Sonntag, 24. April 2022

Kogler, Iris Antonia: Meerestiere

An einem heißen Sommertag treffen fünf Menschen aus unterschiedlichen Gründen in einem Hotel ein. Jakob ist mit einem Fisch ans Meer unterwegs, Sonja und Richard hatten eine Autopanne, Jen wartet vergeblich auf ihren Liebhaber, und Alfred wurde mit seinem Hund Judy von seiner Tochter vor dem Hotel ausgesetzt. Weil nur einer von ihnen ein Auto zur Verfügung hat, schließen sich diese Menschen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, und gemeinsam fahren sie an die See, verbunden durch den Umstand, dass jeder von ihnen noch eine Sache im Leben zu klären hat. (Klappentext)
 
 
  • Herausgeber ‏ : ‎ epubli; 2. Edition (8. August 2019)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 239 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 374857956X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3748579564
 
 
 
 
Dass man abseits des großen Mainstreams und der bekannten Verlage auch auf Perlen stoßen kann, haben wir im Blog wohl schon mehrfach unter Beweis gestellt. Bei Lovelybooks durfte ich nun diesen Roman der mir bislang noch unbekannten Autorin im Rahmen einer kleinen Leserunde lesen, wofür ich mich auch an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Ob sich auch dieser Roman als Perle herausstellte? Lest selbst:



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

(K)EIN ROADTRIP...

 
© Parden

"Schräger, tragikomischer Roadtrip, in dem fünf Menschen, ein Hund und ein sprechender Fisch sich gemeinsam auf den Weg zum Meer machen." Das steht auch noch im Klappentext - und verwundert. Denn der sog. Roadtrip ist im Grunde keiner. Am Ende wird kurz die gemeinsame Fahrt zum Meer erwähnt, wo dann zumindest ein offenes Lebensthema zu einem Abschluss kommt. Aber der Schwerpunkt des Romans liegt keinesfalls auf dem Roadtrip...

Glücklicherweise mochte ich den Roman dann auch trotz der falsch geschürten Erwartung - das ist in der Vergangenheit bei anderen Büchern gelegentlich schon mal komplett schief gegangen. Doch worum geht es hier denn jetzt eigentlich?


"Dinge mussten losgelassen werden, sonst war es unmöglich, weiterzugehen."


Dieser Satz ist in meinen Augen bezeichnend für die Situation der fünf sehr verschiedenen Menschen, die hier im Roman eine Rolle spielen. Zunächst werden sie einzeln vorgestellt, ihre Lebenslage kurz angerissen, dann landen sie irgendwie alle in einem Hotel im Nirgendwo, und die Begegnung untereinander löst bei jedem einzelnen etwas aus, so dass Lebensthemen, die bei jedem von ihnen bedrückend präsent sind, endlich in Bewegung geraten.

Da ist zum einen der 83jährige Alfred, dessen Tochter beschlossen hat, dass er künftig in einem betreuten Wohnen leben und seine Wohnung, in der er seit 48 Jahren lebt, aufgeben soll. Alfred lebt in tiefer Trauer, seitdem seine Frau, die er 61 Jahre lang lieben durfte, gestorben ist. Sein einziger Lichtblick und Anker im Leben ist seine ebenfalls schon betagte Hündin Judy. Als seine Tochter Alfred abholt, setzt sie ihn nach einem Streit unvorhergesehen an besagtem Hotel ab, mitsamt Judy und dem einzigen Koffer, den er mitnehmen wollte in sein neues Leben.

Sonja und Richard sind ein langjähriges Ehepaar auf dem Weg in den Urlaub. Während der Fahrt hängen beide ihren Gedanken nach, und schnell wird klar, dass es mit ihrer Ehe nicht zum Besten steht. "Vor 25 Jahren war dieser Riss entstanden, hatte ihrer beider Leben mit Leere gefüllt." Was hinter der kryptischen Andeutung steckt, erfährt man erst spät, nachdem eine Autopanne die beiden zwingt, ebenfalls in diesem Hotel zu übernachten.

Jakob hat gerade die Nachricht erhalten, dass sich seine Frau von ihm trennen wird. Allein im Haus, beginnt plötzlich der Fisch in der Küche mit ihm zu sprechen. Dem Alkohol nicht abgeneigt, beschließt Jakob schließlich auf die Bitte des Fisches hin, sich mit diesem auf den Weg zur Nordsee zu machen. Zwischenhalt ist besagtes Hotel.

Jen schließlich, gerade einmal 30 Jahre alt, Finanzbuchhalterin in einem Autohaus, will in dem Hotel John treffen, ihren Liebhaber, der mit einer anderen Frau verheiratet ist. Doch wider Erwarten kommt John nicht - und Jen ist ratlos...

Die unterschiedlich lange Vorstellung der Charaktere hier in der Rezension ist tatsächlich bezeichnend dafür, welchen Zugang ich zu den verschiedenen Personen fand. Mit Alfred, dem wohl der letzte Umzug in seinem Leben bevorsteht, konnte ich am meisten mitfühlen. Sonja und Richard fand ich eindrucksvoll realitätsnah, und auch ihr Lebensthema sowie die Auflösung am Ende konnten mich berühren. Jakob dagegen blieb mir in seiner Eigenart eher fremd, und Jen war für mich die blasseste Figur, die ich irgendwie nicht so recht zu fassen bekam. Die geisterhafte Geliebte im Hintergrund - sie gab sich mir nie so richtig zu erkennen.


"Routine konnte einen am Leben halten (...), aber jetzt hatte sie das Gefühl, dass die Routine alles Lebendige in ihrem Leben abtötete, als sei es Unkraut, das sich einen Weg durch den Asphalt der blinden Gewohnheit erkämpft."


Ich empfand die Vorstellung der einzelnen Figuren in der Summe fast schon zu niederdrückend - alles ist von Melancholie durchzogen, das Leben ein Stillstand. Die Reise der Einzelnen ist da schon eine Wohltat, einfach weil etwas in Bewegung gerät. Durch die Begegnung der vorgestellten Personen löst sich die Melancholie zunehmend auf, werden harte Krusten aufgeweicht, bekommenmen starre Fassaden allmählich Risse. So viele Verletzungen, so viel Traurigkeit - und dann diese liebevollen Begegnungen in der lauen Sommernacht, das tat beim Lesen wohl. Insofern empfand ich den Aufbau als sehr gelungen.

Und zum Glück gibt es da auch noch den sprechenden Fisch. Klingt skurril? Ist skurril! Er nimmt kein Blatt vor den Mund, und in seiner direkten Art nimmt er der Melancholie, die den Roman über weite Strecken durchzieht, doch die Spitze. Das empfand ich als sehr angenehm. Und was zu Beginn fast übernatürlich erscheint (ein sprechender Fisch, hallo?!), klärt sich letzten Endes ganz schlüssig auf, was mir ebenfalls gut gefiel. 

Der Schreibstil von Iris Antonia Kogler ist hier noch besonders hervorzuheben. Trotz der schweren Themen wirkte er leicht auf mich, bildhaft an vielen Stellen, poetisch mitunter. Zuweilen hatte ich den Eindruck, tatäschlich ein Bild vor mir zu sehen, deutlich in Details und Farben. Daher kann es kaum verwundern, dass es auf der Basis des Romans eine Fotoausstellung gab - leider gibt es hierzu keinen Link, da wäre ich doch sehr neugierig gewesen, ob die Bilder der Fotograf:innen sich mit meiner Vorstellung von einigen Szenen deckten...

Alles in allem ein besonderer Roman, der trotz der Melancholie nicht erdrückt und sprachlich etwas Besonderes hat.


© Parden

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Iris Antonia Kogler wurde 1977 geboren. Nach einer Ausbildung zur Theaterdramaturgin arbeitete sie einige Jahre im Kulturbereich und ist heute neben ihrer Schriftstellerei auch als Lehrkraft für kreatives Schreiben, Schreiben für Theater und Roman tätig. 2018 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung „Von Menschen“ sowie den Roman „221 Tage“. 2019 folgte der Roman „Meerestiere“. 2020 stand sie mit ihrem Roman „221 Tage“ auf der Shortlist des Tolino Media Newcomerpreises. (Quelle: Amazon.de)
 
 

2 Kommentare:

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