sich schon bald auch mit
ihrer eigenen Identität auseinandersetzen: Ist sie mehr Amra oder mehr
Amir? Mehr Frau oder mehr Mann? Oder muss sie sich vielleicht gar nicht
entscheiden? (Klappentext)
DNB / epubli / 2021 / ISBN: 978-3754102213 / 220 Seiten
ABSCHIEBUNG...
Der Klappentext verrät schon großzügig, um was es in diesem Buch
geht. Amra wurde in Deutschland geboren, beide Eltern im Krieg
geflüchtet aus dem Kosovo. Sie kennt nichts anderes als Deutschland, ist
dort zur Schule gegangen, macht gerade eine Ausbildung als
Automechatronikerin und genießt die Treffen mit ihren Freund:innen. Da
erreicht sie kurz nach ihrem achzehnten Geburtstag ein Brief: sie wird
abgeschoben in den Kosovo. Amra ist der Sprache nicht mächtig, steht
dort vor dem Nichts - und kann doch nichts gegen diese Entscheidung
ausrichten. Schnell wird ihr klar, dass sie als Frau keine Chance haben
wird, ein selbständiges Leben zu führen. Der Bruder ihrer Mutter sucht
schon nach einem passenden Ehemann für sie. Doch Amra beschließt, sich
dem Rollenbild nicht zu beugen und verschwindet spurlos. Verkleidet als
junger Mann, der sich fortan Amir nennt. Mehr schlecht als recht schlägt
der sich durch, lebt von Gelegenheitsjobs, dem Versetzen von
Gegenständen von der Müllhalde sowie dem Beschaffen von Lebensmitteln
aus Containern. Und verzehrt sich nach seinen Freund:innen in
Deutschland, ebenso wie nach der Mutter. Die Zurückgebliebenen bleiben
jedoch nicht untätig, sondern bemühen sich, Amra nach Hause
zurückzuholen. Egal auf welchem Weg...
Zu Beginn des Romans empfand ich die Gefühle Amras angesichts der
schockierenden Nachricht als absolut authentisch und eindringlich.
Tragische und gnadenlose Umstände schüren die Verzweiflung, die
Ohnmacht, die Resignation. Diese Bedrücktheit sowie die Intensität der
Gefühle lässt im Laufe der Lektüre jedoch nach. Amra findet sich
zwangsläufig mit ihrer Situation ab, widmet sich dem Überleben und dem
Versuch, die ganze Situation möglichst unbeschadet zu überstehen. Die
Auf und Abs der weiteren Entwicklung bieten einige Überraschungen,
letztendlich jedoch keine wirkliche Lösung und zufriedenstellende
Zukunftsperspektive. Das vage gehaltene Ende empfand ich als unangenehm,
jedoch gleichzeitig auch als durchaus passend.
Die Autorin beleuchtet hier jedoch nicht nur die komplexen
Zusammenhänge von Flüchtlings- und Asylverfahren mit dem Hintergrund
traumatischer Erlebnisse, die seinerzeit zur Flucht führten.
Gleichzeitig verknüpft Maria Braig damit auch Amras geschlechtliche
Identitätssuche sowie ihre Vorlieben hinsichtlich möglicher
Sexualpartner:innen, was mir entwas aufstieß. Weshalb noch mehr "Drama"?
Gefühlt jeder Roman, der etwas auf sich hält, widmet sich auf
irgendeine Weise unbedingt auch der Genderfrage. Natürlich, ebenfalls
ein wichtiges Thema. Aber weshalb immer alles auf einmal? Mir hätte die
Konzentration auf die Abschiebung und die damit verbundenen Hintergründe
hier durchaus gereicht.
Der Roman lässt sich flüssig lesen, scheint mir als Jugendbuch sehr
geeignet zu sein. Er reißt ein bedeutsames Thema an, das trotz der immer
wiederkehrenden Flüchtlingswellen in Deutschland unbedingt eines
bleiben sollte, das in den Fokus gerückt wird. Damit die Menschlichkeit
eine Chance erhält. Mich lässt der Roman jedenfalls nachdenklich
zurück...
© Parden
Maria Braig wurde 1957 in Isny im Allgäu geboren
und verbrachte dort die ersten neunzehn Lebensjahre. Anschließend
studierte sie Germanistik, Geschichte und empirische Kulturwissenschaft
in München und Tübingen.
Sie lebt heute in Osnabrück. (Quelle: epubli)
Das wäre mir wohl auch so gegangen, das ich das Thema Geschlechteridentität als störend empfunden hätte. Aber man muss Autoren und Autorinnen schon überlassen, welches Thema, wie viele Themen in Botschaften verpackt werden sollen.
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