Jack Robbins und Ronnie Dean sind Freunde, beide träumen vom Ruhm –
Jack als Entertainer, Ronnie als Zauberer. Nach ihrer Militärzeit lassen
sie endlich das berüchtigte Londoner East End hinter sich: Im mondänen
Seebad Brighton steigen sie Ende der Fünfzigerjahre ins flirrende
Showgeschäft ein. Als die bezaubernde Evie White zu ihnen stößt, kommt
der ganz große Erfolg, und aus den Freunden werden Rivalen. Denn Evie –
erst Ronnies Assistentin, später seine Verlobte – beginnt eine Affäre
mit Jack. Wenig später verschwindet Ronnie während eines Auftritts und
bleibt unauffindbar. Als könnte er wirklich zaubern.
Hypnotisch erzählt der große englische Romancier Graham Swift von den
magischen Momenten im Leben, die sich selten im Rampenlicht abspielen. (Quelle: dtv)
- Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
- Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (13. März 2020)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Susanne Höbel
- ISBN-10: 3423282207
- ISBN-13: 978-3423282208
- Originaltitel: Here We Are
Gelesen habe ich diesen Roman im Rahmen einer Leserunde bei
Whatchareadin, wo über die Lektüre einmal mehr sehr lebendig diskutiert
wurde. Dem dtv danke ich in diesem Rahmen für die
Bereitstellung eines Leseexemplars!
K(EINE) NORMALE DREIECKSGESCHICHTE...
Obiger Klappentext verrät definitiv zu viel. Graham Swift enthüllt
die Zusammenänge, Geschehnisse und Konstellationen nämlich ganz
behutsam, manchmal auch als Jack-in-the-Box-Effekt, jedenfalls immer
wieder als Überraschung. Ein Klappentext, der zu viel verrät, verdirbt
die Überraschung - und damit eine Besonderheit dieses Romans.
Zwei Männer, eine Frau - da bietet sich eine Dreiecksgeschichte an.
Und die bekommt man hier auch. Aber auf eine unglaublich unaufgeregte
Art und Weise, denn Graham Swift ergeht sich gerne in Andeutungen und
Metaphern. Dabei gewährt er Einblicke in alle drei Perspektiven und
springt dabei immer wieder auch in den Zeiten. Und obschon er anhand der
Schilderungen von Ronnies Kindheitserinnerungen zeigt, wie feinfühlig
er sich in Charaktere hineinversetzen kann, belässt Swift diese doch in
der Regel auf Distzanz zum Leser.
Zwei Männer, eine Frau - das sind Jack Robbins, der Entertainer,
Ronnie Deane, der Zauberer, und Evie White, seine Assistentin. Gemeinsam
treten sie 1959 in einem Varieté-Theater im englischen Seebad Brighton
auf und sorgen für eine grandiose Unterhaltung der Sommergäste. Dabei
hält Graham Swift den Werdegang von Jack und Evie recht kurz - im Grunde
ist mit diesem Absatz alles gesagt:
"Jack Robbins und Evie White waren vom selben Schlag und
gehörten einer damals recht verbreiteten Art an. Evie entdeckte, dass
auch Jack eine Mutter hatte, die ihn, wie ihre es getan hatte, vom
frühesten Alter an wie einen kleinen Hund auf der Bühne abgerichtet
hatte." (S. 21)
Bei Ronnie verhält es sich anders. Als Kind einer alleinerziehenden
Mutter - der Vater war Seefahrer, und glänzte meist durch Abwesenheit,
wurde schließlich auch auf See als vermisst gemeldet - lebte er in
ärmlichen Verhältnissen. Im Krieg wurde er wie Hunderte anderer Kinder
aufs Land verschickt, während seine Mutter daheim blieb. Er traf es
glücklich an und kam zu Leuten, die ihn in ihrem großen Haus wie einen
Sohn aufnahmen. Und trotz aller Schuldgefühle seiner eigenen Mutter
gegenüber, begann er diese Gasteltern zu lieben und fühlte sich erstmals
in seinem Leben wirklich angenommen.
Eric Lawrence, sein Ziehvater, war nicht nur ausgesprochen liebevoll,
sondern auch ein Zauberer. Und er begann, den kleinen Ronnie in die
Welt der Illusionen einzuführen. Den Schritt von der Illusion zur wahren
Magie vollzog Ronnie dann später selbst. Ronnie wird hier gezeichnet
als ein ernsthafter, eher introvertierter Charakter, der nur zu wenigen
Menschen Vertrauen fasst. Aber die Welt der Zauberei ist alles, was er
je wollte, und dies setzte er auch gegen den Willen seiner Mutter durch.
50 Jahre nach dem Sommer im Varité-Theater lässt Graham Swift dann
Evie zu Wort kommen, und da erfährt der Leser dann Überraschendes - doch
nicht alle Geheimnisse werden gelüftet.
Durch die steten Wechsel in Perspektive und Zeitachse hat der Autor
einen interessanten Aufbau geschaffen, der jedoch die stete
Aufmerksamkeit des Lesers erfordert, zumal hier nicht in Kapitel
unterteilt wird, sondern nach einem kleinen Abschnitt oft wieder ein
Sprung erfolgt. Manches geht rasch übergangs- und absatzlos ineinander
über. Bei längeren Passagen entwickelte der Text auf mich einen Sog, da
konnte ich ganz ins Geschehen eintauchen. Viele häufige Wechsel empfand
ich zuweilen als anstrengend, keinesfalls jedoch als uninteressant.
Bei Graham Swift erscheint kein Wort zufällig, selbst der
Namensgebung seiner Charaktere lässt sich eine Bedeutung zumessen. Ich
bin froh, dass ich den Roman im Rahmen einer Leserunde gelesen habe,
denn viele der dort geäußerten Interpretationen hätten sich mir sicher
alleine nicht erschlossen. Auch so hatte ich oft genug noch das Gefühl,
nur 'an der Oberfläche' zu lesen, und das, was es in der Tiefe zu
entdecken gegeben hätte, nicht zu entdecken. Das empfand ich als schade.
Das Cover - diesmal äußere ich mich auch einmal dazu - ist nicht nur
ausgesprochen hübsch, sondern auch ungemein passend, da der Papagei im
Roman immer wieder kurz auftaucht und auch als Metapher dient - wofür,
verrate ich hier nicht. Den deutschen Titel, obschon scheinbar 1:1 aus
dem Englischen übersetzt, finde ich dagegen wenig gelungen. Das
englische 'Here we are' hat doch zahlreiche Bedeutungen und zieht sich
in den verschiedenen Nuancen auch durch den kompletten Roman. Hier hätte
man es wohl besser beim Originaltitel belassen.
Für mich war es der erste Roman von Graham Swift, aber dabei bleibt es sicher nicht...
© Parden
Graham Swift wurde 1949 in London geboren, wo er auch heute lebt.
Nach dem Studium in Cambridge arbeitete er zunächst als Lehrer. Seit
seinem Roman ›Wasserland‹, der mit Jeremy Irons verfilmt wurde, zählt er
zu den Stars der britischen Gegenwartsliteratur. ›Letzte Runde‹, wurde
1996 mit dem Man Booker-Prize ausgezeichnet und, hochkarätig besetzt,
von Fred Schepisi verfilmt. Der Roman ›Ein Festtag‹ wurde in siebzehn
Sprachen übersetzt und auf Anhieb ein internationaler Bestseller. (Quelle: dtv)
"Jack Robbins und Evie White waren vom selben Schlag und gehörten einer damals recht verbreiteten Art an. Evie entdeckte, dass auch Jack eine Mutter hatte, die ihn, wie ihre es getan hatte, vom frühesten Alter an wie einen kleinen Hund auf der Bühne abgerichtet hatte."
AntwortenLöschenWas versteht der Autor unter "einer recht verbreiteten Art"?