Freitag, 20. Januar 2023

Schiewe, Ulf: Der eiserne Herzog

Normannen - Normandie: Leserinnen und Leser (und Serienjunkies) verbinden damit historische Personen wie Rollo, der die Normandie eroberte, bekannt aus "Vikings", oder Richard Löwenherz. Zwischen diesen beiden liegen über 200 Jahre. 

Rollo eroberte die Normandie um das Jahr 911. Johann Ohneland, Sohn von Richard verlor sie 1204 an den den französischen Thron.

"Zwischendurch" entstand das "anglo-normannische" Reich, als Wilhelm II., Herzog der Normandie, genannt der Bastard, noch besser bekannt als der Eroberer, nach der Schlacht bei Hastings, als Wilhelm den englischen König besiegte.

Auf unserem Blog war zwar hier von Löwenherz und hier von seiner Mutter Eleonore von Aquitanien die Rede, aber von Wilhelm dem Eroberer noch nicht.

Die "Lücke" schließt nun Ulf Schiewe, den Anne Parden bereits durch ihre Rezensionen zu Der Attentäter und Die Kinder von Nebra vorstellte, bis wir beide im letzten Jahr in einer Leserunde bei Whatchareadin Die Mission des Kreuzritters lasen...
 
Ulf Schiewe auf Litterae-Artesque: Der Attentäter / Die Kinder von Nebra / Die Mission des Kreuzritters von Anne Parden und dem Bücherjungen

Zur Geschichte: Guilhem von der Normandie hat sich seinen Herzogstitel in vielen Kämpfen verdient. Dies begann schon in seinen Kinderjahren. Nun kommt er nach Brugis (Brügge) zu Graf Baldowin von Flandern, er hat von dessen Tochter Matilda gehört... Doch der Papst ist gegen diese Verbindung. 

Derweil muss sich in Englaland König Eadweard, den man später Edward den Bekenner nennen wird, gegen seinen mächtigsten Earl durchsetzen, Godwin von Wessex. Die Godwins haben schon durchgesetzt, dass er Edythe, Godwins Tochter, heiratete, wohl in der Hoffnung, so über Thronerben noch mächtiger zu werden.

Guilhem ist weiterhin gezwungen, sein Herzogtum mit harter Hand zusammenzuhalten, er tut das gelegentlich mit mittelalterlicher Grausamkeit. Die Zeit der Ritter, wie wir sie kennen, war noch nicht gekommen... (Wobei - auch die folgten oft nicht den Geboten der sog. Ritterlichkeit)

Für den Fortgang der Geschichte folgen wir dem Text auf des Autors Webseite:

Zwei Männer, die sich unversöhnlich gegenüberstehen:
Herzog Guilhem der Normandie
Earl Harold Godwinson
"Der englische König Eadweard, der keine Kinder hat, verspricht seinem Neffen Guilhem die Krone. Jahre später schwört Earl Harold, Oberhaupt der mächtigen Godwinson Familie, dem Normannenherzog, alles zu tun, um ihm den Thron zu sichern, wie der König es bestimmt hatte. Doch als der alte König endlich stirbt, bricht Harold seinen Schwur, reißt die Macht an sich und lässt sich selbst krönen.
Guilhem sammelt sein Heer, entschlossen, sich sein Recht mit Gewalt zu holen. Ein wahnwitziges Unterfangen, denn Englands Ressourcen sind unendlich größer. Außerdem schickt sich noch ein anderer Herrscher an, die Insel zu erobern. Wer wird am Ende den Thron besteigen?"
Darum geht es in der Geschichte, die aber nicht einfach geprägt ist von Fürsten, Eroberern, Kriegen und Schlachten, denn sie ist geprägt auch von den Frauen in diesem Drama:
  • Emma, die alte Königinmutter, machtbewusst und skrupellos. Sie drängt ihren Sohn, die Macht der Godwinsons zu brechen.
  • Die sanfte Königin Edythe, zerrissen in einem lebenslangen Loyalitätskonflikt.
  • Die selbstbewusste Herzogin Matilda, die Guilhem liebt, seinen Ehrgeiz jedoch verflucht.
  • Ealdgyth, Harolds Weib, die um Mann und Familie kämpft.
England am Vorabend der berühmten Schlacht von Hastings - Dieser Roman macht Geschichte lebendig.

Es ist kein Spoiler vor der Geschichte, wenn jetzt schon klar ist: Der eiserne Herzog muss über das Meer.


aus dem Teppich von Bayeux


Jetzt wissen wir, um was es geht und wollen gar nicht mehr verraten. Widmen wir uns dem Buch:

Die erste Frage gilt dem eisernen Herzog:

Uwe meint zu diesem: Der Mann kommt wie Siegfried daher, stark, selbstbewusst, grinsend, tritt er Matilda gegenüber. Findig, gerissen, klug, gerecht zu seinen Freunden. Grausam gegenüber seinen Feinden, wenn es gilt, Kämpfe zu gewinnen. Er hat das Glück, die Frau zu bekommen, die auch ihn liebt.

Anne: Der normannische Herzog Guilhem (so wird Wilhelm hier genannt) ist ein offenbar durchaus charismatischer Mann, der durch sein Auftreten Matilda von seinen redlichen Absichten sowie von seinen Gefühlen überzeugen kann, der auch zahlreiche Freunde und Anhänger hat, die bedingungslos zu ihm stehen, und der das Talent besitzt, andere von seinen Plänen und Ideen zu überzeugen. Und zumindest hier im Roman ist er auch ein treuer Mann, der keine andere Frau mehr anschaut als Matilda. Aber er hat eben auch eine andere Seite, geprägt durch seine Kindheit und Jugend, in der er immer wieder fliehen musste, weil ihm von Seiten einiger Rebellen der Tod drohte. Er neigt in entscheidenden Situationen zu unnachgiebiger Härte und zu Grausamkeiten, um Widerstände zu brechen und seine Feinde zu besiegen.Wie sein Kontrahent Harold Godwinson wird auch Guilhem hier im Roman sehr ambivalent gezeichnet, was ihn menschlich macht.


Wie sieht das mit diesem Harold Godwinson aus?

Anne: Der sächsische Earl Harold Godwinson wirkt im Grunde eher besonnen. Im Vergleich zu seinem Vater und einigen seiner machtbesessenen und unbesonnenen Brüder strebt er nicht unbedingt nach Höherem. Er akzeptiert den König und dessen Entscheidung, Herzog Guilhem zu seinem Nachfolger zu machen, zumal er - wenn auch gezwungenermaßen - eben jenem Guilhem einen Treueeid schwört. Aber am Sterbebett des Königs lässt sich Harold schließlich doch von einigen Einflüsterern überreden, sich selbst auf den Thron heben zu lassen und damit seinen Schwur zu brechen. Von da an handelt er ebenso unnachgiebig und entschlossen wie sein Kontrahent aus der Normandie. Die politisch erforderliche Heirat mit einer weiteren Frau neben seiner geliebten Ealdgyth war in der damaligen Zeit sicherlich "normal", stieß mir persönlich (und wohl auch seiner ersten Frau) aber sauer auf. Auch Harold Godwinson ist im Roman ambivalent gezeichnet, was für mich nur konsequent erschien.

Uwe: War mir der Guilhem zuerst ziemlich sympathisch, dreht sich das im Laufe des  Romans zugunsten Harolds. Der trifft m.E. aus Sicht Englands und seiner Sicht die richtige Entscheidung, auch wenn sie des sterbenden Königs Wunsch nicht entspricht. Harold erinnert ein wenig an Graf Wittichis, der um nach König Theoderichs des Großen König der Ostgoten zu werden, seine Frau verstoßen und eine andere heiraten muss. An Felix Dahns Roman Ein Kampf um Rom, musste ich hier denken, aber ob dies stimmt...

Auch Harold hat das Glück, die Frau zu haben, die ihn liebt...


Und was bedeutet es, wenn Ulf Schiewe den Frauen im Roman eine erhebliche Rolle zukommen lässt?

Uwe: Die hervorgehobene Rolle der Frauen erscheint etwas ungewohnt. Obwohl es durchaus bedeutende Fürstinnen gab, wie später Eleonore von Aquitanien, wissen wir von ihnen eher durch die "beiläufigen" Urkunden zu den Taten ihrer Männer. Emma (Ælfgifu) hier ist so eine Fürstin. Die Normannin war einmal Königin durch die Heirat mit Æthelred und heiratete dann den dänischen Eroberer Knut. Hier im Roman überzeugt sie ihren Sohn, den Eisernen Herzog zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Also durchaus eine sehr selbstbewusste und machtgierige Frau. Dies kann man von den liebenswürdig gezeichneten Damen Matilda und Ealdgyth nicht gleichermaßen behaupten.

Anne: Im Grunde hätte keine Notwendigkeit bestanden, die Frauenfiguren hier im Roman so akzentuiert auszubauen und ihnen eine doch nicht unerhebliche Rolle zukommen zu lassen. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen definitiv Harold Godwinson und Herzog Guilhem. Aber bekanntermaßen steht hinter jedem starken Mann eine starke Frau, und durch die Darstellung der Sichtweise der Ehefrauen Matilda und Ealdgyth gerät das Bild der Hauptcharaktere auch vielschichtiger. Gerade Matilda scheint auch im historischen Vorbild eine starke und kluge Frau gewesen zu sein - immerhin hat Guilhem ihr während seiner Abwesenheit die Herrschaft über die Normandie anvertraut. Aber auch die Mutter des Königs, wie Uwe es schon beschrieb, war offenbar eine beeindruckende und dazu machtbesessene Frau. Mir persönlich gefiel es sehr, dass Ulf Schiewe hier auch die Frauen in den Fokus gerückt hat, da dies auch noch einmal andere Aspekte beleuchtete und so z.B. die Gier nach Macht - meist von Seiten der Männer - hinterfragt werden konnte. Auch Faktoren wie Menschlichkeit und Emotionalität erhielten so einen Platz im Roman, gerade auch gegen Ende. Alles andere wäre mir auch zu einseitig betont martialisch gewesen.


Wie gefiel uns nun dieses Buch?

Anne: Ich und historische Romane? Eher nicht. Einige wenige Autoren haben dieses harsche No-Go etwas aufweichen lassen - und dazu gehört unbedingt auch Ulf Schiewe. Dieser Roman hat mich wirklich sehr überzeugen können. Trotz der Vielzahl an Charakteren hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, nicht mehr durchzublicken. Die historischen Fragmente zu einigen der genannten Ereignisse, die ich womöglich irgendwann einmal gehört oder gelesen hatte, werden hier zu einem spannenden Ganzen zusammengewebt und ergeben im Gesamtkontext ein Bild, das ich nun besser einordnen kann. Learning bei reading sozusagen - und Ulf Schiewe gelingt die Balance zwischen historisch verbrieften Details und spannender Fiktion scheinbar mühelos. Dazu befleißigt er sich eines überaus bildhaften Schreibstils und bindet auch Beschreibungen von Gerüchen und Geräuschen ein, um eine Szene wirklich greifbar und vorstellbar zu gestalten. Das gefiel mir wieder sehr gut.  Besonders beeindrucken konnte mich die Schilderung eines Schiffbruchs - das war derart intensiv, dass beim Lesen nahezu der Eindruck entstand, selbst dabei zu sein.

Uwe: Ja, der Schiffbruch. Einerseits die Überfahrt des Harold Godwinson in die Normandie: Sehr eindringlich und plastisch. Ebenso die Überfahrt der normannischen Flotte nach der englischen Insel. Es war auch ein guter Moment, die Schlacht bei Hastings als Schlusspunkt zu setzen. Das Wilhelm der Eroberer gewinnt, sagt schon der Name. 

Bei Die Mission des Kreuzritters forderte ich etwas "mehr Geschichte". Das mache ich hier schon mal nicht. Ich bin nämlich voll auf den  Geschmack gekommen. Ulf Schiewe hat sowohl Personen als auch Ortsnamen der damaligen Zeit verwendet. Doch hierfür wurde ein Verzeichnis der Orte und handelnden Personen vorangestellt. Deutlich erkennbar ist, dass es nur wenige fiktive Personen gibt, die aber zur Darstellung der Hauptfiguren, vor allem Wilhelms, notwendig erscheinen. 


***

Zum Schluss ein etwas anderer Blick in die Geschichte:

Ulf Schiewe hat auf eine Frage in der Leserunde geantwortet, dass er für einen solchen Roman ungefähr drei Monate recherchiert. Was vor 1000 Jahren passierte, kann niemand genau wissen, schreibt er in den Anmerkungen zum Buch. Dabei verweist er auf eine besondere Quelle, den Teppich von Bayeux, der den Hergang der Geschehnisse grafisch darstellt. Auf diesem finden sich die Personen, die oben auf den Detailbildern zu sehen sind und noch viel mehr. Ein außergewöhnliches Kunstwerk.

Klickt auf das Bild und ihr könnt das Kunstwerk betrachten, es ist ungefähr einen halben Meter hoch und über 68 Meter lang. Er ist im dafür eingerichteten Centre Guillaume le Conquérant in Bayeux ausgestellt. Er ist ein Weltdokumentenerbe und gehört als solches zum UNESCO-Programm Memory of the World.



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© Anne Parden & der Bücherjunge


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