Freitag, 22. Mai 2020

Thiele, Markus: Echo des Schweigens

Ärzte schreiben Bücher. Polizisten schreiben Bücher. Malermeister schreiben ebenfalls Bücher. Und dann schreiben, natürlich, auch Juristen Bücher. Wir meinen hier nicht, dass sie Fachbücher schreiben, das tun sie vielleicht auch. Hier geht es um belletristische Bücher. Wieder liegt eines vor mir. Der Rechtsanwalt Markus Thiele hat ECHO DES SCHWEIGENS geschrieben. Verwendet hat er einen bekannten Fall, den er verknüpft mit deutscher Geschichte: Dem Holocaust. 

Um was geht es: Der Rechtsanwalt Hannes Jansen hat einen großen Karrieresprung vor sich. Gewinnt er diesen Fall, wird er Partner einer großen Kanzlei. Verteidigen soll er einen Polizeibeamten, der beschuldigt wird, einen Asylbewerber im Polizeigewahrsam angezündet und ermordet zu haben. Es ist nicht der erste Prozess in diesem Fall. Doch jetzt liegt ein neues Gutachten vor, mehr als zehn Jahre nach der Tat: Doktor Sophie Tauber hat festgestellt, dass das Opfer sich keinesfalls selbst entzündet hat, wie ursprünglich behauptet wurde. Durch den Nachweis von Cyanid (Blausäure) und den Verbrennungsgraden kann nur ein Brandbeschleuniger wie Benzin verwendet worden sein. Daher hat ein Polizist nachgeholfen. Doch welcher war das?



Hannes und Sophie kommen sich zufällig näher. Gerade erst ist Sophies Mutter verstorben. In deren Haus fand die Tochter Briefe und Fotos. Lebt ihr Vater vielleicht noch, den sie nicht kennt? Sie macht sich auf die Suche. Milla, die Mutter, hatte eine „Tante“ Daphne. Daphne führte einst das größte Freudenhaus Münchens und dann im KZ ein Bordell... Daphne hat Lea einst versprochen, sich um deren Tochter Milla zu kümmern, wann das einmal vorbei ist. Der Krieg, das Lager. 

Kurz bevor Hannes im Prozess sein Plädoyer beginnt, erhält er neue Beweise. Was soll er tun? Parteiverrat oder Anwaltspflichten folgen? Und dann ist da ja noch Sophies Gutachten. Ebenso ein Beweis und von Sophie leidenschaftlich vertreten. Bewährungsprobe einer neuen Liebe. Aber dies ist nicht alles...

Bild von Arek Socha auf Pixabay 

Der Fall. Im Jahr 2005 war der Tod des Sierra-Leoners Oury Jalloh, der in einer Zelle des Dessauer Polizeigewahrsams verbrannte, in allen Medien. Das sind Ereignisse, die sowohl in der Öffentlichkeit wie in der Polizei sehr genau wahr genommen werden. Wie der Fall des Sudanersers Aamir Ageeb, der 1999 bei einer Rückführung auf dem Luftweg starb, was zu einer breiten Überprüfung polizeilicher Maßnahmen und einem großen Fortbildungsprogramm im Bundesgrenzschutz / der Bundespolizei führte, wurden nach dem tragischem Tod von Jalloh  Gewahrsamräume, Gewahrsamsordnungen unter die Lupe genommen um solche Fälle zukünftig auszuschließen. 
Bedeutsam an diesem hier adaptierten Fall ist die jahrelange Verfolgung in der Justiz und das neue Brandgutachten. Tiehle bewegt sich hier sehr nah an diesem Fall, wie nah, beschreibt er selbst in einem Anhang.

Das Buch. Häufiger werden in letzter Zeit Romane mit verschiedenen Zeitebenen verlegt. Dieses Mittel verwendet Markus Thiele. Der Roman beginnt kurz vor dem Endes des Strafprozesses und springt sofort um ein dreiviertel Jahr zurück, als Sophie die Bestattung ihrer Mutter in die Wege leiten muss. Sodann blicken wir zurück in das Jahr 1938.
Über die Suche Sophies nach ihrem Vater erzählt der Autor vom Verrat eines Bruders an seinem Bruder, der Verfolgung von Juden über das Ende des Nationalsozialismus hinaus. 
Es sind immer nur kurze Kapitel, überschrieben mit Monat und Jahreszahl. Maximal zehn Doppelseiten sind diese lang. Das führt zu häufigen Zeitsprüngen, die in der gedruckten Version leicht zu überblicken sind, schwerer wäre dies vermutlich in einer Hörbuchversion. Das führt zu kurzweiligem Lesen.

Sehr sachlich schildert Tietz fremdenfeindliche Tendenzen in Deutschland, wenn er Sophie im Flieger nach Kanada neben einen Historiker setzt, der in seinem Buch „Der Nationalsozialismus .- es war nicht alles schlecht“ liest. Seltsamer Titel, doch geht es im folgenden Gespräch um Manipulation. 

Während des abschließenden Plädoyers mustert der alte Chef der Anwaltskanzlei die Menschen im Gerichtssaal:
„Boogs setzte sich zu den anderen, die nicht seinesgleichen waren. Er mochte es, sich unters Volk zu mischen. Mehr noch: Heute war er Beobachter, heute war er Kontrolleur, er war nicht Verteidiger, nur Zaungast, er sah zu dem jungen Jansen, der in seiner Robe dastand, den obersten Knopf geschlossen, den Krawattenknoten fest am weißen Hemdkragen, so wie es sich gehörte. Das Volk um Boogs herum: dicke Weiber, die nach Sensation schmachteten, Männer in Polohemden, die einmal den großen Mordprozess erleben wollten - Fernsehzuschauer. Ihre Schlichtheit widerte ihn an, sie hatten keine Ahnung, worum es ging,·verstanden den Film nicht, der vor ihren Augen ablief. Ein Angeklagter, ein Opfer, das qualvoll in Flammen starb, eine Staatsanwältin in ihrer Not und ein Verteidiger, den sie hassen würden, wenn die Tat ungesühnt blieb. Schauspieler in ihren Rollen, sie sollten ein Happy End aufführen. Aber vorher - bitte schön - braucht es eine Show, eine Befriedigung ihrer tiefen Triebe, da kann es auch gern einen Schwarzen geben, den haben die Massen zwar lieb, aber ist er - fragt sich das schlaue Volk- nicht selbst schuld an seinem Tod?“ (336/337)
Das ist die Beobachtung eine über 80jährigen Juristen, niedergeschrieben durch einen Rechtsanwalt in einem Roman. Darin und auch in den folgenden Zeilen steckt sicherlich ein Korn Wahrheit.
„Er musterte die Menschen, die neben ihm saßen und Jansens Worten folgten, einige bestätigten, was er sagte, andere, eine paar Schwarzafrikaner in der Ecke, verneinten es. Die Gutmenschen in der Oberzahl, sie meinen es gut, aber sie bleiben bei ihrer jahrzehntelangen Konditionierung, also skeptisch: Immerhin hatte er randaliert, der Neger, er war besoffen und bekifft gewesen, er hatte um sich geschlagen. Wer würde da nicht zulangen, Polizist hin oder her. Brot und Spiele, das Volk will belustigt werden. Ein randalierender Schwarzer, ein mit Urkunden dekorierter Polizist - wie klar die Welt doch war. Und - Entschuldigung - muss das Volk nicht vor marodierenden Negerbanden beschützt werden? Schließlich war Okeke in jener Nacht mit mehreren seiner Landsleute unterwegs gewesen. Nein, nein, sein Tod ist tragisch, keine Frage, aber muss dafür jetzt ein guter deutscher Familienvater seinen Kopf hinhalten? Einer, der es nach allem, was das hohe Gericht bisher herausgefunden hatte, gar nicht gewesen sein konnte? Es wunderte Boogs nicht, dass eine Frau eine Tupperdose hervorkramte und in ein Vollkornbrot biss. Die schwarze Frau daneben sah ihr fassungslos zu.“  (Seite 337)
Deutliche Worte. Beobachtungen aus Gerichtssälen  in einer Vielzahl von Verhandlungen. Nicht weniger deutlich und auch emotional die Szenen, in denen Lea Rosenbaum mit ihrem Onkel Simon versucht, Deutschland zu verlassen . Nicht weit weg, nur in die Schweiz, dahin, woher sie einst kam.

Wenn ein Jurist einen Roman schreibt, dann sind es die Darstellungen des Prozesses nebst einigen strafprozessrechtlichen „Einlassungen“. Eine der zentralen Fragen ist, wie weit ein Anwalt bei der Verteidigung von Verbrechern gehen muss, wie viel er aushalten muss, wenn er weiß, dass er einen zu Recht Angeklagten verteidigen und dessen Strafe abmildern oder verhindern muss. Thiele löst diese Frage nicht auf, aber er findet eine Art, dem Leser das Problem etwas verständlicher zu machen.  Dafür müsste er nicht notwendigerweise Jurist sein, vermutlich hat es geholfen. Gleichzeitig führt er den Roman damit auf die dramatische Spitze, die dem Leser plötzlich vor die Augen tritt.

Etwas erscheint allerdings, dass er den alten Kanzleichef Boogs verwandtschaftlich mit einem weiteren wahren Fall verbindet, mit dem ehemaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten, der einem Beschuldigten Schmerzen, also Folter, androhte, wenn er nicht erklärt, wo der kleine Jakob von Metzler steckt. Zudem stimmt dies zeitlich nicht überein.

Zwei kleine Fehler zeigen, dass Lektorat eine mühselige Sache ist. Der angeklagte Polizist Winkler kann nicht Polizeiwachtmeister gewesen sein, weil es die gar nicht mehr gibt und Winkler kann auch nicht als 8jähriger in die FDJ eingetreten sein, das geschah erst mit 14. Wichtig? Am Ende nicht.

Welche Berufsgruppe schreibt am ehesten Romane? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die von Juristen nicht die schlechtesten sind, vielleicht, weil die ihre Geschichten ja aus erster Hand erhalten. Das hat Thiele hier umgesetzt und Federn gelassen, weil es etwas zu viele Zufälle gibt. Jede Geschichte, die von Sophies Familie wie die des Prozesses wären ausbaufähig, die des Prozesses kommt etwas zu kurz. 





  • DNB / Benevento / München -Salzburg 2020 / ISBN: 978-3-7109-0091-4 / 408 S.

© Bücherjunge


2 Kommentare:

  1. Auf das Buch bin ich schon aufmerksam geworden. Mal sehen, ob es hier auch Einzug hält... :)

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    1. Die meisten Kritiker sehen es weniger positiv... So weit ich mir das angesehen habe.

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