„Die Geschichte lehrt uns, dass wenige Ereignisse es der Mühe wert erachten, sich rechtzeitig anzukündigen, dar manche, die sich jeglicher Vorhersage entziehen, und dass letztlich die allermeisten sich damit begnügen, einfach einzutreten.“
Vorsicht: Spoiler!
Langsam bereitet Laurent Benet die Leserinnen und Leser darauf vor, dass einfach andere als die bekannten Ereignis plötzlich „einfach eintreten.“
Adahualpa und Huáscar sind tatsächlich zwei Inka-Brüder, die sich einen Bürgerkrieg lieferten. In Binets Geschichte flieht Adahualpa mit Mann und Maus in Richtung Norden, setzt auf Kuba über und lässt nach Vorlage der Schiffsgerippe der dort rumliegenden Schiffswracks der Niña, der Pinta und der Santa Maria neue Schiffe bauen, segelt über den Atlantik und stößt in Portugal auf europäisches Festland.
Wenn man es ganz kurz zusammenfassen will, dann bringen zur erst die Wikinger den Donnergott, den Schiffbau und das Schmiedehandwerk nach Amerika, der Kolumbus trifft auf Menschen mit Traditionen, die darauf fußen, doch statt ihm kommt ein Sohn der Sonne nach Europa zurück und Miguel de Cervantes Saavedras Leben verläuft etwas anders.
* * *
Kurz, ob Kolumbus` Tagebuch, der genannte Briefwechsel oder die 95 Sonnenthesen an der Schlosskirche zu Wittenberg, das Buch ist kurzweilig. Und es wird toternst, denn, wie gesagt, ohne Gewalt geht es nicht aus. Zumal plötzlich noch eine Macht auf den Plan tritt, die Mexikaner. Andere nennen sie Atzteken...
Cervantes trifft auf Michel des Montaigne und der zitiert, hier leicht aus dem Kontext gerissen, Horaz:
„Gerecht wird ungerecht, und weise wird unweis´, geht zu weit das Streben, sittlicher zu sein als die Sittlichkeit.“
Die Idee, dass die Sonne, die jeden wärmt, die bessere Gottheit wäre, wärmt. Besser als der „angenagelte Gott“, der zu Kriegen führt und von beiden Seiten ins Feld geführt wird. Doch auch der Sonne geht es so, wie der brüderlicher Krieg in den vier Reichsteilen Südamerikas beweist. Im fünften Reichsteil, dass dessen älteren Bewohner Europa nennen, kämpft jeder gegen jeden.
* * *
Geschichtsauffassung. In der Schule und im Studium wurde ich hauptsächlich mit einer Art sozio-ökonomischer Geschichtsauffassung konfrontiert, da die „Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen“ sei. Immer dann, wenn die Hauptproduktivkraft Mensch (Arbeiter) an eine Grenze ihrer Weiterentwicklung stieß, war somit Gelegenheit für eine neue, progressivere Gesellschaft, eventuell durch eine Revolution hervorgerufen. So einfach mache ich es mir heut sicher nicht mehr. Historische Ereignisse können und werden auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
Nehmen wir Luther, der in Binets Roman vor allem in seiner Widersprüchlichkeit auftritt: bezeichnend dafür sein damals üblicher Antisemitismus und die glasklare Ablehnung der neuen Inka-Religion, obwohl der ehemalige Augustiner gerade die ecclesia catholica entschieden angegriffen hatte. Das seine Bibel-Übersetzung dazu geführt hat, dass man in Bayern, Sachsen und Ostfriesland dasselbe Deutsch liest (auch wenn man sich trotzdem nur schwer versteht), bleibt sein Verdienst, genau wie die Abschaffung des Ablasshandels in den protestantischen Ländern. Die Bauern, denen er das Recht auf ihre Revolution absprach (Wider die räuberischen Horden der Bauern – schrieb er während des Bauernkriegs und Thomas Müntzers Hinrichtung), reißen ihn hier im Roman letztlich in Stücke.
Binet ist dies in herausragendem Maße gelungen. Zudem hält er uns den Spiegel vor. Wie weit sind wir zu gehen bereit, eine bessere eine humanistische Gesellschaft durchzusetzen? Mit Gewalt? Mit wieviel Gewalt?
Lesen! Amüsieren! Recherchieren! Verstehen!
- DNB / Rowohlt Verlag / Hamburg 2020 / ISBN: 978-3-498-00186-5 / 382 S.
- Quelle Autorenbild: Von G.Garitan - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=82257539
© Bücherjunge
DAS wäre doch mal eine hervorragende Erzählung für den Geschichtsunterricht in Schulen. So intensiv, wie man sich da mit den tatsächlichen Begebenheiten (per Google & Co.) auseinandersetzen muss, wäre das doch ein sehr reizvoller Ansatz, der sicherlich so manchen Schüler eher zum Unterricht motivieren würde als die oftmals so drögen Schulbücher...
AntwortenLöschenDas Buch selber würde vermutlich den Unterricht sprengen, zu viele unterschiedliche Zeit- und Handlungsebenen. Aber die Idee, eine Fake-Geschichte zu erzählen und die Schüler herausfínden lassen, was stimmt und wie es wirklich war, das finde ich sehr interessant.
Löschen