Samstag, 18. April 2020

Swift, Graham: Da sind wir

Jack Robbins und Ronnie Dean sind Freunde, beide träumen vom Ruhm – Jack als Entertainer, Ronnie als Zauberer. Nach ihrer Militärzeit lassen sie endlich das berüchtigte Londoner East End hinter sich: Im mondänen Seebad Brighton steigen sie Ende der Fünfzigerjahre ins flirrende Showgeschäft ein. Als die bezaubernde Evie White zu ihnen stößt, kommt der ganz große Erfolg, und aus den Freunden werden Rivalen. Denn Evie – erst Ronnies Assistentin, später seine Verlobte – beginnt eine Affäre mit Jack. Wenig später verschwindet Ronnie während eines Auftritts und bleibt unauffindbar. Als könnte er wirklich zaubern.

Hypnotisch erzählt der große englische Romancier Graham Swift von den magischen Momenten im Leben, die sich selten im Rampenlicht abspielen.  (Quelle: dtv)


  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (13. März 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Susanne Höbel
  • ISBN-10: 3423282207
  • ISBN-13: 978-3423282208
  • Originaltitel: Here We Are

 
Gelesen habe ich diesen Roman im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin, wo über die Lektüre einmal mehr sehr lebendig diskutiert wurde. Dem dtv danke ich in diesem Rahmen für die Bereitstellung eines Leseexemplars!








K(EINE) NORMALE DREIECKSGESCHICHTE...



Obiger Klappentext verrät definitiv zu viel. Graham Swift enthüllt die Zusammenänge, Geschehnisse und Konstellationen nämlich ganz behutsam, manchmal auch als Jack-in-the-Box-Effekt, jedenfalls immer wieder als Überraschung. Ein Klappentext, der zu viel verrät, verdirbt die Überraschung - und damit eine Besonderheit dieses Romans.

Zwei Männer, eine Frau - da bietet sich eine Dreiecksgeschichte an. Und die bekommt man hier auch. Aber auf eine unglaublich unaufgeregte Art und Weise, denn Graham Swift ergeht sich gerne in Andeutungen und Metaphern. Dabei gewährt er Einblicke in alle drei Perspektiven und springt dabei immer wieder auch in den Zeiten. Und obschon er anhand der Schilderungen von Ronnies Kindheitserinnerungen zeigt, wie feinfühlig er sich in Charaktere hineinversetzen kann, belässt Swift diese doch in der Regel auf Distzanz zum Leser.

Zwei Männer, eine Frau - das sind Jack Robbins, der Entertainer, Ronnie Deane, der Zauberer, und Evie White, seine Assistentin. Gemeinsam treten sie 1959 in einem Varieté-Theater im englischen Seebad Brighton auf und sorgen für eine grandiose Unterhaltung der Sommergäste. Dabei hält Graham Swift den Werdegang von Jack und Evie recht kurz - im Grunde ist mit diesem Absatz alles gesagt:


"Jack Robbins und Evie White waren vom selben Schlag und gehörten einer damals recht verbreiteten Art an. Evie entdeckte, dass auch Jack eine Mutter hatte, die ihn, wie ihre es getan hatte, vom frühesten Alter an wie einen kleinen Hund auf der Bühne abgerichtet hatte." (S. 21)


Bei Ronnie verhält es sich anders. Als Kind einer alleinerziehenden Mutter - der Vater war Seefahrer, und glänzte meist durch Abwesenheit, wurde schließlich auch auf See als vermisst gemeldet - lebte er in ärmlichen Verhältnissen. Im Krieg wurde er wie Hunderte anderer Kinder aufs Land verschickt, während seine Mutter daheim blieb. Er traf es glücklich an und kam zu Leuten, die ihn in ihrem großen Haus wie einen Sohn aufnahmen. Und trotz aller Schuldgefühle seiner eigenen Mutter gegenüber, begann er diese Gasteltern zu lieben und fühlte sich erstmals in seinem Leben wirklich angenommen.

Eric Lawrence, sein Ziehvater, war nicht nur ausgesprochen liebevoll, sondern auch ein Zauberer. Und er begann, den kleinen Ronnie in die Welt der Illusionen einzuführen. Den Schritt von der Illusion zur wahren Magie vollzog Ronnie dann später selbst. Ronnie wird hier gezeichnet als ein ernsthafter, eher introvertierter Charakter, der nur zu wenigen Menschen Vertrauen fasst. Aber die Welt der Zauberei ist alles, was er je wollte, und dies setzte er auch gegen den Willen seiner Mutter durch.

50 Jahre nach dem Sommer im Varité-Theater lässt Graham Swift dann Evie zu Wort kommen, und da erfährt der Leser dann Überraschendes - doch nicht alle Geheimnisse werden gelüftet. 

Durch die steten Wechsel in Perspektive und Zeitachse hat der Autor einen interessanten Aufbau geschaffen, der jedoch die stete Aufmerksamkeit des Lesers erfordert, zumal hier nicht in Kapitel unterteilt wird, sondern nach einem kleinen Abschnitt oft wieder ein Sprung erfolgt. Manches geht rasch übergangs- und absatzlos ineinander über. Bei längeren Passagen entwickelte der Text auf mich einen Sog, da konnte ich ganz ins Geschehen eintauchen. Viele häufige Wechsel empfand ich zuweilen als anstrengend, keinesfalls jedoch als uninteressant.

Bei Graham Swift erscheint kein Wort zufällig, selbst der Namensgebung seiner Charaktere lässt sich eine Bedeutung zumessen. Ich bin froh, dass ich den Roman im Rahmen einer Leserunde gelesen habe, denn viele der dort geäußerten Interpretationen hätten sich mir sicher alleine nicht erschlossen. Auch so hatte ich oft genug noch das Gefühl, nur 'an der Oberfläche' zu lesen, und das, was es in der Tiefe zu entdecken gegeben hätte, nicht zu entdecken. Das empfand ich als schade.

Das Cover - diesmal äußere ich mich auch einmal dazu - ist nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern auch ungemein passend, da der Papagei im Roman immer wieder kurz auftaucht und auch als Metapher dient - wofür, verrate ich hier nicht. Den deutschen Titel, obschon scheinbar 1:1 aus dem Englischen übersetzt, finde ich dagegen wenig gelungen. Das englische 'Here we are' hat doch zahlreiche Bedeutungen und zieht sich in den verschiedenen Nuancen auch durch den kompletten Roman. Hier hätte man es wohl besser beim Originaltitel belassen.

Für mich war es der erste Roman von Graham Swift, aber dabei bleibt es sicher nicht...


© Parden









Graham Swift wurde 1949 in London geboren, wo er auch heute lebt. Nach dem Studium in Cambridge arbeitete er zunächst als Lehrer. Seit seinem Roman ›Wasserland‹, der mit Jeremy Irons verfilmt wurde, zählt er zu den Stars der britischen Gegenwartsliteratur. ›Letzte Runde‹, wurde 1996 mit dem Man Booker-Prize ausgezeichnet und, hochkarätig besetzt, von Fred Schepisi verfilmt. Der Roman ›Ein Festtag‹ wurde in siebzehn Sprachen übersetzt und auf Anhieb ein internationaler Bestseller. (Quelle: dtv)

1 Kommentar:

  1. "Jack Robbins und Evie White waren vom selben Schlag und gehörten einer damals recht verbreiteten Art an. Evie entdeckte, dass auch Jack eine Mutter hatte, die ihn, wie ihre es getan hatte, vom frühesten Alter an wie einen kleinen Hund auf der Bühne abgerichtet hatte."
    Was versteht der Autor unter "einer recht verbreiteten Art"?

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