Die Leserunde bei Whatchareadin zu diesem Buch ist bereits seit einigen Wochen beendet, und doch ist sie mir noch ausgesprochen geläufig. Selten gab es so viele Diskussionen zu einem Roman - so viele Interpretationsansätze und unterschiedliche Meinungen - und ebenfalls selten ergab sich dabei eine derart kollektive Ratlosigkeit...
Auch mich ließ der Roman letztlich ratlos zurück, und dieser Eindruck ist es, der am Ende dominiert. Da vermochte auch die sprachliche Brillanz des Autors nichts entgegen zu setzen. Mehr dazu könnt Ihr hier lesen:
Inhalt: (Quelle: Aufbau Verlag)
Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das
Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf.
Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick
längst abhanden gekommen ist. Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer
präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn
jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des
Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier
empfängt. Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als
jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch
Totò von einem anderen Leben träumt ...
SPRACHLICH BRILLANT...
Quelle: Pixabay |
Selten lässt mich ein Roman
derart zwiegespalten zurück. Ich nehme es dem Autor nicht übel, dass
Gewalt und Brutalität sich durch die Erzählung winden und den Bewohnern
des heruntergekommenen Stadtviertels gelegentlich die Luft zum Atmen
nehmen. Denn das ist die Realität dieser Menschen, jeder
arrangiert sich hier mit dem ihm zugewiesenen Schicksal, von Geburt an
festgelegt und scheinbar ausweglos. Wer in diesem Viertel lebt, muss
sich den Gegebenheiten anpassen - das lernen schon die Kleinen.
Ich finde es ganz im Gegenteil faszinierend, wie es Giosuè
Calaciura gelingt, mit seiner bildhaften Sprache beinahe eine Poesie
der Grausamkeit zu kreieren - der Schreibstil ist für mich eine große
Stärke des Romans und konnte mich bis zum Ende begeistern. Doch bei
aller Begeisterung und dem Schaffen einer sehr intensiven Atmosphäre,
die gezeichnet ist von Resignation und Grauen, durchbrochen nur von
kleinen Lichtblicken und zaghaften Hoffnungsfunken, erscheint die
Schilderung der Szenerie auch vollkommen übertrieben, so dass manches
gar ins Karrikaturhafte abgleitet.
Dies
ist vom Autor sicher so gewollt und nicht am Ziel vorbeigeschossen,
doch hört meine Zuversicht an dieser Stelle auch gleich wieder auf. Denn
was der Autor wirklich gewollt hat, habe ich bis zum Schluss nicht
verstanden. Ein irgendwie zeitloses Viertel einer nicht näher zu
verortenden Stadt am Meer hat er gezeichnet, verhaftet dabei aber nicht
in der Realität, sondern lässt immer wieder auch surreale Szenen
einfließen, die sprachlich durchaus außergewöhnlich sind, mir aber die
Botschaft dahinter nicht preisgaben.
Überhaupt
haben mich viele Bilder, Metaphern und Andeutungen einerseits
fasziniert, andererseits aber auch ratlos zurückgelassen. Anspielungen
auf die Bibel und die christliche Religion, den naiven Glauben und die
Bigotterie durchziehen die Erzählung und lassen eine Symbolik erahnen,
die mich beim Lesen überforderte. Das Ganze wirkt wie eine sprachlich
brillante Parabel, deren Bedeutung sich mir leider nicht wirklich
erschloss. Und das ist es, was ich übelnehme - ich habe von einer
vielschichtigen Erzählung nur die oberste Fassade gesehen, die anderen
Schichten zwar erahnt, doch leider nur bruchstückhaft wahrgenommen.
In
der Leserunde zu dem Roman kam es zu lebhaften Diskussionen mit
diversen Interpretationsansätzen, die mich teilweise staunen ließen.
Staunen auch darüber, wie verschieden man einen Roman lesen kann. Doch
die geschilderte Ratlosigkeit erfasste letztlich jeden Teilnehmer der
Runde, und bei aller Faszination über den Schreibstil bleibt für mich
das Fazit:
Ich hätte gerne mehr und tiefer verstanden...
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
- Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1. (12. Juli 2019)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Verena von Koskull
- ISBN-10: 3351037902
- ISBN-13: 978-3351037901
Informationen zum Autor: (Quelle: Aufbau Verlag)
Giosuè Calaciura, 1960 in Palermo geboren, ist Schriftsteller und
Journalist. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und
vielfach ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Rom. Für "Die
Kinder des Borgo Vecchio" erhielt er den Premio Volponi.
Sehr interessante Lektüre. Deine Leserunden werfen wirklich tolle Titel ab.
AntwortenLöschenGrüsse aus Neustrelitz.
Das stimmt. Dadurch lese ich Bücher, auf die ich sonst vermutlich nicht gestoßen wäre. Ein großer Gewinn! ☺
Löschen