Freitag, 21. Dezember 2018

Kenna, Constance: Die DDR-Kinder von Namibia...

oder Heimkehr in ein fremdes Land.

Im Jahre 1994 besucht die US-Amerikanerin Constance Kenna dass üdwestafrikanische Land Namibia. Die Dozentin für Deutsch interessierte sich für die heutigen Beziehungen zwischen Deutschland und dessen ehemaliger Kolonie Südwestafrika. In dem hier zu besprechenden Buch erzählt sie im Vorwort folgende Geschichte:


„Anfang Juni 1994 habe ich in einem Souvenirladen in Windhoek nahe dem Reiterdenkmal und der Christuskirche beobachtet, wie sich ein deutschsprechendes Paar, es waren Touristen, mit ihrem jungen schwarzen Begleiter über mögliche Einkäufe beraten hat. Sie waren offensichtlich Besucher und er ihr Gastgeber. Ich war fasziniert, weil es das erste Mal bei meinem Besuch in Namibia war, daß ich einen Schwarzen fließend Deutsch sprechen hörte. Einige Minuten später verließen die drei den Laden, und ich fragte die Verkäuferin, wieso der junge Mann wohl so gut Deutsch könne? Sie erwiderte kurz und bündig: „Das muß ein DDR-Kind sein.“ - „DDR-Kind?“ Mein lnteresse war geweckt, und ich verbrachte den Rest meines Besuches in Windhoek, indem ich Leute besuchte, die mir mehr Information geben konnten. Im September 1995 kam ich dann wieder nach Namibia, um ein Jahr lang mit Unterstützung des Middlebury College und mit Hilfe eines Stipendiums der amerikanischen Fulbright-Stiftung diesem Thema nachzugehen. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis.“ (Seite 8)


Dass ein Namibier, ob weiß oder schwarz, deutsch spricht, muss einem ja nicht so sehr sonderbar vorkommen. Sonderbar ist eher die Aussage: Das muss ein DDR-Kind sein.




* * *



Im Jahr 1979 bat die SWAPO, die südwestafrikanische Volksorganisation, die DDR und andere sozialistische Länder, ob diese nicht vom Bürgerkrieg betroffenen Kinder, Waisenkinder, Kinder von Kämpfern im namibischen Befreiungskampf, Kinder von Politikern der SWAPO, aufnehmen und ihnen die Schulausbildung ermöglichen würden. In den darauffolgenden elf Jahren kamen über vierhundert Kinder in die DDR und dort in Zehna und Bellin (bei Güstrow – Mecklenburg-Vorpommern), im weiteren in Löderburg und Staßfurt in Kinderheime und Schulen. Die ersten 80 Kinder waren damals Vorschulkinder. Von diesen Kindern blieben viele elf Jahre in der DDR und verbrachten so fast ihre ganze Kindheit und viele Schuljahre in der DDR. Sie lernten Deutsch wie ihre Muttersprache und manche haben heute noch enge Beziehungen zu ihren deutschen Lehrerinnen.




Im Jahr 1990 kam ein großer Schnitt. Einerseits hatte die SWAPO die Macht in Namibia übernommen und wollte die sogenannten „DDR-Kinder“ zurück holen. Allerdings hätten sich die Politiker ein etwas gemäßigteres Vorgehen gewünscht. Mit der amtierenden DDR-Regierung war aber nicht viel zu machen. Sämtliche Ministerien hatten wohl „Anderes“ zu tun, kein Geld, keine Lobby, kurz, die Kinder schnell loszuwerden, war wohl das Ziel. Das erscheint traurig für ein Land, dessen Anerkennung in der Welt, vor allem auch in der afrikanischen Welt auf aktiver Solidarität beruhte und in dem sich nun kaum einer fand, der auf diesem Gedanken eine praktikable und kindgerechte Lösung zu ermöglichen. Oder wollte man die jungen “Schwarzen“ schnell loswerden, die vereinzelt in Staßfurt mit ersten Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit in Berührung kamen?




So riss man die älteren Kinder aus einer gewohnten Umgebung und flog sie in ein „fremdes“ Land. Aber auch für die Jüngeren mag dies schon schwer gewesen sein. Die Kinder kamen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Süfwest-Afrika in völlig unterschiedliche Verhältnisse. Der krasseste Unterschied dürfte bestanden haben zwischen dem armen Norden und dem reichen Windhoek. Kinder ohne Eltern wurden in Einzelfällen zu deutschsprechenden Namibiern, Nachfahren der Kolonisten, gegeben, was ihnen sicherlich förderlich gewesen ist, zum Beispiel in Bezug auf den Besuch höherer Schulen, der ja bezahlt werden musste.

Manches Projekt zur Unterstützung dieser „DDR-Kinder“ wurde durch Diplomaten und Nichtregierungsorganisationen der BRD betrieben, es ist ihnen zu danken, dass vielen Kinder in dieser Situation eine Chance gegeben wurde. Manch eines hatte zu tun mit Drogen, abgebrochener Schulausbildung und zu frühen Schwangerschaften. Es kann vermutet werden, dass manches auch schon vor dem Beitritt mit Hilfe der Bundesrepublik machbar gewesen wäre. Die Helfer in den neunziger Jahren wurden manchmal erst durch Zeitungsberichte aufmerksam, deren Ziel aber kaum die Betreuung der so ad hoc verpflanzten Kinder und Jugendlichen gewesen war.

* * *

Dieses Buch erzählt von den „DDR-Kindern“ in Namibia, die heimkehrten in ein fremdes Land. Es lässt auch viele Erzieherinnen und Lehrer, Diplomaten und vor allem die nun jungen Erwachsenen der Gruppe zu Wort kommen. Besonders berühren die Briefe an die Lehrerinnen, von denen einige auch nach Namibia reisten, um ihre Schützlinge wiederzusehen, wie auch deren Berichte. Viele Fotos sind aufschlussreich. Der Amerikanerein Kenna ist letztlich diese Sammlung zu verdanken, die plötzlich in fünfter Auflage neu erschien.

* * *

Gelegentlich nimmt sich die Presse dieser Begebenheit an. BILD titelt am 09.08.2018: Verlierer des Mauerfalls – das Schicksal von Namibias DDR-Kindern. „Sie sollten mit deutscher Disziplin und einer sozialistischen Ausbildung zur Elite eines freien Namibias herangezogen werden.“ *

Quelle: BILD *


Die AZ – allgemeine Zeitung aus Namibia - erzählt am 11.01.2013 ebenfalls von Lucia Ecombe
 „ ‚Es sind einfach nur Kinder ausgesucht worden. Ich glaube auch nicht, dass die Eltern etwas dazu zu sagen hatten‘, beschreibt Albertina Heila, die selbst 1979 ins winterliche Mecklenburg gebracht wurde, die Lage.
Familiär entwurzelt brachte das Leben in der Fremde zunächst unzählige Entbehrungen und große Umstellungen mit sich, doch die namibischen Kinder arrangierten sich mit der Situation, fanden Freunde, gingen zur Schule, spielten und lachten.“ **


Quelle: AZ **


Recherchiert man weiter, erfährt man sehr unterschiedliche Meinungen nd Positionen auch von den „DDR-Kindern“ persönlich.

Wahrscheinlich aus „Jahrestagsgründen wird das Thema in diesem Jahr wieder aktuell. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtet von „sozialistischer Erziehung“ und auch von Rassismus im eigenem Land:

„DDR-Kinder durchleben Rassismus in Namibia
„Erst war ich fremd im fremden Land, dann war ich fremd im eigenen Land.“ Als sie damals durch die namibische Hauptstadt Windhoek fuhr, wunderte sie sich, dass die Bürgersteige in den Vierteln der Weißen breiter und die Häuser schöner waren. Viel geändert habe sich bis heute daran allerdings nicht, sagt sie. „Die Unterdrückung ist nun Schwarz gegen Schwarz.“ ***


Während ihre Mutter auf einer Farm angestellt wurde, kam die elfjährige Monica in ein Internat in Swakopmund, einer Stadt, in der die Hotels noch heute „Zum Kaiser“, „Prinzessin Rupprecht“ oder „Deutsches Haus“ heißen und der Swakopmunder Männergesangverein von 1902 das „Südwesterlied“ singt.

„Ich war das einzige schwarze Kind in meiner Klasse“, sagt Nambelela. Damals habe sie Rassismus von Lehrern und Mitschülern erfahren. „Ich hoffe, dass nie wieder ein Kind solch ein Schicksal erlebt“, sagt sie. „Deutschland muss aus dem lernen, was wir erlebt haben, und darf kein Kind mehr abschieben.“

Quelle: MDZ ***



Das hier besprochene Buch scheint bei all den unterschiedlichen Meinungen zum Thema, immer basierend auf unterschiedlichen Familiengeschichten und Erlebnissen der Betroffenen, die beste Möglichkeit zu sein, diese Geschichte lesend zu erleben. Der Stoff wurde offen und  keinesfalls tendenziös verarbeitet, viel unterschiedliche Schicksale und Sichtweisen werden dargelegt. "Das Buch ist ein umfassende, sachliches wie auch sehr persönliches Zeitzeugnis." (Buchrücken)


► Klaus Hess Verlag / 5./2018 / ISBN: 978-3933117113 / S. 216
© Bücherjunge


Quellen:



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.