Sonntag, 2. Januar 2022

Schiewe, Ulf: Die Mission des Kreuzritters

Jerusalem, 1129. Als älteste Tochter des Königs soll Melisende einst die Krone erben und über das Heilige Land herrschen. Den von ihrem Vater ausgesuchten Bräutigam lehnt die eigenwillige junge Frau jedoch vehement ab. Heimlich verlässt sie mit einer Eskorte die Stadt. Doch sie kommt nicht weit. Ihre Reisegruppe wird überfallen, ihre Wache getötet, sie selbst als Geisel verschleppt. Um sie zu retten, schickt König Baudouin den Tempelritter Raol de Montalban aus. Bald merkt er: Gefahr droht von mehr als einer Seite...  

(Klappentext)











  • Herausgeber ‏ : ‎ Lübbe; 1. Aufl. 2021 Edition (26. November 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 528 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3785727593
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3785727591
  • Lesealter ‏ : ‎ 16 Jahre und älter
  • Reihe  :  Montalban (Bd. 2) 





Mir ist es mit der Erzählung ergangen wie fast immer, wenn ich einen historischen Roman lese: es gibt so vieles, was ich (noch) nicht weiß. Das ist manchmal keine so angenehme Erkenntnis. Aber dank Buch, Leserunde (bei Whatchareadin mit Autorenbeteiligung) und Google bin ich jetzt definitiv wissender, und mit dem Gefühl habe ich den Roman letztlich auch zugeschlagen. Informativ war es, spannend auch, und wieder einmal eine nette Mischung von harten Fakten und einer unterhaltsamen Geschichte. Für mich hätte es definitiv NICHT noch mehr Geschichte sein müssen: DD Bücherjunge. Aber da sieht man mal wieder, wie unterschiedlich die Herangehensweise an so ein Buch ist. In diesem Leben werde ich definitiv kein Fan mehr von historischen Romanen, aber Ulf Schiewe und noch einige wenige Autoren mehr lassen mich allmählich glauben, dass ich so 2-3 Bücher dieses Genres pro Jahr offensichtlich überleben kann... ;)




















MELISENDE VON JERUSALEM...


Kreuzritter (Quelle: Pixabay)

Obschon ich wahrlich kein Fan historischer Romane bin, gibt es einige Autoren, bei denen ich eine Ausnahme mache. Ulf Schiewe gehört dazu, da mich "Der Attentäter" und "Die Kinder von Nebra" seinerzeit überzeugen konnten. Hätte ich allerdings gewusst, dass "Die Mission des Kreuzritters" der zweite Band einer vierbändigen Reihe ist, hätte ich hier wohl verzichtet - das ist mir dann doch zu viel "Geschichte". Aber dann hätte ich wiederum etwas verpasst. Und dieser Roman ist in sich abgeschlossen und kann dementsprechend auch für sich gelesen werden.

Geschrieben hat Ulf Schiewe hier einen informativen historischen Roman um eine starke Frau und einen Tempelritter, angesiedelt zwischen dem 1. und 2. Kreuzzug. Eine Zeit großer Unruhen im Outremer, da hier jeder gegen jeden kämpfte um Vormachtstellungen und Eroberungen. Christen, Juden, Muslime - Araber, Seldschuken, Syrer: hier gab es große Interessenskonflikte - und wie man weiß, halten die Unruhen in dieser Region bis heute an.

Für Leser:innen wie mich, die recht blauäugig weil nur wenig historisch "vorbelastet" an die Lektüre gehen, ist der Roman angesichts einer überbordenden Informationsfülle phasenweise schwer verdaulich. Da wird mit Namen, Nationalitäten, Traditionen, Kulturen, Konfliktherden, politischen und geografischen Gegebenheiten in der Vergangenheit wie in der Gegenwart der Erzählung nicht gespart, angereichert durch eine sehr bildhafte und detaillierte Beschreibung der Lebensumstände einzelner Gruppen, so dass mir zwischenzeitlich durchaus der Kopf rauchte.

Zugutehalten muss man dem Autor allerdings wieder einmal eine intensive Recherchearbeit sowie die gelungene Einbettung der genannten Informationen in eine lesenswerte Erzählung. Da Entführungen von wichtigen Personen zu jener Zeit wohl ein probates Mittel waren, um die eigene Staatskasse aufzufüllen oder um anderweitige Vorteile für seine eigenen Interessen herauszuschlagen, findet sich auch Melisende von Jerusalem plötzlich in dieser misslichen Lage.

Diese Frau - die im übrigen tatsächlich gelebt hat: von 1105 bis 1161 n. Chr. - ist nicht irgendjemand, sondern die älteste Tochter des Königs von Jerusalem. Eigentlich wollte sich Melisende zu ihrer Schwester nach Antiochia flüchten, um der von ihrem Vater arrangierten Hochzeit mit dem hässlichen, rothaarigen, überheblichen Fulko von Anjou aus dem Weg zu gehen. Doch ein dummer Zufall lässt sie in die Hände des Neffen des Emirs von Schaizar geraten. Mit einem dicken Lösegeld ausgestattet, wird schließlich der Tempelritter Raol de Montalban losgeschickt, um Melisende auszulösen und nach Jerusalem zurück zu bringen.

Wer Kampfszenen mag, wird hier definitiv auf seine Kosten kommen, Fans von Liebesgeschichten ebenso. Die Rettung der Melisende von Jerusalem gestaltet sich natürlich kompliziert, da es noch andere Gruppierungen gibt, die an einer einfachen Lösung kein Interesse haben. Da geht es durchaus brutal und blutig zu, die Flucht und die Jagd auf Melisende und Raol gestaltet sich oftmals recht spannend, aber es gibt auch ruhige Szenen, in denen sich die Flüchtenden allmählich näher kommen.

Wer Zugang zu Wikipedia oder anderen verlässlichen Quellen hat, der wird schnell herausfinden, dass diese (fiktive) mittelalterliche Liebesgeschichte kaum eine Aussicht auf eine Zukunft hat. Die reale Melisende von Jerusalem hat doch diesen Fulko von Anjou geheiratet, allerdings gleichberechtigt als Königin neben ihm und nach seinem Tod noch weitere 10 Jahre Regentiin. Eine starke Frau also, der Ulf Schiewe hier nachgespürt hat.

Interessanterweise hat der Autor hier neben den historischen Fakten auch andere Themen eingeflochten wie die Frage nach dem Recht der Christen, in das heilige Land einzumarschieren und es für sich zu deklarieren, oder auch die Frage nach der Rolle der Frau. Zu jenen Zeiten waren arrangierte Eheschließungen üblich, und je höher der Stand war, um so wichtiger waren politisch oder wirtschaftlich vorteilhafte Verbindungen. Aber Melisende hinterfragt und beklagt diese Rolle als bloße "Schachfigur". Und da die wahre historische Melisende durchaus eine Frau war, die ihre Interessen auch und gerade gegenüber ihrem ungeliebten Ehemann durchzusetzen wusste, wird deutlich: Emanzipations-Bemühungen gab es bereits im Mittelalter...

Alles in allem ein vielschichtiger historischer Roman, der mich mit seiner Detailfülle z.T. sehr gefordert hat, der mich letztlich aber mit einer runden Geschichte und einem glaubwürdigen Abschluss abholen konnte. Für Fans dieses Genres und jener Epoche sicher eine Empfehlung...


© Parden

























Ulf Schiewe wurde 1947 im Weserbergland geboren und wuchs in Münster auf. Er arbeitete lange als Software-Entwickler und Marketingmanager in führenden Positionen bei internationalen Unternehmen und lebte über zwanzig Jahre im Ausland, unter anderem in der französischen Schweiz, in Paris, Brasilien, Belgien und Schweden. Schon als Kind war Ulf Schiewe ein begeisterter Leser, zum Schreiben fand er mit Ende 50.






3 Kommentare:

  1. Das kennen wir ja, in nun wie vielen Jahren? ;)

    AntwortenLöschen
  2. Ich lese gerade einen, eigentlich nicht historischen Roman, der ist so historisch und dicht, dass ich dich fast verstehen kann. Obwohl es im zweiten Kapitel um die Kreuzzüge geht. Und um Assassinen und um das Elsass. Und um internationalen Terrorismus... Damals und heute...

    AntwortenLöschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.