Michail Affanassjewitsch Bulgakow (1891 bis 1940) zählt zu den bekanntesten russischen bzw. sowjetischen Schriftstellern. Begegnet ist er mir bisher durch seinen Roman
DER MEISTER UND MARGERITA. Auf den hier nun zu besprechenden Roman kam ich im Zusammenhang mit „Ukraine-Recherchen“. Es war ein Tipp, dem ich nachkam, um auf meine „bewährte“ Art und Weise Geschichte aus Romanen zu lernen. Also besorgte ich mir in der Buchhandlung
Windlicht eine Ausgabe aus dem Verlag Volk und Fortschritt, Berlin, aus dem Jahre 1969.
Ob ich entsprechend schlauer wurde, könnt ihr hier nachlesen.
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Wir schreiben das Jahr 1918. Im Dezember. In
DER STADT ist der Teufel los. Auf nichts kann man sich mehr verlassen.
Wer hat denn das Sagen in der Ukraine, die am 25. Januar 1918 durch die Zentralna Rada ihre Unabhängigkeit erklärt hatte? Am 08. Februar eroberten die Bolschewiki Kiew zum ersten Mal. Doch dann ging es hin und her. Der erste Weltkrieg war noch im Gang. Erst im März schied Sowjetrussland durch den Vertrag von Brest-Litowsk aus dem Krieg aus. Doch so leicht ließen sich die
Mittelmächte ( Deutsches Kaiserreich / Österreich- Ungarn / Osmanisches Reich und Bulgarien) nicht zum vollständigen Rückzug bewegen. So sind neben der deutschen Armee noch die Kräfte des Hetmans
Pawlo Skoropadsky (1973-1945) in der Stadt. Im Vormarsch befinden sich Truppen eines gewissen Peturra (
Symon Wassyljowytsch Petljura, 1879 – 1926). und vor allem die
WEISSE GARDE, zu der gehört
Alexej Turpin, ein Militärarzt. Die Weiße Garde, oder die Weiße Armee, bildeten in der Regel Freiwillige und Junker (Fähnriche) aus der ehemaligen zaristischen Armee, bzw der Armee der provisorischen Regierung vor der bolschewistischen Oktoberrevolution.
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Elternhaus Bulgakows (wiki) |
Zur Familie Turbin, deren Mutter gerade gestorben ist, gehören Jelena Turbina, deren Brüder Alexej und Nikolka (Fahnenjunker bei den Weißen). Jelena, die auch um ihren Ehemann bangt, beherbergt in dem politischen Wirrwarr diesen und jenen Offizier und andere Figuren des russisch/ukrainischen Bürgertums, während sich oben genannte Truppen in der Stadt abwechseln. Führung? Gibt es nicht. Nachrichten werden in alle Ecken gekurbelt, an den Stadträndern gibt es Scharmützel. In DER STADT jagt und erschießt man tatsächliche und vermeintliche Gegner, in den Dörfern ringsum stehen Galgen. Dann sind die Deutschen weg, der Hetmann, kurzzeitig Staatsoberhaupt der Ukraine von des deutschen Kaisers Gnaden, ist nicht mehr da, und durch die Straßen reiten Petljuras Schwadronen, während die Truppen der Roten auch nicht weit weg sind...
Die Weiße Garde weht nach hierhin und nach dorthin, dann wird Turbin verwundet, auf der Flucht gerettet und dämmert zu Hause vom Typhus geschwächt dem Tod entgegen, dem er aber glücklich entgeht.
Auf welche Seite sich die Geschwister schlagen werden, scheint ungewiss...
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Das Chaos in der bürgerkriegsgeschüttelten Stadt ist förmlich spürbar bei der Lektüre und wird ausführlich beschrieben. Man könnte auch sagen, auf sehr russische Art und Weise. Es sind ja auch Russen, die hier auftreten. Es russische Literatur, denn um die Ukraine, geschweige um Ukrainer, geht es eigentlich nie. Es ist Krieg und der letzte große Sieg der Russen, der bei Borodino, geistert durch die Köpfe wie der, der diesen Kampf in
KRIEG UND FRIEDEN beschrieben hat.
Lew Tolstoi. Auch jegliches Militär benimmt sich konfus. Es ist kein Kriegsbuch, trotzdem weisen Meldungen, Befehle genau darauf hin. Die meisten Beispiele dafür liefert ja die Weiße Garde selbst, denn handelnde Personen haben ja mit dieser zu tun.
Familie Turbin versucht das bürgerliche Leben in diesem Chaos aufrechtzuerhalten und weiß dabei nicht so recht, in welche Richtung sie sich orientieren will. Für Alexej und Nikolka scheint Krieg führen keine Option mehr zu sein, für den Arzt Alexej galt das sowieso weniger, der jüngere Bruder ging da ursprünglich begeistert mit.
Es ist Buch „prophetischer Träume“, die zum Beispiel dem im Delirium liegenden Alexej kommen. Schwerer Text.
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Im Nachwort zur mir vorliegenden Ausgabe wird das Werk Bulgakows in den Zusammenhang mit dem sogenannten sozialistischen Realismus in der Literatur gestellt, wonach
Bulgakow in der Tradition
Tolstois und
Dostojewskis schreibt, den Stand von
Scholochow,
Gorki,
Fadejew und
Furmanow jedoch noch nicht erreicht.
So stellt am Ende der umfangreichen Ausführung im Nachwort der Rezensent dar, das Alexej Turbin die sich anbahnenden Herrschaft der Bolschewiki erwartet und begrüßt, in der Kurzbeschreibung für eine neuern Übersetzung aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch steht, dass die Geschwister Turpin sich zwischen „Anhängern des untergegangenen Zarenreiches und den verhassten Bolschewiken entscheiden müssen“...
Außerdem entstand der Eindruck, ausgelöst durch den Wikipedia-Artikel zum Roman, dass die DDR-Ausgabe zu stark inhaltlich redigiert sein könnte: Es wäre für Interessenten angebracht, entweder auf das Original oder die neue Übersetzung zurückzugreifen.
"Nach Meister und Margarita, Das hündische Herz und Die verfluchten Eier
hat Alexander Nitzberg nun endlich auch Bulgakows großen Zeitroman ins
Deutsche übertragen. Die weiße Garde besticht jedoch nicht durch das
Skurrile, das Satirische, sondern überzeugt mit brutalem Realismus und
radikal modernem Stil. Ein großes Sprachkunstwerk, das in Alexander Nitzbergs
Übersetzung zu einem völlig neuen Erlebnis wird." (Verlag Galiani - K&W)
Mein Anspruch, die Anfangsgeschichte einer unabhängigen Ukraine, besser zu durchdringen, wurde durch die Lektüre eher nicht erfüllt. Historisch sicherlich ein unzulässige Verkürzung: Folgt man Bulgakow, dann sah es in der Ukraine im Moment ihrer Entstehung genau so chaotisch aus wie 2014. BÜRGERKRIEG.
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Bulgakow |
Mit diesem Roman hat Bulgakow sich an seiner eigenen Familiengeschichte orientiert. Er ist in Kiew geboren, machte dort sein Abitur, anschließend studierte er Medizin an der Kiewer Universität. Bulgakow diente zuerst in der sogenannten Ukrainischen Republikanischen Armee als Arzt, anschließend in der Roten Armee um dann bei den weißgardistischen Truppen zu landen.* Daran erkennen wird die unmittelbaren autobiografischen Züge. Sein Elternhaus diente auch als Vorlage für das Haus der Familie Turbin.
Außerdem entwickelte er ein seinerzeit erfolgreiches Theaterstück unter dem Titel Die Tage der Turbins.
* Das erinnert schon ein wenig an Grigori Melechow aus dem Stillen Don von von Scholochow.
© Bücherjunge
Uff, das klingt nach schwerer und wirrer Kost, die sich nicht so richtig gelohnt zu haben scheint. Bulgakow ist von mir noch ungelesen - und wird es wohl auch bleiben...
AntwortenLöschenZumindest braucht man die nötige Ruhe zum lesen und darf nicht dran denken, was man sonst lesen könnte ;) - Der Bücherjunge
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