Sonntag, 28. Februar 2021

Trauboth, Jörg H.: JAKOBS WEG

Betrachtet man das Cover, fällt einem nicht gleich auf, dass Jakobsweg auch Jakobs Weg bedeuten kann.
Pilgert man auf dem Camino Frances in Richtung Santiago di Compostela, will man vermutlich das Grab des Apostels Jakobus in Santiago besuchen. Die meisten Wanderer suchen nach „sich selbst“, manche kommen regelmäßig, einige wandern Teilstücke oder nur die letzten einhundert Kilometer. Der Camino Frances gilt als der klassische, der bekannteste Jakobsweg. Noch mehr bekannt wurde er durch Hape Kerkelings Buch Ich bin dann mal weg; es wurde 2015 verfilmt.

Wenn Jörg H. Trauboth ein Buch Jakobs Weg nennt, dann wird es vermutlich sehr ernst. Wie ernst es wird,  erschließt sich relativ schnell.

Die Handlung beginnt vor zwanzig Jahren in einem kirchlichen Internat im Sauerland mit dem bezeichnenden Namen Maria hilf. Wir lernen einen verzweifelten Schüler namens Jakob kennen und einen ukrainisch stämmigen Hausmeister. Der hat mal einem Kunden eine Menge Geld entwendet und seitdem ist er in des Internatsleiters Hand. Wenn ein katholischer Pater den Hausmeister seines Internats erpressen kann und ein verzweifelter Schüler zum Suizid ansetzt, dann dürften viele Leserinnen und Lesern ahnen, worauf das hinausläuft. Jörg H. Trauboth kommt auch schnell zur Sache: Im Raum der Ergebenheit findet das vierwöchentliche „Finale“ statt, die vorbereiteten Jungs werden den Kunden zugeführt. Sergey, der Hausmeister, der macht, was dieser kaltherzige Hartmann will, ist kein schlechter Mensch...

Eine Gruppe von Personen bekommt zwanzig Jahre nach diesen Vorfällen ein Video zugespielt, welches zeigt, dass sie sich in einer Art und Weise strafbar gemacht haben, die zu jahrelangem bis lebenslänglichen Gefängnis führen kann. Heute. Die Gruppe soll sich zu einem festgelegtem Zeitpunkt in Saint-Jean-Pied-de Point treffen und den Camino Frances zumindest bis Burgos absolvieren, dann währen sie „geläutert“ und würden das widerliche Videomaterial ausgehändigt bekommen. Der Internatsleiter und seine Schwester gehören dazu, ein Geschäftsmann aus der Schweiz, ein Ex-Soldat, ein Cyberkrimineller, ein ehemaliger EU-Parlamentarier und ein ukrainischer Busfahrer. Die Gruppe führt ein Pater Domingo auf den Camino. Doch sie ist erst vollständig, als Joe Jaeger und Hanna Dohn dazustoßen. Jaeger, genannt Hunter, ist Kriminalhauptkommissar beim BKA, Hanna Journalistin. Beide lernten sich im Zusammenhang mit Vorfällen im Collegium Maria hilf kennen. Auch sie wurden so eingeladen und nehmen nun unter Decknamen an der Wanderung teil, die alles andere ist als ein „Buen Camino“. Es wird ein Pilgerweg der Angst.

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Im Zenten Kapitel beginnt der Camino und führt über elf Etappen... Ich verrate nicht zuviel, wenn der Jakobsweg durchaus vor den Augen der Leserinnen und Leser verläuft, jedoch wird dies auch für uns kein Spaziergang.

Karte und Wegeplan - Wikipedia


Trauboth konfrontiert uns mit der gesamten Breite des sogenannten „Kindesmissbrauchs“,
ein Wort, welches aus gutem Grund heute durch „sexuelle Gewalt gegenüber Kindern“ ersetzt wurde. Doch hat er sich entschieden, die Gewalt, die jüngsten Kinder und sogar Babies angetan wird, nicht im Detail zu beschreiben, es kommt einem so schon die Galle hoch. Deutlich wird dies, wenn die Journalistin dem Busfahrer, um ihn zu ködern, echtes BKA-Material zeigt, woran der sich aufgeilen kann...

Ich denke, das ist in Ordnung so. Das Buch soll kein Krimi sein, auch wenn es vorn auf der dritten Seite so steht. Natürlich ist es ein Kriminalroman, der an Spannung ständig gewinnt, der den Lesern ein gesellschaftliches Problem vor die Augen führt, bei dem Wegsehen aus verschiedensten Gründen viel zu oft die Regel ist.

Die Tätergruppe ist Gegenstand des Romans, aber auch die Ermittlungen im Darknet, die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Wir finden sicherlich jeden einzelnen Täter (samt Schwester Hartmann) widerlich und abscheulich, trotzdem sind diese Menschen unterschiedlich gezeichnet. Dabei wird einer, der Züricher Geschäftsmann, mit seinen Zwiespalt zwischen Familie und seiner Pädophilie differenzierter dargestellt. Den gemeinsamen Sohn hat die Frau auf ein Internat geschickt um ihn dem Vater zu entziehen, der sich ihm nicht genähert hatte. Die Lebenswege aller Straftäter der Caminogruppe ROSE im Detail darzustellen, hätte vermutlich den Rahmen gesprengt.

Der Showdown ist eines echten Krimis würdig. Er zeigt, dass auch Eliteeinheiten bei genauester Lagebeurteilung nicht alles gelingt, wobei das Zeitmanagement der Einsatzleitung etwas zu wünschen übrig lässt, zumal die Zugriffseinheit schon länger in der Gegend ist. Damit erschöpft sich meine Kritik.


Kathedrale in Burgos - Showdown - Wikipedia

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Der Autor macht in einem Abspann das Problem noch einmal deutlich. 16000 Kinder sollen 2019 sexueller Gewalt ausgeliefert gewesen sein. Die Dunkelziffer soll 15 mal höher sein. Das wären dann über 500 Verbrechen pro Tag in diesem Deliktsfeld. Damit säßen in jeder Schulklasse in jeder Kita Kinder, die davon betroffen sind. Das macht durchaus betroffen.

War ich Mitte 2020 in Bezug auf die Schulschließungen wegen Covid-19 gegenüber den Warnungen zu Erhöhungen von derartigen Straftaten noch skeptisch, so stimmt mich dies hier vorliegende Buch nachdenklich, denn ob mit oder ohne Corona, die meisten Verbrechen dieser Art finden im Familienzusammenhang statt. Wenn dies so ist, und es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dann sind diese Schulschließungen für bereits betroffene Kinder ein schlimmer Umstand, denn sie können nun auch nicht mehr zeitweise entfliehen. Ob sich deswegen Zahl in Bezug auf bisher nicht betroffenen Kinder und Jugendliche erhöht, spielt angesichts der eben genannten Größenordnung weniger eine Rolle. 

Angesichts der Vorwürfe im Erzbistum Köln, und auch das fiktive Collegium Maria hilf ist in diesem angesiedelt, ist die Aktualität unbedingt gegeben.

Das Buch beinhaltet außerdem einen Appell für die von Datenschützern abgelehnte Datenvorratsspeicherung. Trauboth schildert die Schwierigkeiten der Ermittlungen, den ungeheuren Aufwand und geht auf die Polizisten ein, die sich bereit erklärt haben, im Darknet zu fahnden und sich dabei die unglaublichsten, hässlichsten, gemeinsten und grausamsten Dinge anzusehen, die man sich eigentlich nicht vorstellen kann. Im Netz müssen „Kandidaten“ Zeugnisse abliefern darüber, dass sie zum Kreis gehören. Aber wie sollen das die verdeckt ermittelnden Polizisten machen? Ergo stellen sie pornografische und gewalttätige Videos als Computeranimation her. Was macht das mit einem? Supervision, psychologische Betreuung, Pausen von diesem Job, manch einer schafft dies nicht... Aber die ermittelten Daten speichern bis sie verifiziert sind, dass sollen wir nicht dürfen? 

Datenschutz vor Kinderschutz? Wenn der Schutz der Kinder demnächst im Grundgesetz deutlicher ausgedrückt werden soll, dann muss dies auch hinsichtlich der polizeilichen Aufklärung Konsequenzen haben.

Die geplanten Gesetzesnovellierungen, die Trauboth erläutert, sind allerdings noch nicht im Strafgesetzbuch verankert wurden. Wer das genauer verfolgen will, der lese bei der KriPoZ weiter...

Das Buch ist ein Plädoyer für die Kinder und Jugendlichen, für die, die sich in Betreuungseinrichtungen um Betroffene kümmern. Ein Plädoyer für die ermittelnden Beamten und deren schwere Arbeit. 

Jörg H. Trauboth hat mit diesem Buch ein völlig anderes Thema angeschlagen als bisher mit seinen Büchern um Angehörige von Spezialeinheiten wie die KSK. Es ist ein eindringliches, ein wichtiges Buch. 

Und es ist trotzdem ein Reisebuch, dass zum Wandern auf dem Camino Frances einlädt.


Bild von Barbara Bumm auf Pixabay






© Bücherjunge




3 Kommentare:

  1. Ein heftiges Thema - aber soso wichtig! In meiner Arbeit habe ich immer wieder auch mit betroffenen Kindern zu tun. Und mit der teilweise unglaublichen Rechtssprechung. So hat letztens ein Mann, der sich mehrfach an seiner Stieftochter (damals unter vier Jahre alt) vergangen hat, gegen den Widerstand der Mutter vor Gericht das Recht auf wiederkehrenden unbeschränkten, unbeaufsichtigten und mehrtägigen Besuchskontakt seiner leiblichen Tochter (jetzt gerade drei Jahre alt) erhalten. Und das, obwohl unabhängige Zeugen wie die Sozialpädagogische Familienhilfe klar aussagten, dass das Kind selbst bei nur stundenweisem Kontakt jedesmal schreiend zum Vater gebracht werden musste und total verstört wiederkam und sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte gewickelt zu werden. Der Richter war männlich. Es ist manchmal so unfassbar, dass ich ko...en könnte.

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    1. Das dachte ich mir, dass du da Assoziationen hast. Würdest du das Buch lesen wollen?

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