Eine kleine Leserunde bei Lovelybooks gab es zu diesem interessant klingenden Buch, und ich hatte das Glück zu denjenigen zu gehören, die dafür ein Leseexemplar erhielten. Dafür meinen herzlichen Dank!
Wer unseren Blog verfolgt, der wird wissen, dass hier Bücher 'Gegen das Vergessen' immer wieder aufgegriffen werden. Die Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges war für viele Menschen prägend, für die verfolgten und ermordeten Juden eine unfassbare Epoche, viele Täter stellten sich auch im Nachhinein noch als 'unblehrbar' heraus. Den Krieg aus Sicht eines Soldaten an der Front geschildert zu bekommen, ist dabei eine weitere Perspektive, in die ich zumindest bislang kaum je die Möglichkeit eines Einblicks erhielt. Insofern war ich sehr gespannt auf das Buch. Ob meine Erwartungen erfüllt wurden?
Inhalt: (Quelle: Kremayr & Scheriau )
Als ORF-Korrespondent Ernst Gelegs den Nachlass von „Tante Hansi“
sichtet, stößt er auf einen unscheinbaren Karton. Darin enthalten:
fast 100 Briefe von Leonhard Wohlschläger, Sohn des renommierten
Architekten und Wiener Stadtpolitikers Jakob Wohlschläger, und Bruder
von Tante Hansi. Schnell wird klar: Die Briefe, datiert zwischen 1933
und 1944, die meisten adressiert an seine Mutter, sind ein spannendes
und detailliertes Zeitdokument. Detektivisch folgt Ernst Gelegs der
bewegten Familiengeschichte der Wohlschlägers, in deren Zentrum
„Hallodri“ Leonhard steht. Sie führt über die Jahrhundertwende in Wien
über den Ersten Weltkrieg bis hin zum „Anschluss“ Österreichs und in die
Wirren des Zweiten Weltkriegs. Anhand von Leonhards privater
Korrespondenz sowie der Feldpost eröffnet sich ein Paradox: Auf der
einen Seite spricht hier ein junger, lebenslustiger Sohn, Bruder und
Ehemann, auf der anderen Seite erlebt er als Soldat mit klarem Blick das
Kriegsgeschehen an der Front. Einfühlsam balanciert Gelegs im
Spannungsfeld zwischen Privatheit und den Zeitläuften der
Weltgeschichte.
VON EINEM DER AUSZOG, ES SICH IM KRIEGE GEMÜTLICH ZU MACHEN...
Quelle: Pixabay |
Die Briefe eines Frontsoldaten - natürlich erwartete ich hier
bedrückende Einblicke in das Kriegsleben, in eine von Traumata
gezeichnete Seele, die die Gräuel des Krieges irgendwie auch an der
Zensur vorbei ausdrücken würden. Tatsächlich aber entpuppten sich diese
Briefe für mich als wenig aussagekräftig in dieser Hinsicht und
offenbarten eher den Charakter seines Schreibers.
Etwa 100 Feldpostbriefe (überwiegend aus den Jahren 1933-1944) wurden von der Schwester Leonhard Wohlschlägers durch die Jahre gerettet und gehörten mit der gesamten Wohnungseinrichtung zu dem überraschenden Erbe, das nach dem Tod dieser Schwester den Eltern von Ernst Gelegs zufiel. Der Autor geriet durch seine Mithilfe bei der Wohnungsauflösung an diese Briefe und kam Dank seiner Frau auf die Idee, hieraus eine zeitdokumentarische Zusammenstellung zu gestalten.
Chronologisch präsentiert der Autor in diesem Buch einen Teil der gefundenen Briefe, unterbricht die Darstellung dabei immer wieder durch kurze Einschübe mit Schilderungen der damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, was die Geschehnisse in den passenden Kontext eingliedert. Dies empfand ich beim Lesen als hilfreich und informativ. Eingebettet in den Text befinden sich auch zahlreiche Fotos sowie Abdrucke von Briefausschnitten Leonhards, Dokumente und Karten.
Leonhard selbst ist ein - Lebenskünstler. Er ist jemand, der nichts hinterfragt, sondern alles so nimmt wie es eben kommt und versucht, (für sich) das Beste daraus zu machen. Unangenehmen Situationen hat er sich schon in Wien zu Friedenszeiten entzogen, danach versucht er auch im Krieg, sich bestmöglich mit den Gegenbenheiten zu arrangieren. Doch ist ihm deshalb ein Vorwurf zu machen?
Natürlich ist es irritierend zu lesen, wie es Wohlschläger immer wieder gelingt, der Versetzung an die Front zu entgehen und auch ansonsten stets seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Während in den Gräben zigtausende von Soldaten elendig verrecken, bei Stalingrad der Hunger und die Kälte ihren Tribut fordern, lässt sich Leonhard in seinen Briefen darüber aus, dass er mehr als genug zu essen hat und er sich auch ansonsten unter den widrigen Umständen weitestgehend gemütlich einrichtet. Doch noch einmal: ist ihm deshalb ein Vorwurf zu machen?
Ernst Gelegs jedenfalls tut dies, zumindest indirekt. Beispielsweise indem er den Erlebnissen Leonhards während des Zweiten Weltkriegs das Schicksal seines eigenen Großvaters gegenüberstellt, der in Russland an vorderster Front kämpfen musste, dann für lange Jahre in russische Kriegsgefangenschaft geriet und als gebrochener Mann nach Hause kehrte. Der Vorwurf der Ungerechtigkeit schwebt zwischen den Zeilen greifbar mit.
Natürlich stellen die Briefe Leonhard Wohlschlägers keine typischen Kriegserlebnisse zur Schau, sondern vermitteln in erster Linie einen Einblick in den Charakter eines sehr selbstbezogenen jungen Mannes, der schon vor dem Krieg kaum einmal Verantwortung für sein eigenens Handeln übernommen hat, der während des Krieges aber auch noch jegliche Hemmungen verlor. Doch ist eine wachsende Skrupellosigkeit nicht auch eine logische Folge des Krieges? Muss beispielsweise das Töten des Feindes nicht zwangsläufig als eine Notwendigkeit angesehen werden, weil man ansonsten nur noch verzweifeln kann? Und ist der Versuch, die vorderste Kriegsfront zu umgehen, nicht mehr als nachvollziehbar? Außerdem darf man wohl nicht in den Fehler verfallen, die Briefinhalte 1:1 zu lesen - immerhin musste an der Zensur vorbeigeschrieben werden, wodurch vieles ungesagt blieb, das womöglich ein anderes Bild des Soldaten vermittelt hätte.
Damit soll beileibe nichts schöngeredet werden, und tatsächlich war mir der Charakter Leonhard Wohlschlägers aufgrund der Briefauszüge nicht unbedingt sympathisch. Allerdings deutet der Autor an mehreren Stellen an, dass der junge Mann entgegen seiner schriftlichen Äußerungen an seine Mutter und seine Schwester durchaus Ängste, Zweifel und Skrupel verspürt hat, wobei Gelegs auf andere - hier offenbar nicht veröffentlichte - Briefe verweist. Weshalb wurde dem Leser diese Differenzierung des Charakters Leonhard weitestgehend vorenthalten?
Auch andere Behauptungen und Stellungnahmen wurden für mich nur unzureichend mit Quellenangaben versehen, was mich bei einem Sachbuch und einem erfahrenen Journalisten wie Ernst Gelegs doch erstaunt hat. Auch wurde nicht erwähnt oder begründet, weshalb gerade die abgedruckten Briefe für das Buch ausgewählt wurden, andere dagegen nicht. Und was mich beim Lesen zunehmend gestört hat, waren die wiederholten Wertungen und Interpretationen des Autors - nicht allein bezogen auf die Person Leonhards. Sowohl Menschen aus dem familiären Umfeld des jungen Soldaten als auch politische Größen der damaligen Zeit werden von Gelges immer wieder mit negativen Attributen belegt. Er schildert nicht einfach nur, was damals geschah, sondern fügt immer noch sehr subjektiv gefärbte Bezeichnungen für bestimmte Personen und Handlungsweisen hinzu. Hier hätte ich mir einen deutlich objektiveren Standpunkt gewünscht. Immerhin handelt es sich hier um ein Sachbuch! Und die reinen Fakten hätten sicher ausreichend für sich gesprochen.
Der gelungene Aufbau des Buches, seine liebevolle Gestaltung sowie der eloquente Schreibstil nahmen mich sehr für das Buch ein. Die zunehmende Wiederholung der Briefinhalte, die oftmals eingestreuten subjektiven Wertungen und Interpretationen durch den Autor sowie eine unzureichende Quellenangabe, die Aussagen teilweise als bloße Behauptungen erscheinen ließen, stellen für mich allerdings deutliche Minuspunkte dar. Der Charakter Leonhard Wohlschläger ließ mich zudem auch relativ kalt - mein Mitgefühl wurde hier zu keiner Zeit angesprochen. Insofern kann ich hier leider insgesamt nur zu einer mittelmäßigen Bewertung kommen.
Etwa 100 Feldpostbriefe (überwiegend aus den Jahren 1933-1944) wurden von der Schwester Leonhard Wohlschlägers durch die Jahre gerettet und gehörten mit der gesamten Wohnungseinrichtung zu dem überraschenden Erbe, das nach dem Tod dieser Schwester den Eltern von Ernst Gelegs zufiel. Der Autor geriet durch seine Mithilfe bei der Wohnungsauflösung an diese Briefe und kam Dank seiner Frau auf die Idee, hieraus eine zeitdokumentarische Zusammenstellung zu gestalten.
Chronologisch präsentiert der Autor in diesem Buch einen Teil der gefundenen Briefe, unterbricht die Darstellung dabei immer wieder durch kurze Einschübe mit Schilderungen der damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, was die Geschehnisse in den passenden Kontext eingliedert. Dies empfand ich beim Lesen als hilfreich und informativ. Eingebettet in den Text befinden sich auch zahlreiche Fotos sowie Abdrucke von Briefausschnitten Leonhards, Dokumente und Karten.
Leonhard selbst ist ein - Lebenskünstler. Er ist jemand, der nichts hinterfragt, sondern alles so nimmt wie es eben kommt und versucht, (für sich) das Beste daraus zu machen. Unangenehmen Situationen hat er sich schon in Wien zu Friedenszeiten entzogen, danach versucht er auch im Krieg, sich bestmöglich mit den Gegenbenheiten zu arrangieren. Doch ist ihm deshalb ein Vorwurf zu machen?
Natürlich ist es irritierend zu lesen, wie es Wohlschläger immer wieder gelingt, der Versetzung an die Front zu entgehen und auch ansonsten stets seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Während in den Gräben zigtausende von Soldaten elendig verrecken, bei Stalingrad der Hunger und die Kälte ihren Tribut fordern, lässt sich Leonhard in seinen Briefen darüber aus, dass er mehr als genug zu essen hat und er sich auch ansonsten unter den widrigen Umständen weitestgehend gemütlich einrichtet. Doch noch einmal: ist ihm deshalb ein Vorwurf zu machen?
Ernst Gelegs jedenfalls tut dies, zumindest indirekt. Beispielsweise indem er den Erlebnissen Leonhards während des Zweiten Weltkriegs das Schicksal seines eigenen Großvaters gegenüberstellt, der in Russland an vorderster Front kämpfen musste, dann für lange Jahre in russische Kriegsgefangenschaft geriet und als gebrochener Mann nach Hause kehrte. Der Vorwurf der Ungerechtigkeit schwebt zwischen den Zeilen greifbar mit.
Natürlich stellen die Briefe Leonhard Wohlschlägers keine typischen Kriegserlebnisse zur Schau, sondern vermitteln in erster Linie einen Einblick in den Charakter eines sehr selbstbezogenen jungen Mannes, der schon vor dem Krieg kaum einmal Verantwortung für sein eigenens Handeln übernommen hat, der während des Krieges aber auch noch jegliche Hemmungen verlor. Doch ist eine wachsende Skrupellosigkeit nicht auch eine logische Folge des Krieges? Muss beispielsweise das Töten des Feindes nicht zwangsläufig als eine Notwendigkeit angesehen werden, weil man ansonsten nur noch verzweifeln kann? Und ist der Versuch, die vorderste Kriegsfront zu umgehen, nicht mehr als nachvollziehbar? Außerdem darf man wohl nicht in den Fehler verfallen, die Briefinhalte 1:1 zu lesen - immerhin musste an der Zensur vorbeigeschrieben werden, wodurch vieles ungesagt blieb, das womöglich ein anderes Bild des Soldaten vermittelt hätte.
Damit soll beileibe nichts schöngeredet werden, und tatsächlich war mir der Charakter Leonhard Wohlschlägers aufgrund der Briefauszüge nicht unbedingt sympathisch. Allerdings deutet der Autor an mehreren Stellen an, dass der junge Mann entgegen seiner schriftlichen Äußerungen an seine Mutter und seine Schwester durchaus Ängste, Zweifel und Skrupel verspürt hat, wobei Gelegs auf andere - hier offenbar nicht veröffentlichte - Briefe verweist. Weshalb wurde dem Leser diese Differenzierung des Charakters Leonhard weitestgehend vorenthalten?
Auch andere Behauptungen und Stellungnahmen wurden für mich nur unzureichend mit Quellenangaben versehen, was mich bei einem Sachbuch und einem erfahrenen Journalisten wie Ernst Gelegs doch erstaunt hat. Auch wurde nicht erwähnt oder begründet, weshalb gerade die abgedruckten Briefe für das Buch ausgewählt wurden, andere dagegen nicht. Und was mich beim Lesen zunehmend gestört hat, waren die wiederholten Wertungen und Interpretationen des Autors - nicht allein bezogen auf die Person Leonhards. Sowohl Menschen aus dem familiären Umfeld des jungen Soldaten als auch politische Größen der damaligen Zeit werden von Gelges immer wieder mit negativen Attributen belegt. Er schildert nicht einfach nur, was damals geschah, sondern fügt immer noch sehr subjektiv gefärbte Bezeichnungen für bestimmte Personen und Handlungsweisen hinzu. Hier hätte ich mir einen deutlich objektiveren Standpunkt gewünscht. Immerhin handelt es sich hier um ein Sachbuch! Und die reinen Fakten hätten sicher ausreichend für sich gesprochen.
Der gelungene Aufbau des Buches, seine liebevolle Gestaltung sowie der eloquente Schreibstil nahmen mich sehr für das Buch ein. Die zunehmende Wiederholung der Briefinhalte, die oftmals eingestreuten subjektiven Wertungen und Interpretationen durch den Autor sowie eine unzureichende Quellenangabe, die Aussagen teilweise als bloße Behauptungen erscheinen ließen, stellen für mich allerdings deutliche Minuspunkte dar. Der Charakter Leonhard Wohlschläger ließ mich zudem auch relativ kalt - mein Mitgefühl wurde hier zu keiner Zeit angesprochen. Insofern kann ich hier leider insgesamt nur zu einer mittelmäßigen Bewertung kommen.
Ein Sachbuch, das nicht ganz halten konnte, was ich mir davon versprach, das ich mir aber gut als Schullektüre mit einer differenzieren Besprechung vorstellen könnte. Immerhin bietet es einen guten, knappen Überblick über das damalige Zeitgeschehen und zudem die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie man sich selbst womöglich verhalten würde, sollte man in eine vergleichbare Situation wie Leonhard geraten...
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
- Verlag: Kremayr & Scheriau (6. März 2019)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3218011612
- ISBN-13: 978-3218011617
Informationen zum Autor: (Quelle: Kremayr & Scheriau )
Ernst Gelegs, geboren 1960 in Wien, studierte Politikwissenschaften, Publizistik und
Kommunikationswissenschaften. Seit 1980 beim ORF, ab 1996
ORF-Auslandskorrespondent in London. Ab 1998 war Gelegs im Rahmen der
„Zeit im Bild“ als Reisekorrespondent tätig. Er gestaltete Reportagen
und Live-Berichte aus insgesamt 20 Ländern, darunter aus Krisengebieten
wie Irak, Syrien, Nordirland oder den Ländern des ehemaligen
Jugoslawien. Im Jahr 2000 baute er als Auslandskorrespondent das Büro
Budapest auf, das heute unter seiner Leitung als Osteuropabüro des ORF
dient. Von Budapest aus betreut der „echte Wiener“ (mit böhmischer
Großmutter und ungarischen Wurzeln) die Länder Ungarn, Slowakei,
Tschechien, Polen, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Republik
Moldau.
Erneut ein Buch, das positive wie negative Kritik erhält.
AntwortenLöschenDu Querleserin, du.
Ja, nicht jedes Buch kann ein Highlight sein. Aber weshalb sollte man nur solche hier vorstellen? Wenn ich mich für ein Buch entscheide, habe ich ja entsprechende Erwartungen - und wenn diese nicht erfüllt werden, versuche ich meine Eindrücke dazu eben nachvollziehbar zu schildern. :)
LöschenMAMA, ICH LEBE war ein großer Film von Konrad Wolf im Jahr 1976.
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