Samstag, 11. April 2020

Nesbø, Jo: Messer

Es ist achtundzwanzig Monate her. Im August 2018 war Jo Nesbø hier das letzte Mal zugegen, ein trotzdem häufiger Gast auf diesem Blog. Nicht nur, aber hauptsächlich mit der Figur, die, obwohl Ermittler in vielen Thrillern und Kriminalromanen eine literarisch „erforderliche“ Macke haben, vermutlich etwas heraus sticht. Ich meine Harry Hole, der sogar eine eigene Wiki-Seite besitzt und der seit 1997 durch die Kriminalliteratur geistert. Mit Erfolg. 


Der elfte Roman hatte im Titel schon das Problem, welches den in Oslo und ganz Norwegen legendären Ermittler in Sachen Mord und Serienmord begleitet. DURST. Doch hatte den noch ein anderer und der war am Ende, wie sollte es anders sein, tot. Doch lebt dessen Vater noch, der eigentümliche Vorlieben hat und der dem Harry Hole bereits über den Weg gelaufen ist. Sveine Finn gerät in seinen Fokus.






Das Buch:
Zu Beginn beobachtet ein alter Mann, der wegen eines Schlaganfalls nicht mehr sprechen kann, die Reste eines blauen Mädchenkleides über einem tosenden Fluss, kurze Zeit später ein Auto, dass in den Fluten vorbeischießt und in dem sich ein Mann verzweifelt versucht sich zu befreien. Der Mann hat in dem Laden, der dem Alten einst gehörte, vor einiger Zeit eine Wildkamera erstanden. Es wird dauern, bis dem Leser dieses Bild wieder begegnet.

Diesmal ist ein Messer das ausschlaggebende Beweismittel. Oder doch nicht? Wieder baut der Roman auf dem Vorgänger auf. Es beginnt mit einem heftigen Knall, den hier zu erwähnen, einen Teil der Spannung wegnehmen würde und so bleibt nur darauf zu verweisen, dass es familiär wird. Außerdem gerät der gerade suspendierte Alkoholiker selbst unter Verdacht. Der Alkohol gaukelt dem Ermittler zudem vor, den Mord selbst begangen zu haben, nachdem der Hauptverdächtige ein wasserdichtes Alibi vorweist. Neben seiner großen Liebe Rakel kennt Harry ja die jetzige Chefin der Osloer Kriminalpolizei. Katrine Bratt  genauer, ebenso Kaja Sølness die ihn einst aus Hongkong zurück brachte. 

Doch Nesbø war ja schon immer ein Meister verschlungener Beweise und ausgefeilter Forensik. Diesmal lässt er sich über das Töten aus und bezieht das auf Hole und einen Elitesoldaten, dem es entgegen Holes eigener Vorlesung an der Polizeihochschule eher schwerfiel. Harra, daran erinnert ihn auf Seite 236 Kaja, die als Studentin in der Vorlesung saß: „Mord ist nur eine Frage des Kontextes. Es ist kein Problem, Leben zu nehmen, wenn man sich selbst als den respektablen Schlachter der Stadt sieht, als heldenmutigen Soldaten und Verteidiger des Vaterlandes, oder als verlängerten Arm des Gesetzes. Oder wenn man sich berechtigt fühlt, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen.“

Doch scheint das so einfach nicht zu sein. Die Beweislast auch nicht. Mögliche Täter gibt es so einige und so hat die Forensik zu tun. Die Bilder aus der Wildkamera könnten zum Beispiel besser sein, doch dann hätte der Roman ein gänzlich anderes Ende gefunden. Man muss es einfach gelesen haben...

Am Ende ist alles so wie immer: Geht es weiter? Und mit wem? 


* * *

Zusätzliches: An einer Stelle lässt sich Nesbø darüber aus, dass große Konzerne wie Autohersteller und Waffenproduzenten die „Finger an der Waagschale der Macht“ haben, und den Fortschritt bremsen, damit weiter Waffen und „Monsterkutschen“ gebaut werden. 

Mir sind die Autorenmeinungen bisher nie so aufgefallen, aber dafür aber etwas anderes deutlicher: ich habe es auch sofort ausprobiert: Auf Spotify findet sich eine Playlist Harry Hole (269 Songs), denn Musik spielt bei ihm und seinem Erfinder eine große Rolle. Die um die tausend gesammelten Schallplatten werden eine Rolle spielen, sowohl für den Fund eines Tatwerkzeuges und auch darüber, wie es dahin gekommen ist. Auch wird es eine Rolle spielen, ob ein Autoradio auf Hardrock oder Country eingestellt ist. 

Versönliches: Harry sitzt mit Oleg, Rakels Sohn, der ihn Papa nennt, in einem Angelkahn. Er denkt an seinen Großvater der ihm das Angeln beibringt - Eine kleine Leseprobe:

"Dachte an damals, als er selbst gerudert war und Großvater vor ihm auf der Bank gesessen und Harry lächelnd Tipps gegeben hatte. Dass er den Oberkörper einsetzen und mit gestreckten Armen rudern solle mit dem Bauch, nicht mit dem Bizeps. Dass er es ruhig angehen lassen solle, ohne Hektik einen Rhythmus finden müsse. So würde ein Boot mit weniger Energie mehr Fahrt aufnehmen. Und dass er auf die Gesäßmuskeln achten und in der Mitte der Ruderbank sitzen müsse, es gehe bei allem immer um die Ba­lance. Er dürfe nicht auf die Ruder blicken, die müsse er nur spüren, sondern auf das Kielwasser, das ihm all das anzeige, was bereits hinter ihm liege, und ihm verrate, wohin die Reise gehe. Aber nicht, was genau passieren würde, denn das ent­scheide der nächste Ruderschlag. Großvater holte seinen Flachmann heraus und sagte, dass wir, wenn wir erst wieder an Land seien, die Reise als eine durchgehende Linie betrach­ten würden, beginnend am Punkt der Abreise, bis zur An­kunft. Eine Geschichte mit einem Sinn und einer Richtung. Deshalb wirke es so, als habe das Boot an dieser und nur an dieser Stelle anlanden können. Dabei seien der Ort, an dem man ankommt, und das Ziel zwei ganz verschiedene Dinge. Das eine müsse dabei nicht besser als das andere sein. Wir kämen dort an, wo wir ankämen, und manchmal tröste uns der Glaube daran, dass wir genau dorthin wollten. Aber unser Gedächtnis sei wie eine liebende Mutter, die uns sagt, dass wir klug sind, unsere Ruderschläge akkurat und gleichmäßig und sie sich wie ein logischer, gewollter Teil in die Geschichte ein­fügen. Der Gedanke, dass wir irgendwann vom Kurs abge­kommen sind und nicht mehr wissen, wo wir sind oder wohin wir wollen, und unser Leben ein Chaos unsauber ausgeführ­ter, kraftloser Ruderschläge geworden ist, ist so unangenehm, dass wir lieber die gesamte Geschichte umschreiben. Deshalb sagen Menschen, die gebeten werden, ihren sogenannten Er­folg zu erklären, gerne, dass sie diesen Traum - in Einzahl-, dieses Ziel schon als Kind hatten. Das ist bestimmt ehrlich gemeint. Wahrscheinlich haben sie all die anderen Träume, die nicht gespeist worden und deshalb verblasst sind, tatsäch­lich nur vergessen. Was aber würde passieren, wenn wir nicht das sinnlose Chaos all der Zufälle des Lebens zu Autobiografien zusammensetzten, sondern stattdessen in jungen Jahren Lebensprognosen schrieben, in denen wir festhalten, was wir von unserem Leben erwarten? Um diese dann zu vergessen, bis wir sie im hohen Alter wieder hervor nähmen und sähen, wovon wir wirklich geträumt haben. Etwa an dieser Stelle könnte Großvater einen großen Schluck getrunken und den Jungen, Harry, angesehen haben. Harry hatte in die schweren Augen des alten Mannes geblickt, so schwer, dass sie ihm jederzeit aus dem Kopf fallen oder zu Augenweiß und Iris zerfließen konnten. Harry hatte damals nicht daran gedacht, aber er tat das jetzt. Großvater hatte damals gehofft, dass sein Enkel ein besseres Leben als er haben würde. Dass er die Fehler vermeiden würde, die er selbst gemacht hatte. Vielleicht hatte er aber auch daran gedacht, dass der Junge eines Tages, wenn er erwachsen sein würde, genauso in einem Ruderboot sitzen und einen Sohn, eine Tochter, einen Enkel beim Rudern beobachten und ihm Ratschläge geben würde. Und sehen würde, wie einige davon befolgt und andere vergessen oder ignoriert wurden. Und spüren würde, wie der Druck in der Brust immer größer wurde und einem in einer Mischung aus Stolz und Mitgefühl fast den Hals zuschnürte. Stolz, weil das Kind eine bessere Ausgabe von einem selbst war; und Mitgefühl, weil noch mehr Schmerz vor als hinter den Kindern lag und sie mit der Überzeugung ruderten, dass irgendjemand, vielleicht sie selbst, ganz sicher aber der Großvater, ganz genau wüsste, wohin die Reise ging." ( Seite ...)

Die bisherigen Bücher habe ich wohl sehr handlungsorientiert gelesen.

* * *


Eine Stunde 24 Minuten Interview mit Jo Nesbø nebst Lesung mit Oliver Mommsen (Hörbuch - Leser) Vorsicht: Dicker Spoiler der zwar nicht die Handlung erzählt aber wesentliches vorausschickt.


Nesbø auf der Buchmesse Frankfurt 2019




Harry Hole Reihe
  • 1997: Der Fledermausmann (norw.:Flaggermusmannen)
  • 1998: Kakerlaken (norw.: Kakerlakkene)
  • 2000: Rotkehlchen (notw.: Rødstrupe)
  • 2002: Die Fährte )norw.: Sorgenfri)
  • 2003: Das fünfte Zeichen (norw.: Marekors)
  • 2005: Der Erlöser (norw.: Frelseren)
  • 2007: Schneemann (norw.: Snømannen)
  • 2009: Leopard (norw.: Panserhjerte)
  • 2013: Koma (norw. Politi)
  • 2011: Die Larve (norw.: Gjenferd)
  • 2017: Durst (norw.: Tørst)
  • 2019: Messer (norw. Kniv)
Jo Nesbø auf Litterae Artesque

Wusstet ihr dass Doktor Proctors Pupspulver ein Kinderbuch von Jo Nesbø ist?

© Bücherjunge

2 Kommentare:

  1. Das macht mir wieder Lust auf die Harry Hole Bücher - irgendwie bin ich in der Reihe steckengeblieben. Am besten, ich fange ganz vorne wieder an. Nur: Wann???

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das schaffe ich auch nicht. Obwohl Band 1 und 2 vorhanden sind.

      Löschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.