Sonntag, 20. Dezember 2020

Lorne, Mac P.: Der englische Löwe

Es ist ein Mittelalterjahr angebrochen auf diesem Blog. Gefühlt. Mindestens ein Mittelalterquartal. Denn begonnen hat es im August mit einem Herzog von Aquitanien namens Eudo, welcher allerdings bereits im 8. Jahrhundert lebte. Sodann erlas ich mir die Vorgeschichte der Kathedrale von Kingsbridge von Ken Follett, dessen Roman im Jahr 997 beginnt. Das 12. Jahrhundert erreichten wir mit Sabine Eberts Schwert und Krone – Preis der Macht, und damit genau den Zeitraum, den Mac P. Lorne in der englische Löwe erzählt. Doch zuvor folgte ich noch dem Leben der Mutter, des hier zu besprechenden englischen Löwen, der Mutter von König Richard I. von England (Löwenherz), Eleonore von Aquitanien, der Biografie von Ralph V. Turner. Den genannten Romanautoren bin ich in den letzten Jahren hauptsächlich in die Jahrhunderte des Mittelalters gefolgt und betrachte dies hier erst einmal für einen Abschluss. 

Einen Abschluss, der, schließt man weitere Bücher von Sabine Ebert und Ken Follett ein, tatsächlich das 12. Jahrhundert umfassend und detailreich umfasst. 


Wenn wir von Richard Löwenherz hören, dann denken wir meist an den Gegner eines Sultans namens Saladin und daran, dass der 1189 gekrönte englische König nach dem dritten Kreuzzug erst einmal im römisch-deutschen Kaiserreich in Gefangenschaft gehalten wurde. In Robin Hood – König der Diebe (1991 – in der Hauptrolle Kevin Coster) erscheint der König, wieder frei, zu dessen Hochzeit mit Lady Marien. Ein alter Mann mit eisgrauen Bart (Sean Connery), der er aber noch gar nicht war. Richard I., dritter Sohn von Heinrich II. von England und der Eleonore von Aquitanien, wurde nur einundvierzig Jahre alt. Als der König im Jahr 1194 England wieder betritt, räumt er mit aufständigen Rebellen auf und ließ sich noch einmal krönen um seinen Anspruch auf die Krone zu verdeutlichen. Sodann ist er gezwungen, seine Ländereien auf dem Festland zu verteidigen, vor allem gegen Philipp II., den französischen König, mit dem er sich einst gegen den eigenen Vater verbündete und ins Heilige Land aufbrach. Das ist die Zeit, in der Mac P. Lornes historischer Roman beginnt.


Abb 1
Richard findet ständig neue Scharmützel
, zu einer offenen, entscheidenden Schacht mit dem französischen König kommt es nicht. Trotzdem holt er sich fast den gesamten Teil des angevinischen Reiches zurück. Was er nicht wieder bekommt, ist Berengaria, seine Gemahlin, die sich seit dem Massaker an muslimischen Gefangenen, die Richard im Heiligen Land hinrichten ließ, von ihm abwendet. Es ist seine Mutter Eleonore, die mit dem Ritter William Marshal und unter Aufbringung riesiger Summen den Sohn und König freikauft. Eleonore spielt keine unwesentliche Rolle für den Herrscher, der oft ungestüm und unüberlegt losschlägt, er braucht sie, deren Rat so oft hilft. Bei einer der Verfolgungsjagden wird Richard von einem gewissen Philipp von Cognac, einem illegitimen Sohn gerettet, der erst spät und nur durch eigenen Antrieb zum kämpferisch begabten Ritter wurde.

Viel Zeit bleibt dem König nicht, er reitet hin und her: In die Normandie, nach Aqutianien, zurück nach Rouen, nach Poitou und zu der imposanten Burg, dem Château Gaillard, mit der er die Kreuzritterburgen aus dem Heiligen Land in Europa wieder erstehen lässt. Doch vor einer kleinen Burg, die einem Grafen, der ständig seine Lehensherren wechselt, trifft ihn der Bolzen einer Armbrust in die Schulter... Es ist das Jahr 1199...

Soweit die Geschichte, die man verraten kann, denn schon ein kurzer Blick ins Lexikon zeigt das kurze Leben Richard Löwenherz 

Abb 2: Château Gaillard - im Vexin normand in der Normandie (wiki)



Das Buch. Mac P. Lorne stößt mit seinem Roman über die letzten fünf Jahre im Leben des Richard Löwenherz in eine literarische Lücke, ein Thema, welches bisher nur selten bedient wurde. Schreibt der Verlag.

Sind die Geschichten um die Söhne Heinrichs I. Plantagenet  (Heinrich, Gottfried, Richard und Johann), deren Rebellion gegen den Vater mit Unterstützung der Mutter noch bekannt, ebenso wie die Teilnahme am Kreuzug mit Kaiser Friedrich Barbarossa und Philipp II. von Frankreich, ist die deutsche Gefangenschaft, die Rückkehr sowie die Herrschaft von Richard an den jüngsten Bruder Johann übergeht, dem Leser der Leserin weniger bewusst. 

Aus Büchern und Filmen, nicht zuletzt um Robin Hood, weiß der Leser, dass Johann (ehemals ohne Land) ein tyrannischer, erfolgloser, intriganter König ist, dessen Übernahme der Herrschaft von seiner nunmehr zweiundsiebzigjährigen Mutter wohl aus dynastischen Gründen (leider) unterstützt wurde. Mac P. Lorne lässt Richard unter dessen illegitimen Söhnen nach einem geeigneten Nachfolger suchen. Der König meint, diesen in jenem Philipp von Cognac gefunden zu haben. In Angesicht der Familie seines Sohnes erhält der streitbare Herrscher plötzlich ein anderes Gesicht: 

Es ist bestimmt der Großvater im Autoren, der sich unerwartet im umstrittenen Helden wiederspiegelt, wenn der seinem Enkel begegnet.

Mac P. Lornes Darstellung des Herrschers geht über die bekannten Klischees hinaus. Er zeichnet nicht den großen Helden allein, er nimmt sich auch des Menschen an. Gleichwohl zeigt er deutlich, „wessen“ Geschichte das sein soll, der französische königliche Gegner kommt gar nicht gut weg. Genauso machtversessen, aber ein Feigling. Die Sympathie für den Haupthelden wird deutlich, wenn der mit seinen Rittern vorm Kampf gemeinsam speist, während die französischen Truppenführer schwitzend in ihrer Rüstung im Halbkreis um ihren Befehlshaber stehen und zusehen, wenn der König speist. 


Abb 3
Seine Darstellung kommt hinsichtlich des politischen und kriegerischen Verhaltens Richards einer Aussage nahe, die dem Salah-ad-Din zugeschrieben wird:

„Daß eurem König bewundernswürdige Tapferkeit und Kühnheit eigen ist.haben wir wohl erfahren; doch meine ich, dass er oft, ich will nicht sagen mit Unverstand, aber doch mit Verwegenheit und ohne Nutzen sein Leben auf das Spiel setzt; ich für meinen Teil würde lieber fürstliche Größe in Freigiebigkeit und Bescheidenheit, als in Vermessenheit und Tollkühnheit suchen.“ *



Das Zitat stammt aus einer Geschichte der Kreuzzüge von Otto Henne am Rhyn aus dem Jahre 1884, als die geschichtlichen Rückblicke sicher etwas anders aussahen als heute. Verblüffender Weise behauptet man dort, dass Richard ursprünglich nicht zum König bestimmt war (was richtig ist), sondern zum „ritterlichen Sänger oder sängerlichen Ritter“, zum Troubadour als Sohn des heißblütigen Südens, als Sohn der Eleonore von Aquitanien, deren Großvater der Beinamen „Troubadour“ führte, wobei die oft ins Spiel gebrachten „Liebeshöfe“ nur den Romanen und Geschichten dieser Zeit entspringen. Das Richard gedichtet hat, erwähnt auch Mac P. Lorne. Richard hat um seine Gemahlin nicht nur als Turnierstreiter sondern auch als geachteter Troubadour geworben. Gelegentlich hat er auch vor seinen Männern gesungen und die Künste spielen eine Rolle bei der erneuten, leider ergebnislosen, Werbung.  Jedoch ist es die Laute und die Lieder des Königs, die ihm die Gunst einer gewissen Jeanne bringen.

Otto Henne am Rhyn erklärt dazu, dass „das [folgende] Gedicht uns mit den Unbeständigkeiten sowohl als Härten seines Charakters versöhnen dürfte:“

Abb 4 aus Geschichte der Kreuzzüge 


Ein historischer Roman ist bei aller Genauigkeit und umfangreicher Recherche Fiktion. Mac P. Lorne hat, wie das ein Autor historischer Romane tun sollte, neben einem Personenverzeichnis, Stammtafel, Zeittabelle und Glossar auch eine bibliografische Liste von Büchern angefügt. Unter diesen vermisse ich eines, was seinem Anspruch auf Recherche und Genauigkeit den i-Punkt hätte aufsetzen können: Die Biografie über Eleonore von Ralph V. Turner. Der Rezensent las diese vor allem, weil der Autor durch Eudo, den Herzog aus dem 8. Jahrhundert, sein Interesse an Aquitanien weckte. In der Biografie versucht Turner die Klischees, in die diese bedeutende Königin zweier Königreiche lange Zeit gesteckt wurde, aufzulösen. Dazu zählt zum Beispiel die kritische Betrachtung nach ihrem Liebesleben und einer gewissen, eher angedichteten, Promiskuität. In der Ablehnung ihres Herrschaftsanspruches über Aquitanien und ihrer „Einmischung“ in die Politik ihrer Ehemänner (Ludwig II. von Frankreich und Heinrich II. von England), wurde sie in der zeitgenössischen und späteren Literatur und in Schriftstücken vermutlich oft verleumdet. Ihr wird zum Beispiel eine Affäre mit ihrem Onkel im Heiligen Land nachgesagt, in das sie mit Ludwig VII. zog. Hier gesteht sie Richard, dass seine französischen Halbschwestern nicht die Töchter von Ludwig seien...

Gleichwohl stellt der Autor die Bedeutung der Mutter für Richard und nach ihm Johann prägnant dar. Die Suche nach dem Thronfolger endet wie sie eben endet, im Roman, in der Fiktion.

Und dann ist da noch ein Geheimnis. Eines, das auf die verschiedenste Art und Weise durch die Jahrhunderte gleitet und nun wieder einmal in die Literatur findet. Aber das wird wirklich nicht verraten.

* * *

Ich hatte oben ausgeführt, dass ich den englischen Löwen vorerst als Abschluss betrachten würde, ein Themenwechsel ist wegen anderem Material dringend geboten. Jedoch hat Mac P. Lorne im Roman einen gewissen Robert von Loxley, Earl von Huntingdon, erwähnt. Die Kurzbeschreibung dieser Pentalogie macht Appetit auf eine der meist aufgelegten und verfilmten Geschichten des mittelalterlichen Europas: Die Geschichte um Robin Hood.


Abb 5


PS: Beim Lesen solcher Romane macht dann noch das Nachrecherchieren Spaß, was gelegentlich zu kritischer Betrachtung, aber oft auch Skepsis weichen lässt. So wie hier.


© Bücherjunge



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