Montag, 27. Mai 2019

Hartmann, Lukas: Der Sänger

Ein weiterer Roman aus dem Diogenes Verlag fand freundlicherweise den Weg zu mir durch eine Leserunde bei Whatchareadin. Dafür einmal mehr ein herzliches Dankeschön!

Joseph Schmidt - um diesen einst berühmten Sänger geht es in diesem Roman, d.h. im Wesentlichen um seine letzten Lebensmonate. Wieder ein Buch gegen das Vergessen, das diesmal die Rolle der Schweiz in den Fokus rückt. Und ein Buch mit einem erschreckend aktuellen Bezug. Weshalb? Das erfahrt Ihr hier:






Inhalt: (Quelle: Diogenes Verlag)

Seine Stimme füllte Konzertsäle, betörte die Damenwelt, eroberte in Deutschland, Europa, Amerika ein Millionenpublikum. Joseph Schmidt, Sohn orthodoxer Juden aus Czernowitz, hat es weit gebracht. 1942 aber gelten Kunst und Ruhm nichts mehr. Auf der Flucht vor den Nazis strandet der berühmte Tenor, krank, erschöpft, als einer unter Tausenden an der Schweizer Grenze. Wird er es sicher auf die andere Seite schaffen?











EIN LEBEN FÜR DIE MUSIK...



Ein weltberühmter Tenor war Joseph Schmidt in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch mit der Herrschaft der Nazis begann sein Stern zu sinken - denn Joseph Schmidt war Jude. Er floh von Land zu Land, bis ihm 1942 nur noch die Schweiz blieb. Doch die war zu der Zeit den jüdischen Flüchtlingen längst nicht mehr wohlgesonnen. Es war schwierig, überhaupt über die Grenze zu gelangen, und einmal geschafft, wurden die meist ohnehin geschwächten Flüchtlinge in Auffanglager gesteckt - bis zur Entscheidung, ob sie im Land verbleiben konnten oder nicht.

Lukas Hartmann beschränkt sich in seinen Schilderungen im Wesentlichen auf die letzten Monate im Leben Joseph Schmidts (1904-1942). Er zeichnet die aus der Biografie bekannten Stationen seiner Flucht nach, die Begegnungen, die Krankheit, die Ereignisse. Dabei gewährt er jedoch durch eingewobene Erinnerungen des Tenors auch Einblicke in dessen Vergangenheit - seine Kindheit, die Jugend, die Zeit seiner Berühmtheit.

So entsteht sukzessive das Bild eines Sängers, der im Grunde nur für seine Musik gelebt hat - abseits der Bühne wirkt er in den letzten Monaten seines Lebens wie ein Verlorener. In der Vergangenheit genoss er den Ruhm, die Frauen, das Beisammensein - aber er blieb stets ein Reisender, der für seine Handlungen nie die Verantwortung übernahm. Auf der Bühne jedoch war er trotz seiner geringen Körpergröße von 1,54 m ein stimmgewaltiger Star, von den Massen bejubelt.

In der Vergangenheit stets nur die Musik im Sinn, fügt sich Schmidt den Gegebenheiten als Flüchtling, auch in seine Krankheit, setzt dem jedoch kein neues Ziel entgegen. Er versinkt in Krankheit, Melancholie und Erinnerungen, hat dabei nur anfangs noch die leise Hoffnung, dass sich für ihn einmal wieder alles zu einem kleinen Stückchen Glück fügen möge. Die Welt, für die der Sänger geboren war, die gibt es einfach nicht mehr - er hat seinen Platz in der Welt verloren.

Bei all den bekannten Fakten aus der Biografie bleibt doch viel Spielraum, den der Autor mit seinem Bild von dem weltberühmten Tenor gefüllt hat. Hartmanns Vorstellungen der Gedanken- und Gefühlswelt des Sängers finden hier ebenso ihren Platz wie erdachte Gespräche und Begegnungen. Vor allem die Schlussszene geriet dadurch in meinen Augen arg konstruiert und nicht durchweg vorstellbar. Allerdings war sie auch sehr atmosphärisch und passte in ihrer Filmreife dann doch wieder zu der Bühnenfigur Joseph Schmidt.

"Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen..." (S. 194)


Die Schweiz. Vorschriften und Erlasse zum Wohle des Volkes. Grenzschließung. Abweisung der Flüchtlinge. Heimlicher und weniger heimlicher Antisemitismus. Auch dies ist Inhalt des Romans von Lukas Hartmann. Während Joseph Schmidt immer wieder Menschen begegnet, die erkennen, wie schlecht es ihm geht, und Gesten der Hilfsbereitschaft folgen lassen, egal wie hart ihr eigenes Los gerade ist, macht der Tenor die Erfahrung, dass diejenigen, die ihm wirklich helfen könnten - Politiker, Ärzte - genau diese Hilfeleistung unterlassen. Lukas Hartmann gelingt es subtil, diese Gegensätze kristallklar herauszuarbeiten und damit die verzweifelte Lage des Sängers unmissverständlich zu verdeutlichen.

Wem bei der Lektüre Parallelen zur aktuellen Flüchtlingsproblematik in den Sinn kommen - der mag damit auch richtig liegen. Tatsächlich erinnern viele der vorgebrachten Argumente der Schweizer Politiker an die heutige Diskussion hinsichtlich des Umgangs mit der Flüchtlingsschwemme. Und auch das Schließen von Grenzen scheint sich nicht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zu beschränken. Insofern nicht nur ein historischer Roman, sondern auch einer, der an hochaktuellen Themen kratzt...

Alles in allem ein leiser aber unbequemer Roman, der neugierig werden lässt auf die Biografie Joseph Schmidts und seine Kunst, der aber auch daran gemahnt, dass Vergangenes aktueller sein kann als einem lieb ist...


© Parden











Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (24. April 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3257070527
  • ISBN-13: 978-3257070521



Informationen zum Autor: (Quelle: Diogenes Verlag)

Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und für Kinder. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Schweiz und steht mit seinen Romanen, zuletzt ›Ein Bild von Lydia‹, regelmäßig auf der Bestsellerliste.


4 Kommentare:

  1. Ja, die "großen" Demokratien und die Flüchtlinge aus Deutschland und dem besetzten Europa: gerade einmal 17300 und ein paar mehr ließen 1943 die USA einwandern. Selbst eben die Schweiz, überall dasselbe, keiner wollte sie haben. Gegen das Vergessen. Es ist dringend notwendig.

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  2. Dass wir aber auch NIE aus der Geschichte lernen! Dass sich all die Sachen wieder wiederholen ist doch zum Heulen, oder?

    Eine schöne Rezension! Ich habe das Buch auch schon im Auge und hoffe es bald lesen zu können.
    GlG, monerl

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    1. Ich bin gespannt, wie es Dir gefällt! Danke für den netten Kommentar hier! :)

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