Freitag, 10. Mai 2024

Von Suffrin, Dana: Nochmal von vorne

 

Was hält eine Familie zusammen, in der es nur Fliehkräfte zu geben scheint und alles darauf hinausläuft, dass etwas zu Bruch geht? Am Ende nur die eigene Geschichte. Dana von Suffrin hat einen virtuosen Roman über modernes jüdisches Leben zwischen München und Tel Aviv geschrieben.

Der Tod ihres Vaters und die Auflösung seiner Wohnung bringt für Rosa vieles in Bewegung, bei dem sie eigentlich froh war, dass es geruht hatte. Denn die Geschichte der Familie Jeruscher ist ein einziges Durcheinander aus Streitereien, versuchten oder gelungenen Fluchten, aus Sehnsüchten und enttäuschten Hoffnungen und dem vergeblichen Wunsch, irgendwo heimisch zu werden. Nun ist alles wieder da: die Erinnerungen an ihre irrwitzige Kindheit in den 90ern, an das Scheitern der Ehe der Eltern und die Verwandtschaft in Israel, aber auch ihre verschwundene ältere Schwester, mit der sie aus gutem Grund gebrochen hatte. Kraftvoll und mit großartigem schwarzen Humor erzählt Dana von Suffrin von einer deutsch-jüdischen Familie, in der ein ganzes Jahrhundert voller Gewalt und Vertreibung nachwirkt – und von zwei Schwestern, die sich entzweien und wieder versöhnen, weil es etwas gibt, das nur sie aneinander verstehen. (Verlagsbeschreibung)

DNB / Kiepenheuer & Witsch / 2024 / ISBN 978-3-462-00297-3 / 240 Seiten


 

Ein Roman, den ich im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen durfte - dafür meinen herzlichen Dank an den Verlag! Der Klappentext hat viel versprochen, ich fand ihn überaus ansprechend. Was ich tatsächlich bekommen habe? Sprachlich herausfordernd mit endlosen Schachtelsätzen wird hier das Bild einer dysfunktionalen Familie gezeichnet - generationenübergreifende Traumata, Sprachlosigkeit, Unverständnis. In der Leserunde kam der Roman auch überwiegend nicht gut weg. Hier geht es zu meiner Meinung:




 

 

 

 

 

 

ALTE WUNDEN...

 

 

Dana von Suffrin erzählt in diesem Roman die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, und es ist die jüngste Tochter Rosa, die diese Geschichte erzählt. Der Leser / die Leserin folgt dem Gedankenstrom der Frau, der es obliegt, die Wohnung ihres gerade verstorbenen Vaters aufzulösen. Tief taucht die Erzählung ein in die Vergangenheit, in Rosas Erinnerungen, nicht chronologisch sondern assoziativ und damit wild in den Zeiten sowie in den Orten hin und her springend. Dies ist verbunden mit einem herausfordernden Schreibstil mit teilweise ellenlangen Schachtelsätzen, die Wesentliches mit Nebensächlichkeiten zu knäuelartigen, unübersichtlichen Gebilden verzwirbeln, schon ein anstrengendes Leseerlebnis.  


"Sie ist auch eine dieser Personen, die nie fragen würden, wie es einem geht, denn sie wüsste selbst einfach keine Antwort darauf, und sie würde minutenlang nachdenken und schließlich seufzen, dass sie dazu leider nichts sagen könne, denn um zu wissen, wie es einem geht, muss man ihrer Meinung nach nicht nur die individuelle Stimmungslage und den gesundheitlichen Zustand berücksichtigen, sondern auch die eigene und die globale sozioökonomische Situation und weitere Parameter, die mir nicht einfallen wollen, und plötzlich werde ich fast wütend, weil ich denke, dass Nadja mich wieder einmal mit allem alleinlässt, denn während sie immer so tut, als würde alles, womit wir nichts zu tun haben, sie etwas angehen, zum Beispiel irgendwelche destabilisierten politischen Systeme in Südmittelamerika oder der Krieg zwischen Palästinensern und Israelis, den wirklich niemand begreifen kann; aber unser kleiner, grotesker, sicherlich einer Vielzahl psychoanalytischer Studien würdiger Familienkosmos hingegen, der aus nichts weiter als ein paar neurotischen, höchst bedürftigen Individuen bestand, ist für sie schon immer die größte Zumutung gewesen." (S. 14)  


Viel Einsamkeit gab es in der Familie Jeruscher, niemand stand für den anderen ein, niemand hörte dem anderen zu, jede:r hatte eigene Macken. Der Vater Mordechai als Sprössling einer letztlich entwurzelten Familie (vertrieben aus Rumänien, später Ungarn hin nach Israel), dazu mit seinen eigenen traumatisierenden Kriegserfahrungen, über die er nie sprach und mit einem Sonnyboy als Bruder, aus dessen Schatten er nie heraustreten konnte. Er kam nach Deutschland, um dort Geld zu verdienen, doch seine Ausbildung als Chemiker war nicht ausreichend, um die gewünschte Professorenstelle zu erhalten, stattdessen arbeitete er in einem Labor und überprüfte Wasserproben. Stur, depressiv, oftmals sprachlos - das einzige vor sich selbst zugelassene Gefühl war Wut, für alles andere fehlten ihm die Worte. 

Die Mutter, die eigentlich in den Bruder Mordechais in Israel verliebt war als sie dort als junge Frau ein Jahr lang arbeitete, dann aber bei der Wiederbegegnung in Deutschland offenbar mit "dem Spatz in der Hand" vorlieb nahm, Mordechai heiratete und statt ihr Studium zu beenden fortan Mutter und Hausfrau war. Keine Erfüllung für sie, was sie ihren Mann ständig spüren ließ. Die Eltern ließen gegenseitig kein gutes Haar am anderen, gestritten wurde täglich, lediglich mit kurzen Atempausen zum Verschnaufen. 

Die Schwestern Rosa und Nadja teilten sich ein gemeinsames Zimmer, die Jüngere schaute zur Älteren auf, die aber kaum ein Interesse an ihr zeigte. Rosa wirkte als Kind/Jugendliche verträumt, malte in der Schule vor sich hin statt zuzuhören, oftmals Familienmitglieder als Motiv. Die Gedanken kreisten offenbar damals schon oft um ihre Familie, aber es blieb wohl keine andere Art des Audrucks als die Bilder - mit wem sollte sie darüber sprechen? Rosa als die Jüngste konnte immer nur beobachten, hatte keinen großen Einfluss auf das Handeln der anderen Familienmitglieder. Und sie erwähnt, dass sie mittlerweile nicht mehr zu ihrem Therapeuten geht - offenbar gab es viel aufzuarbeiten, was die oftmals larmoyant wirkende Aufzählung der negativen Erinnerungen eindrücklich demonstriert.

Es ist schwierig, den Inhalt zusammenzufassen, denn hier zerfasert zu viel. Und auch die Aussage, die Intention hinter dem Roman wollte sich von mir nicht wirklich greifen lassen. Was sollte hier erzählt werden? Über mögliche Andeutungen geht es hier nie hinaus.

Eine Familiengeschichte in Kontrasten? Der jüdisch-entwurzelte Vater mit dem familiären Hintergrund der Shoa und der Drangsalierungen durch die rumänische Diktatur, sowie mit den eigenen Kriegserfahrungen in Israel im Gepäck - und dagegen die katholisch-bayrische Mutter, deren Eltern offenbar während der Regierungszeit der Nationalsozialisten keine Gegner des Holocaust waren, die durch ihre Ehe mit einem jüdischen Mann womöglich etwas wieder "gutmachen" wollte? Die Darstellung der Auswirkugen von generationenübergriefenden Traumata innerhalb einer Familie? Eine Identitätsfindung von Rosa? Der Konflikt zwischen Rosa und ihrer Schwester Nadja, der letztlich zu etlichen Kontaktabbrüchen führte - und nun ein neuer Versuch? Die literarische Verarbeitung eines toxischen Familiengefüges, geprägt womöglich von eigenen Erfahrungen der Autorin? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. 

Trotz einiger schöner Formulierungen und eindringlicher Schilderungen beklemmender Szenen lässt mich der Roman in erster Linie ratlos und achselzuckend zurück. Vieles bleibt mir zu vage, das Herauslesen zwischen den Zeilen ist mir offenbar nicht gelungen. Schade eigentlich, denn irgendwie mochte ich den Roman auch.

Ein Kandidat für den kommenden Deutschen Buchpreis? Ich bin gespannt...


© Parden

 

 

 

 

Dana von Suffrin wurde 1985 in München geboren. Studium in München, Neapel und Jerusalem. 2017 Promotion mit einer Arbeit zur Rolle von Wissenschaft und Ideologie im frühen Zionismus. Ihr Romandebüt »Otto« wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis (2019), dem Ernst Hoferichter-Preis (2020) und dem Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises (2020). Sie lebt in München. (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

 

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