Im Oktober 2014 schrieben wir eine Rezension
zu einem Buch, welches für den Deutschen Phantastik Preis nominiert war. Es ging um Zeitreisen im Zusammenhang mit der
deutschen Geschichte im sogenannten Dritten Reich.
Mich hat das Thema wieder eingeholt. Zum einen mit dem eBook
WALKÜRENRITT von Heiger Osttag und zum anderen mit KAISERTAG von Oliver
Henkel. Um das letztgenannte Buch aus
dem Jahr 2014, welches den Deutschen Science-Fiction-Preis gewonnen hat geht es
hier, WALKÜRENRITT sei schon mal angekündigt.
Wir bleiben damit schön in der zeitlichen Reihenfolge, denn
KAISERTAG spielt zwar 1988, die Rückblenden reichen bis zum 1. Weltkrieg
zurück. Was wäre gewesen, wenn der habsburgische Thronfolger, Erzherzog
Ferdinand. gar nicht Opfer des bekannten, scheinbar den ersten Weltkrieg auslösenden
Attentats geworden wäre?
Also ich gehe mal davon aus, dass es dann ein
Paralleluniversum ohne diesen mörderischen Krieg gegeben hätte. Nein, nein, ich
glaube eigentlich nicht an solche Fantastereien. (Übrigens, es geht nicht um
Zeitreisen.) Ob Oliver Henkel daran glaubt weiß ich nicht, aber eins ist sicher,
wir haben es mit einer etwas anderen Art von Science-Fiction zu tun.
Science-Fiction [ˌsaɪəns ˈfɪkʃən̩]
(engl. science „Wissenschaft“, fiction „Fiktion“) ist ein Genre der Literatur und des Films, aber auch
anderer Bereiche wie etwa der bildenden Kunst oder der Videospiele, das den Einzelnen, die Gesellschaft
oder die Umwelt in (oft radikal) alternativen Konstellationen betrachtet.
Science-Fiction entwirft – häufig in die Zukunft verlegte, teilweise auch
räumlich entfernte – Konstellationen des Möglichen und beschreibt deren
Auswirkungen. Dabei werden reale wissenschaftliche und technische Möglichkeiten
mit fiktionalen Spekulationen angereichert. [1]
Zukunft. Aha. Meist jedenfalls. Wir aber schauen mit Henkel
zurück. Zuerst einmal in das Jahr 1914:
Also. Ferdinand ist nicht ermordet
wurden, Weltkrieg 1 und 2 fanden nicht statt. Das Dritte Reich war auch kein
Thema, dafür regiert im Jahr 1988 Kaiser Wilhelm V. – ziemlich jung auf den
Thron geraten, Vater, älterer Bruder und Großvater segneten zu schnell das
Zeitliche.
Das Kaiserreich hat sich ziemlich langsam entwickelt, die Entwicklung von Wissenschaft und Technik wurde gewissermaßen entschleunigt. Es
gibt noch Autos mit mechanischen Blinkern, äh, Winkern. Kutschen,
Pferdefuhrwerke sind auch noch allgegenwärtig. Die Soldaten tragen immer noch
den unbequemen Waffenrock und die Pickelhaube. Das Offizierskorps scheint immer
noch ziemlich abgehoben zu sein. Zeppeline sind das Reisemittel, z.B. in die
Kolonien.
Den Privatdetektiv Friedrich Prieß sucht eine junge Dame
auf, deren Mann, ein Oberst des Reichsministeriums für Aufklärung
(Militärgeheimdienst) sich das Leben genommen haben soll. Sie glaubt nicht
richtig dran und da das Entgelt ansprechend ist, sagt Fritz zu. Der Hamburger muss also nach Lübeck. Und diese
Hansestadt weist eine Besonderheit auf. Sie hat nämlich eine
Polizeipräsidentin. Unverheiratet. Protegiert von einem Senator. Alexandra Dühring ist
die Ex-Verlobte von Fritz. Und wegen der endete seine Militärkarriere bereits als
Leutnant. Denn (zukünftige) Offiziersgattinnen hatten, bzw. haben nicht zu
arbeiten. Punkt. Andernfalls müsse er den Dienst quittieren. Er quittiert,
denunziert von einem Kameraden.
Die Polizeipräsidentin, in der Beschreibung verfügt sie
aber nur über den Personalbestandes eines kleinen Reviers, hat eine gewaltige Aufgabe:
Der KAISERTAG steht bevor. Seine Majestät besucht die Freie und Hansestadt
Lübeck. Und plötzlich steht der Fritz wieder vor ihr. Der erste Abend geht
schrecklich aus. Da der Oberst aber wohl tatsächlich ermordet oder zum
Selbstmord gezwungen wurde, kommt es zu einer Zusammenarbeit der beiden, die
nicht so richtig in die vorherrschende Gesellschaft zu passen scheinen. Das
ungleiche Pärchen sticht in ein Wespennest: Zwei geheime Gruppen bekämpfen sich
im Deutschen Kaiserreich, das gerade mitgeteilte, dass es die Atombombe entwickelt
hat. Testgebiet – man hat ja Kolonien. Und Krieg ist der Vater aller Dinge.
Oder so. Und Großmachtstreben gibt’s auch.
Übrigens, nicht nur der Krieg ist Politik mit anderen Mitteln, terroristische Anschläge sind es auch, hier kommen sie aus unerwarteter Richtung - aus dem Norden - angeblich.
* * *
Was kann ich noch verraten? Diverse Namen kommen schon vor. Ein E. Presley leitet die
New Yorker Philharmonie. Generalfeldmarschall Erwin Rommel ist ein Graf von
Kai-Feng, er hat den Großen China-Krieg gewonnen. Das war im Jahr 1944. Der
greise Held tritt selten in die Öffentlichkeit. Alexandra Dühring vernimmt
einen gewissen Feldmann, der durch Bildergeschichten das deutsche Handwerk „verunglimpft“.
Freunde würden ihn „Brösel“ nennen, erklärt er in der Vernehmung. Die
Bildergeschichten sind in der Jugend ziemlich beliebt…
Arno Wyzniewski [2]
spielt im Kino immer den Großen Friedrich, ein Bürokopierer kostet 4000 Mark.
Soviel wie ein Opel-Benz. Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Autos sind
teuer, die Bürger sollen nicht so viel rumkutschen. Geschickter Weise hat
Henkel das Jahr 1988 gewählt. Computer waren damals noch nicht so sehr
verbreitet ;) – Hier verzichten wir gleich mal ganz darauf.
Ein General Göring hat vor Jahrzehnten das Maul zu voll
genommen, so gewann der militärisch-industrielle Zeppelin-Komplex das Rennen
und Jagdflugzeuge braucht man zwar, aber besonders wichtig scheinen sie nicht.
Bomben kann man auch mit Luftschiffen.
Es gibt diverse weitere Anspielungen, die einen schmunzeln
lassen.
* * *
Am Ende ist es ein spannender Spionagekrimi und weniger ein
Science-Fiction-Roman der Marke WAS WÄRE WENN? Aktuell der Umstand, die Türkei mischt
ein klein wenig mit. Für Verschwörungstheoretiker ist das Buch auch eine
Fundgrube. Antisemitismus diverser unangenehmer handelnder Personen ist gelegentlich
vorhanden.
Verblüffend ist letztlich, dass, so wie die Gesellschaft
beschrieben wird, diese Alexandra Dühring tatsächlich Polizeichefin einer
Hansestadt werden kann. Vorbotin einer neuen Zeit ist sie damit noch nicht. Da
fällt auch schon mal der Begriff „Suffragette“. Das Ende erinnert an Robin
Hood. Den mit Sean Connery als König Löwenherz.
Oliver Henkel hat sich auch schön selbst auf die Schippe genommen.
Der Friedrich Prieß findet bei der Alexandra einen Roman. Von Robert Harris. Vaterland.
Und schüttelt den Kopf ob der Frage, wer sich denn solch abstrusen Unsinn ausdenken
konnte: „Ein Regime massenmordender
rassistischer Wahnsinniger, angeführt ausgerechnet von einem messiasartig verehrten
österreichischen Postkartenmaler, der nicht nur den [2.] Weltkrieg vom Zaun
gebrochen hatte, sondern auf dessen Befehl hin auch Millionen von Menschen in
monströsen Tötungslagern ermordet worden waren.“ (Seite 182)
Aber auch wenn dies auf dieser Zeitebene nicht stattgefunden
hatte: Verbrechen sind auf der Skala nach oben wohl keine Grenzen gesetzt. Auch
nicht unter Wilhelm V. im Jahr 1988.
* * *
So eben fand ich in der Beschreibung eines weiteren Buches
von Oliver Henkel, Die
Fahrt des Leviathan, einen Begriff, den wohl der Atlantis-Verlag für solche
Bücher geprägt hat: Alternativwelt-Roman. Das gilt auch für den Roman Die Zeitmaschine
Karls des Großen. Ebenfalls von Henkel. Der Verlag hat sich auf Science Fiction
und Fantasy spezialisiert und ist bestimmt eine Fundgrube für Liebhaber solcher
Geschichten.
Wenn Geschichte auf SF oder Fantasy stößt, dann finde ich dies
schon mal interessant. Hier
zum Beispiel. Und hier.
Abb 1 / Oliver Henkel [3] |
Henkel
wurde im Jahr 1973 in Lübeck geboren. In der Informatikbranche arbeitend
verblüfft die Computerlosigkeit seiner Geschichten. Zweimal wurde er mit dem Deutschen-Science
Fiction-Preis ausgezeichnet. Seine Bücher handeln alle in derartigen
Alternativwelten. Sicher eine seltene Form von Geschichtsrezeption, aber diese
könnte mir gelegentlich gefallen.
► DNB / Atlantis-Verlag / Stolberg 2014 / ISBN: 978-3-86402-105-3 / ca.
366 S.
► zuerst veröffentlicht am 04.08.2016
© Bücherjunge
Quellen & Verweise
[1] Seite
„Science-Fiction“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand:
27. Juli 2016, 06:23 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Science-Fiction&oldid=156492562
(Abgerufen: 1. August 2016, 14:16 UTC)
[2] Das hat
er auch in „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ getan
[3] Von Der Bischof mit der E-Gitarre - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=1945457
Ist doch immer schön, wenn man neugierig bleibt. Sonst blieben solche Bücher sicher unentdeckt...
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