EIN STUNDENBUCH DER LIEBE...
Mit dem Begriff "Stundenbuch" konnte ich zunächst nichts anfangen - wenig verwunderlich, weil ich nicht katholisch bin. Wer wie ich keine Ahnung hat, worum es sich dabei handelt, dem sei an dieser Stelle verraten, es handelt sich dabei um ein im Aufbau dem Brevier der römisch-katholischen Kirche nachempfundenes Gebet- und Andachtsbuch für das Stundengebet. Der Untertitel dieses so poetischen wie bitteren Buches lautet "Stundenbuch der Liebe" und verrät schon, dass der Glaube für Helga Schubert eine große Bedeutung hat.
Zärtlich und schonungslos zugleich schildert die Autorin ihren eigenen Alltag mit ihrem demenzkranken Mann, er 13 Jahre älter als sie, pflegebedürftig und an zahllosen Krankheiten leidend, aber lebensfroh. Die Schilderung der Gegenwart ist mit Erinnerungen durchflochten, an das Kennenlernen der beiden, an ihre frische Liebe, an das Verhältnis zu den Kindern, die beide mit in die Ehe brachten. Über weite Strecken dominiert bewundernswerterweise die positive Einstellung der mittlerweile 83jährigen Autorin im Umgang mit ihrem Mann, auch wenn es nicht nur leichte Situationen gibt. Manchmal brechen sich aber auch Verzweiflung und Ratlosigkeit Bahn oder Gedanken daran, wie es sein wird, wenn Derden - so nennt sie iheren Mann hier (der, den ich liebe) - nicht mehr da sein wird.
Auch die Einsamkeit, in der das Ehepaar letztlich da in ihrem dörflichen Haus in Mecklenburg-Vorpommern lebt, auch wenn Ärzte und Pflegedienst immer wieder kurz vorbeischauen, wird hier deutlich. Der Wunsch nach Entlastung ist kaum einmal möglich, die Kinder entziehen sich, eine gelegentliche Tagespflege lehnt Derden kategorisch ab, auch wenn Helga Schubert deswegen immer wieder Lesungen absagen muss. Das Bemühen, die Bitterkeit nicht zu sehr hochkommen zu lassen, ist den kurzen Erzählschnipseln anzumerken. Und doch gibt es - absolut verständlicherweise - auch diese Gefühle:
"Manchmal trauere ich nur um mich, diese Traurigkeit ist einsam und kalt. Sie ist voll Vorwurf und Enttäuschung und Bitterkeit." (S. 56)
Die Gedanken über den Tod sind in dem Roman (und im Leben von Helga Schubert) allgegenwärtig, was der Situation ihres Mannes aber auch der Tatsache ihres eigenen Alters zuzuschreiben ist. Das deprimiert manchmal ein wenig beim Lesen, weil es so gebündelt daher kommt. Aber es gibt hier so viel Allgemeingültiges, da findet jeder Parallelen zu seinem Leben und/oder zu dem von Angehörigen oder Freunden. Das macht das Buch schon zu etwas Besonderem, kann für den ein oder anderen sicherlich auch tröstlich sein, weil es hier keinen Gedanken gibt, kein Gefühl, das nicht nachvollziehbar ist.
Ein zutiefst menschliches Buch, das einen nicht unberührt lässt, aber auch nicht völlig niederdrückt. Es nennt die Dinge beim Namen, verschweigt nichts, verbreitet aber keine Hoffnunglosigkeit. Ob man selbst auch den Langmut hätte, das Bestreben, die Würde des anderen aufrechtzuhalten bei allem was kommt, nicht zu verzagen? Berührend auch die kleinen Gesten der gegenseitigen Liebe und Achtung unter den Eheleuten, auch wenn die Demenz immer mehr Tage überschattet - und die Fähigkeit der beiden, vollkommen offen über alles zu reden. Bewundernswert.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!
© Parden
Das scheint mir ein wichtiges Buch zu sein. Und eine sehr gute Buchbesprechung.
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