Samstag, 6. September 2025

Lynch, Paul: Das Lied des Propheten

 

An einem regennassen Abend in Dublin öffnet die Wissenschaftlerin und vierfache Mutter Eilish Stack ihre Haustür und steht zwei Beamten der neu gegründeten irischen Geheimpolizei gegenüber. Sie sind gekommen, um ihren Mann Larry, einen bekannten Gewerkschafter, zu verhören. Kurz nach dieser Begegnung verschwindet Larry, und sehr schnell beginnen die Dinge in Eilishs Welt aus dem Ruder zu laufen. Irland befindet sich in der Gewalt einer Regierung, die auf dem Weg in die Tyrannei ist. Eilish findet sich in der alptraumhaften Logik einer kollabierenden Gesellschaft wieder, angegriffen von unsichtbaren Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie ist gezwungen, alles zu tun, um ihre Familie zu schützen und alle zusammenzuhalten. Wie soll sie ihren Kindern erklären, was passiert ist, wenn sie nach dem Vater fragen? Wie wird ihr eigener zunehmend dementer Vater auf die gravierenden Veränderungen seines Alltags reagieren? Und wie weit wird Eilish selbst gehen, um sich und ihre Familie zu retten? »Das Lied des Propheten« ist ein atemloses Porträt einer Familie am Rande der Katastrophe, das stilistisch und emotional seinesgleichen sucht. Paul Lynchs meisterhafter Roman ist das Buch der Stunde – und ein Appell, die entstehenden autoritären Regime der Gegenwart zu bekämpfen. (Verlagsbeschreibung)

DNB / Klett-Cotta / 2024/ ISBN: 978-3-608-98822-2 / 320 Seiten
 

Kurzmeinung: Ein unbequemes Buch, sperrig und poetisch, mahnend und leider nur zu vorstellbar - zurecht ausgezeichnet mit dem Booker-Preis 2023...








LEIDER NUR ZU VORSTELLBAR...



Spätestens seit Clown Trump in den USA seine Willkürherrschaft auslebt und die Demokratie mit Füßen tritt, muss jedem klar sein: diese Dystopie kratzt sehr an Vorstellbarem - und ist deshalb umso entsetzlicher. Der düstere Roman spielt in Irland, könnte aber ebenso gut überall in Europa spielen, denn der deutliche Rechtsruck und die Aushöhlung demokratischer Strukturen sind kaum zu übersehen.

Lynch gelingt es, einen innerhalb weniger Seiten aus der Normalität in den Sumpf des Grauens zu führen, der stellenweise unerträglich ist - für die Familie, aber auch für diejenigen jenseits des Buchdeckels. Beim Lesen kommt man nicht raus aus der Nummer, fühlt und denkt mit Eilish, sieht ebenso fassungslos zu, wie ihr Leben jeden Tag mehr in Scherben zerfällt, hofft vergeblich mit ihr, stumpft letztlich aber auch ab und weiß keinen wirklichen Rat. Das Erleben war so stark, dass ich immer wieder längere Pausen einlegen musste. Und letztlich weiß ich nicht, was für mich erschütternder war: die wachsende Sorge und das Gefühl, die Situation kaum noch ertragen zu können, oder aber das zunehmende Gefühl der Gleichgültigkeit gegen Ende. Beides war auf seine Art so intensiv, dass - ich es nicht wollte. Ja, zwischenzeitlich hatte ich gegen den Roman einen richtiggehenden Widerwillen. Diese Intensität ist eine der großen Stärken des Buches.

Anstrengend war das Lesen auch in anderer Hinsicht. Paul Lynch präsentiert das Porträt der Familie in einem sehr verdichteten, poetisch-atmosphärischen Schreibstil mit unzähligen Metaphern, fehlenden Absätzen und ausgelassenen Zeichen für für die wörtliche Rede. Die Seiten nahezu lückelos gefüllt mit Buchstaben, versponnen zu aneinandergedrängten, verschachtelten Sätzen. Nicht einfach zu lesen aber die Bedrohung über allem wird unglaublich deutlich. Und die Diskrepanz zwischen der poetisch geschliffenen Sprache und der albtraumhaft-abstoßenden neuen Realität wirkt wie ein zusätzliches Stilmittel: es unterstreicht und verstärkt das dargestellte Grauen um ein Vielfaches.

Ein unbequemes Buch, sperrig und poetisch, mahnend und leider nur zu vorstellbar - literarisch herausragend und zurecht ausgezeichnet mit dem Booker-Preis 2023...


© Parden




Paul Lynch, geb. 1977 in Limerick, wuchs in Donegal auf und lebt in Dublin. Von 2007 bis 2011 war er Chef-Filmkritiker der irischen Zeitung »Sunday Tribune« und schrieb regelmäßig für die »Sunday Times«. Seitdem ist er hauptberuflich Autor. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen in Irland und UK ausgezeichnet. Für seinen aktuellen Roman »Das Lied des Propheten« erhielt er den Booker-Prize 2023. (Quelle: Klett-Cotta)


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