Montag, 23. September 2019

Calaciura, Giosuè: Die Kinder des Borgo Vecchio

Die Leserunde bei Whatchareadin zu diesem Buch ist bereits seit einigen Wochen beendet, und doch ist sie mir noch ausgesprochen geläufig. Selten gab es so viele Diskussionen zu einem Roman - so viele Interpretationsansätze und unterschiedliche Meinungen - und ebenfalls selten ergab sich dabei eine derart kollektive Ratlosigkeit...

Auch mich ließ der Roman letztlich ratlos zurück, und dieser Eindruck ist es, der am Ende dominiert. Da vermochte auch die sprachliche Brillanz des Autors nichts entgegen zu setzen. Mehr dazu könnt Ihr hier lesen:





Inhalt: (Quelle: Aufbau Verlag)

Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick längst abhanden gekommen ist. Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier empfängt. Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch Totò von einem anderen Leben träumt ...








SPRACHLICH BRILLANT...


Quelle: Pixabay
Selten lässt mich ein Roman derart zwiegespalten zurück. Ich nehme es dem Autor nicht übel, dass Gewalt und Brutalität sich durch die Erzählung winden und den Bewohnern des heruntergekommenen Stadtviertels gelegentlich die Luft zum Atmen nehmen. Denn das ist die Realität dieser Menschen, jeder arrangiert sich hier mit dem ihm zugewiesenen Schicksal, von Geburt an festgelegt und scheinbar ausweglos. Wer in diesem Viertel lebt, muss sich den Gegebenheiten anpassen - das lernen schon die Kleinen.

Ich finde es ganz im Gegenteil faszinierend, wie es Giosuè Calaciura gelingt, mit seiner bildhaften Sprache beinahe eine Poesie der Grausamkeit zu kreieren - der Schreibstil ist für mich eine große Stärke des Romans und konnte mich bis zum Ende begeistern. Doch bei aller Begeisterung und dem Schaffen einer sehr intensiven Atmosphäre, die gezeichnet ist von Resignation und Grauen, durchbrochen nur von kleinen Lichtblicken und zaghaften Hoffnungsfunken, erscheint die Schilderung der Szenerie auch vollkommen übertrieben, so dass manches gar ins Karrikaturhafte abgleitet.

Dies ist vom Autor sicher so gewollt und nicht am Ziel vorbeigeschossen, doch hört meine Zuversicht an dieser Stelle auch gleich wieder auf. Denn was der Autor wirklich gewollt hat, habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Ein irgendwie zeitloses Viertel einer nicht näher zu verortenden Stadt am Meer hat er gezeichnet, verhaftet dabei aber nicht in der Realität, sondern lässt immer wieder auch surreale Szenen einfließen, die sprachlich durchaus außergewöhnlich sind, mir aber die Botschaft dahinter nicht preisgaben.

Überhaupt haben mich viele Bilder, Metaphern und Andeutungen einerseits fasziniert, andererseits aber auch ratlos zurückgelassen. Anspielungen auf die Bibel und die christliche Religion, den naiven Glauben und die Bigotterie durchziehen die Erzählung und lassen eine Symbolik erahnen, die mich beim Lesen überforderte. Das Ganze wirkt wie eine sprachlich brillante Parabel, deren Bedeutung sich mir leider nicht wirklich erschloss. Und das ist es, was ich übelnehme - ich habe von einer vielschichtigen Erzählung nur die oberste Fassade gesehen, die anderen Schichten zwar erahnt, doch leider nur bruchstückhaft wahrgenommen.

In der Leserunde zu dem Roman kam es zu lebhaften Diskussionen mit diversen Interpretationsansätzen, die mich teilweise staunen ließen. Staunen auch darüber, wie verschieden man einen Roman lesen kann. Doch die geschilderte Ratlosigkeit erfasste letztlich jeden Teilnehmer der Runde, und bei aller Faszination über den Schreibstil bleibt für mich das Fazit:

Ich hätte gerne mehr und tiefer verstanden...


© Parden










Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1. (12. Juli 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Verena von Koskull
  • ISBN-10: 3351037902
  • ISBN-13: 978-3351037901




Informationen zum Autor: (Quelle: Aufbau Verlag)

Giosuè Calaciura, 1960 in Palermo geboren, ist Schriftsteller und Journalist. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Rom. Für "Die Kinder des Borgo Vecchio" erhielt er den Premio Volponi.



2 Kommentare:

  1. Sehr interessante Lektüre. Deine Leserunden werfen wirklich tolle Titel ab.
    Grüsse aus Neustrelitz.

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    1. Das stimmt. Dadurch lese ich Bücher, auf die ich sonst vermutlich nicht gestoßen wäre. Ein großer Gewinn! ☺

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