Samstag, 9. Juli 2022

Kerkeling, Hape: Der Junge muss an die frische Luft (Hörbuch)

Mit Ich bin dann mal weg hat er Millionen Menschen inspiriert, persönliche Grenzen zu überschreiten. Jetzt spricht Hape Kerkeling über seine Kindheit; entwaffnend ehrlich, mit großem Humor und Ernsthaftigkeit. Über die frühen Jahre im Ruhrgebiet, Bonanza-Spiele, Gurkenschnittchen und den ersten Farbfernseher; das Auf und Ab einer dreißigjährigen, turbulenten Karriere - und darüber, warum es manchmal ein Glück ist, sich hinter Schnauzbart und Herrenhandtasche verstecken zu können. Über berührende Begegnungen und Verluste, Lebensmut und die Energie, immer wieder aufzustehen. (Klappentext)
 
 
 
 
 
 


  • Spieldauer: 7 Stunden und 45 Minuten, ungekürzte Ausgabe
  • ISBN: 978-3869522463
  • ASIN: B00NEU9P7W
  • Herausgeber: HörbucHHamburg HHV GmbH
  • Audible-Erscheinungsdatum06. Oktober 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Sprecher: Hape Kerkeling



Obwohl das Buch seit Jahren in meinem Regal steht, habe ich letztlich doch lieber zum Hörbuch gegriffen - immerhin handelt es sich hierbei um eine Autorenlesung. Und was gäbe es Authentischeres als eine Autobiografie, die vom Verfasser selbst eingelesen wird? Auch Uwe (Dresdner Bücherjunge) hatte sich damals ja für das Hörbuch entschieden... Mit gehypten Büchern habe ich ja zuweilen so meine Probleme, und (Auto-)Biografien lese ich ehrlich gesagt auch nur sehr selten. Aber der Komiker, der seinerzeit ein wenig Anarchie in die beschauliche TV-Landschaft brachte, interessierte mich eben doch. Ob sich das Wagnis gelohnt hat? Lest selbst:

















BEILEIBE NICHT NUR KOMISCH!


Quelle

Dass das Leben nicht nur schöne Seiten bereit hält, offenbart Hape Kerkeling (eigentlich Hans-Peter) gleich schon zu Beginn. Kurz bevor er das Kostüm des Horst Schlämmer endgültig in den Schrank hing, hatte er in dieser Rolle eine überaus berührende Begegnung mit einem krebskranken Mädchen, das sich das Treffen  mit ihm so sehr gewünscht hatte. Manchmal fällt es eben auch versierten Stars schwer, in ihrer Rolle zu bleiben - und für mich war das ein Einstieg wie ein Weckruf.

Stationen seiner Karriere tauchen als Fixpunkte natürlich auch auf in dieser Autobiografie, der Schwerpunkt allerdings liegt auf der Kindheit des so wandelbaren Mimen. Als dicker kleiner Junge wuchs er mit seinem älteren Bruder in den 1970er Jahren der alten Bergarbeitersiedlung Herten-Scherlebeck auf. Natürlich schildert Hape Kerkeling auch amüsante Episoden, doch im Grunde steuert er in immer engeren konzentrischen Kreisen auf eines der traumatischsten Erlebnisse in seinem Leben zu: den Selbstmord seiner Mutter. 

Dem voran ging eine lange depressive Episode der Mutter, die den damals 8jährigen Hans Peter sehr belastete. Er fühlte sich dafür verantwortlich dafür zu sorgen, dass es seiner Mutter nach Möglichkeit besser ging und spielte z.B. Sketche für sie, bis sie tatsächlich zu lachen begann. Doch er litt auch unter ihrer dunklen Seite, der stundenlangen Lethargie und Apathie, der Ungerechtigkeit im Umgang mit ihm, der impulsiven Gewalttätigkeit. Der Zustand der Mutter war derartig raumfüllend, dass der Junge wochenlang keine Hausaufgaben mehr machen konnte. Das alles schildert Herr Kerkeling zwar auf der einen Seite fast distanziert, auf der anderen Seite aber auch derart eindringlich, dass ich hier mehrfach schlucken musste.

Die Situation des Selbstmords der Mutter und die Rolle, in die der kleine Junge da völlig überfordert hereinrutschte, waren dann doch harter Tobak - ebenso wie die Tatsache, dass niemand aus der durchaus großen Familie die Gefühlswelt des Kindes im Auge hatte, so dass er im Grunde damit ganz auf sich allein gestellt war. Die anderen Familienmitglieder waren zu sehr mit sich und ihrer Trauer und Fassungslosigkeit beschäftigt, um da noch das Kind wahrzunehmen und auf seine Gefühlslage einzugehen. Für mich waren diese Szenen tatsächlich schwer zu ertragen.

Doch letztlich war es genau die Familie, die Hape seinen Halt zurückgab. Vor allem die starken Frauenfiguren waren die Hauptbezugspersonen des Jungen. Beide Großmütter haben ihm da ein ordentliches Pfund an Liebe und Glauben an seine Person mitgegeben und waren zeitlebens wie selbstverständlich für ihn da. Aber auch zahlreiche Tanten, bei denen ich im Verlauf irgendwie den Überblick zu verlieren drohte, waren immer wieder mal von Bedeutung. Die männlichen Familienmitglieder dagegen spielten offenbar eine eher untergeordnete Rolle, wobei Hape Kerkeling seine teilweise sehr skurrile gesamte Famile sehr liebe- und verständnisvoll beschreibt - und stets mit einem leichten Augenzwinkern.

 

»Was, um Himmels willen, hat mich bloß ins gleißende Scheinwerferlicht getrieben, mitten unter die Showwölfe? Eigentlich bin ich doch mehr der gemütliche, tapsige Typ und überhaupt keine Rampensau. Warum wollte ich also bereits im zarten Kindesalter mit aller Macht ›berühmt werden‹? Und wieso hat das dann tatsächlich geklappt? Nun, vielleicht einfach deshalb, weil ich es meiner Oma als sechsjähriger Knirps genau so versprechen musste ...«

 

Dem Autor gelingt es, in lockerem, einfachen Schreibstil nahezu plaudernd durch die Stationen seines Lebens zu führen und meistert dabei gelungen den Spagat zwischen den teilweise eindringlichen Gefühlen des kleinen Jungen und der verständnisvollen Erwachsenensicht. Hape Kerkeling scheint seinen Frieden gemacht zu haben mit den einschneidenden Erlebnissen in seinem Leben.

Mir hat die Offenheit gefallen, mit der der Autor aus seinem Leben erzählt, wobei er zu keinem Zeitpunkt in Selbstmitleid versinkt oder mitleidheischend schreibt, sondern stets betonend, dass er ohne diese Erlebnisse und v.a. ohne seine Familie nicht der geworden wäre, der er heute ist. Auch seine Mutter versucht er v.a. als die fröhliche, lebenslustige Frau in Erinnerung zu behalten, die sie in seiner frühen Kindheit war. 

Dass Hape Kerkeling die ungekürzte Hörbuchausgabe (7 Stunden und 45 Minuten) selbst liest, versteht sich fast von selbst - und ist ein großes Glück. Denn trotz seines versierten und professionellen Vortrags sind die Emotionen dahinter durchaus erkennbar, was das Hörerleben unglaublich authentisch macht. Die eingestreuten leisen (oder manchmal auch lauten) Seitenhiebe auf gesellschafts-politische Umstände oder auch auf die katholische Kirche (mit der der Autor offenbar mehr als nur ein Hühnchen zu rupfen hat), haben mir ebenfalls gefallen.

Auch wenn ich persönlich nicht bei allem mitschwingen konnte (die subtile Werbung für andere Werke Kerkelings, die immer wiederkehrende Bedeutung seines Glaubens an Gott), hat mich das Gehörte überzeugen können: das ist Hape Kerkeling. Das Hörbuch hat auf mich einen ganz eigenen Sog entwickelt, ich wollte immerzu weiterhören - das geht mir beileibe nicht immer so. Lachen, Weinen, Nachdenken - hier war alles dabei.

Alles in allem beeindruckende Einblicke in die Kindheit und das Leben des bekannten TV-Stars - viel tiefgehender als erwartet, traurig-komisch-berührend... Empfehlenswert!


© Parden















Quelle
Hape (eigentlich Hans-Peter) Kerkeling, geboren 1964 in Recklinghausen, arbeitet seit 1984 beim Fernsehen; berühmt wurde er mit der Rolle »Hannilein«. Seitdem folgte eine Vielzahl erfolgreicher Live-Auftritte sowie TV-Shows und Serien wie »Känguru«, »Total Normal«, »Hape trifft« und »Let’s Dance«; als »Königin Beatrix«, »Hurz«-Sänger Miroslav Lemm, Uschi Blum oder Horst Schlämmer. Der Entertainer, Schlagersänger, Moderator und Kabarettist wurde u. a. mit der Goldenen Kamera, dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sein Buch »Ich bin dann mal weg« stand 100 Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste und hat bis heute fast fünf Millionen Leser erreicht. Die Verfilmung mit Devid Striesow in der Hauptrolle kam 2015 in die Kinos. Auch seine 2014 erschienene Autobiografie »Der Junge muss an die frische Luft« wurde zum Bestseller und 2018 von Oscar-Preisträgerin Caroline Link verfilmt. (Quelle: HörbucHHamburg HHV GmbH)


1 Kommentar:

  1. In der Erinnerung war das Buch hervorragend gelesen, gelegentlich allerdings drückte der Autor ganz schön auf die Tränendrüsen.

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