Montag, 16. September 2013

LWH: Stein mit Hörnern

Das Blut des Adlers III: Stein mit Hörnern ist wieder da. 
Pentalogie von Liselotte Welskopf - Henrich
Rezension aus Anlass der Neuveröffentlichung des Palisander-Verlages im Jahr 2013

Band 1: Nacht über der Prärie
Band 2: Licht über weißen Felsen
► Band 3: Stein mit Hörnern
Band 4: Der siebenstufige Berg
Band 5: Das helle Gesicht

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Die Handlung:

In der ► Rezension zu "Licht über weißen Felsen" habe ich zuletzt erwähnt, dass Joe Inya-he-yukan King, genannt Stonehorn, mit seinen beiden Wahlsöhnen Wakiya und Hanska in die kanadischen Berge fährt um dort zu wandern und zu jagen.
Er braucht vor allem auch neue Adlerfedern für das Grab seines Ahnen, Inya-he-yukan den Alten, auch bekannt als Tokei-ihto, Häuptling der Bärenbande. Der Alte ist die Hauptfigur aus dem Buch "Die Söhne der Großen Bärin". Der etwas hastig geschossene Adler fällt in einen Sumpf. Joe will ihn holen und sinkt dabei ein, die Kinder retten ihn in Stunden harter Arbeit aber er hat ein schlimme Rückenverletzung davon getragen. Der Geheimnismann der Siksikau Gruppe, die in den Wood Mountains lebt, richtet den Rücken wieder und Stonehorn ist sogar in der Lage wieder ein Rodeo zu bestreiten.

Aber nun, hier im dritten Band der Pentalogie, liegt er flach. Und schweigt. In einem Krankenhausbett auf der Reservation. In das er sich nie freiwillig begibt. Auch nicht als "Doc" Eivie dort noch das Sagen hatte. Freund der Lakota und MENSCH. Nun herrscht dort Medical Doctor Roger Sleigh, ein begnadeter Chirurg. Der operiert Joe eine Nadel aus dem Rücken und richtet die Wirbelsäule nach allen Regeln der ärztlichen Kunst. Aber wo hat Joe den Zettel her: "Sligh, 8000,-"?
Stonehorn hatte in New City wieder mal eine Begegnung mit seiner Vergangenheit in den Gangstergruppen. Von der fuhr er noch nach Hause und nun, wie gesagt, liegt er flach. Sligh, der offensichtlich durch irgend jemand erpresst wird, will natürlich vor allem wissen, was es mit dem Zettel auf sich hat, der sich in den Ausscheidungen des Patienten befand.
Aber nun kommt Joe in eine teure Privatklinik, Sligh will den Erfolg seiner komplizierten Operation durch eine ebenso sehr gute Rehabilitation sicherstellen. In der Klinik eines Dr. Miller soll der Kranke wieder "hergestellt" werden. Queenie, seine junge Frau und erfolgreiche Malerin, muss nun enorme Summen aufbringen, damit Joe dort geheilt werden kann. Dazu vor allem muss sie Bilder verkaufen, auch an zweifelhafte Leute…

Stonehorn fehlt auf der Büffelranch und so kommt es zum tragischen Tod der Nachbarin Mary, die der alte Büffelstier angreift und tötet. Bevormundet durch die Reservation, in der nun ein alter Feind stellvertretend waltet, Sydney Bighorn, welcher die Genehmigung zum Abschuss der alten Stiers nicht rechtzeitig erteilt, kommt es zu diesem Unglück. Joe will nun nach Hause und gefährdet den Erfolg der Reha, er stürzt und weitere Wochen in der Klinik schließen sich an…
Aber eines Tages ist es soweit, Joe ist wieder da. Auch erinnert er sich an einige Passagen kurz vor seiner erneuten Verletzung während der Schießerei mit Leo und Kumpanen. Leo Lee, der mit Joe noch eine Rechnung offen hat, lauert in der Agentur auf ihn, während des Kampfes allerdings bricht er sich das Genick. Damit ist das Problem leider nicht beendet. Denn wo ist Esmeralda "Esma" Rosina Rogers O´Connor? Wieder steht Joe unter Mordverdacht…

Im Verlauf der weiteren Geschichte wird Stonehorn sich ein Texas Bronco holen (ungezähmtes Pferd), dessen Zähmung sehr an die Geschichte aus den Söhnen der Großen Bärin erinnert, wo Stein mit Hörner neunzig Jahre zuvor als junger Krieger sich einen starken Leithengst fängt und zähmt. Joe fährt mit dem weißen Pferdehändler Kramer nach Texas und nimm den Knaben Hanska mit, pferdeverständig wie dieser nun mal ist. Die Stute steht im Stall, gequält, abgemagert, verletzt, Outlaw nennt man solche Pferde, weil sie zu Angriffen neigen. Selbstverständlich ist Inya-he-yukan der Jüngere seinem Vorbild auch in dieser Sache ebenbürtig.

Außerdem bekommen wir nun Berührung mit dem American Indian Movement, die Organisation, welche ab 1968  auch mit militanten Aktionen auf die Situation der Indianer aufmerksam macht. Denn Joe wird für die Wahl zum Häuptling des Stammes aufgestellt. Die Wahl verliert er und das ist wohl besser so, denn noch ist die Zeit für ihn nicht reif. Dafür knüpft er Kontakte. Einmal zu Edward Monture, Kunstschulkommilitone seiner Frau Queenie, der sich in  New City nieder gelassen hat. Und außerdem zu Andy Tiger und anderen, denn er fährt den alten Häuptling und Anführer der "Trinkerpartei" zu Versammlung der Chiefs. Dort "treiben" sich die Aktivisten des AIM rum.

Stonehorn als  heimlicher Häuptling? Zuerst muss er das Geheimnis um "Esma" klären. Am Ende zeigt er sich als Geheimnismann…
Hinzu kommt, das Establishment weiß zurück zu schlagen: Mit Einberufungen zum Militär, mit Versetzungen, mit Auflösung der Schulranch und Erpressungen und Einschüchterung. Inya-he-yukan wird sich beweisen müssen…

"Eines Morgens, als der Stern im graublau aufdämmernden Nebel über der Prärie leuchtete, weckte Inya-he-yukan Tashina und Wakiya, um Abschied zu nehmen. Tashina fragte nicht und weinte nicht. Der Mann erschrak und legte den Arm um die Schultern der jungen Frau, die jung und schon alt war. Miteinander gingen die drei zum Friedhof. Hier lagen in schneebedeckten Gräberb Inya-he-yukan der alte Häuptling, und Untschida, hier lagen Joe Kings Vater, der alte King, Harold Booth und Mary booth und die Mutter des großen Häuptlings Tashunka-witko, dessen Grab sich, hinter den Felsen verborgen, aller schalen Neugier entzog. Inya-he-yukan der Jüngere setzte den Krumstab mit dem neuen Bündel Adlerfedern auf das Grab des alten Inya-he-yukan und nahm die zerzausten Federn an sich, damit sie in der Behausung noch geschützt bewahrt werden könnten, den Kindern zum Zeichen und Andenken. Mit Tashina und seinem Wahlsohn Wakiya zusammen betete er in der Stille zu dem Geheimnis mit den worten der Ahnen: 'Und wir bitten dich, dass du uns Nahrung gebest und Frieden.'

Dann machte er sich auf die Wege, die zu gehen er beschlossen hatte." [1]
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Zum Hintergrund:
Im Jahre 1963 konnte die Wissenschaftlerin erstmals nach Kanada reisen. Hier besuchte sie auch die Teton - Lakotagruppe, die das Vorbild für die über den Missouri flüchtende Bärenbande bildete. Erik Lorenz beschreibt die Reisetätigkeit in seinem ► Buch "Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer".[2]  Sie besuchte viele Stämme (Mohawks, Seminolen, Cherokee und andere) und beschrieb die Reservationen:

"Auf den Reservationen gibt es keine Städte, sondern Dörfer, sowie verstreut liegende Ranches, und auf den großen Reservationen weite einsame Strecken, wenige gute Straßen, manche unbefestigte Wege. Man läuft weite Strecken zu Fuß, benutzt das Pferd oder das alte auto, das billig erworben werden kann. Manche Indianerhäuser sind von herbeigeschleppten Autowracks umgeben, aus denen sich der Besitzer die Ersatzteile ausbaut."[3]

Schon an diesem kurzen Zitat sehen wir, dass die Autorin ureigenste Erlebnisse in den Büchern verarbeitete. Genau so sind die Hütten und das umliegende Land beschrieben. Lorenz erzählt auch, dass sie mit diversen Fotoapparaten nicht umgehen aber ums besser Kontakte knüpfen konnte. Auf diese Art und Weise lernte sie nicht nur die verschiedensten Menschen kennen, sie unterstützte Organisationen, spendete für ein Filmprojekt und half einem inhaftie[4]
rten Azteken mit Anwälten.

Natürlich kommt sie so mit dem American Indian Movement in Berührung.
Das AIM: Protestbewegungen kommen in den sechziger Jahren überall in der westlichen Welt (nicht nur in dieser) auf. Während sich die Hippie - Bewegung auf Woodstock zu bewegt, organisieren sich die eigentlichen Amerikaner im American Indian Movement. Die Bewegung entstand zuerst in den Städten. In Cleveland wirkte bei der Gründung ein gewisser Russel MEANS mit, von dem noch zu sprechen sein wird. Eine wesentliche Verbindung zu den Reservationen bestand zunächst nicht, sie entstand aber ab 1970.  Genau diese Zeit (1968 bis ungefähr 1970) beschreibt Liselotte Welskopf-Henrich in diesem dritten Band der Pentalogie.[5] Während des Aufenthaltes im Krankenhaus lernt Joe einen gewissen Cyprus NEWMAN kennen, der im Bureau of Indian Affairs (engl.) arbeitet und seine Hilfe insbesondere was Kunst und Kultur betrifft, anbietet.

Internet Quelle

Dennis Banks (Quelle)
Für uns ist dieser Russel Means interessant, denn den lernte auch die Autorin kennen, er hat sie auch in Deutschland besucht. Das Führungsmitglied des AIM war an der Besetzung von ► Wounded Knee im Jahr 1973 beteiligt. Über Liselotte Welskopf-Henrich bekamen die Aktivisten des AIM, z. B. Dennis Banks, Gehör in Presse und Rundfunk.

(Quelle) Russell Means als Chingachgook (links)
 Russel Means spielte auch in bekannten Filmen wie Natural Born Killers und Der letzte Mohikaner mit. (aus den ► Lederstrumpf Erzählungen von ► James Fenimore Cooper) Die im Buch handelnden  Indianer Andy Tiger (eher ein radikaler Revolutionär) und Edward Monture (der ruhig - besonnene Gewerkschafter) stehen für die "organisierten" Indianer, für das AIM.

Am Ende des Buches lernen wir auch noch den Peyote Kult kennen. Für diesen steht auch die sogenannte ► Native American Church. Diese, dem Christentum wohl nahestehende Religion der indigenen Völker Nordamerikas wird bei den Stämmen verschiedenartig ausgeübt. Charakteristisch ist der Konsum des ► Peyote - Kaktus, eine meskalinhaltige berauschende Pflanze. Im Buch führt Stonehorn die Zeremonie in einem weißen Tipi an. Sie dient der Versöhnung der untereinander schuldig gewordenen Indianer. Joe wird die Funktion des "Wegbahners" übernehmen:

" 'Ihr habt meine Worte gehört, Tashina und Wakiya. Ich habe die beiden Alten in das weiße Zelt geladen.'
'In das Peyote-Zelt.' Tashina flüsterte.
'In das Gebetszelt.'
'Vater Inya-he-yukan...', bat Wakya schüchtern.
'Ja?'
'Wann bist du selbst zum ersten Mal im weißen Zelt gewesen?'
'Ich wurde zu den Zusammenkünften zugelassen, als ich zehn Winter gesehen hatte. Mit vierzehn war ich Feuermann, mit sechszehn Trommelmann. Jetzt werde ich der Wegbahner sein. ... Der blinde Geheimnismann liebte mich wie einen Sohn. Feuermann war ich und Trommelmann, und ich lernte die verborgensten unserer Geheimnisse....' " [6]

Die Beschreibung des Kultes zeigt uns, wie nah Liselotte Welskopf-Henrich ihren indianischen Freunden gekommen ist. Denn sicher würden diese Fremden kaum die Geheimnisse ihres Kultes anvertrauen. Die im Link zum Wikipediaartikel beschriebene Beziehung zum Christentum scheint mir in der Beschreibung im Roman weniger erkennbar. Es geht den Teilnehmern auch um die Versöhnung der Geister ihrer Toten: Der alte King, Harold und Mary Booth, Alex Goodman und Sidney Bighorn... Dies erinnert doch mehr an die alte indianische Religion in der die Geister der im Kampf gefallenen Gegner versöhnt werden mussten.
Geistertanz der Sioux (Quelle)
Hinzu kommen vermutlich auch Aspekte der ► Geistertanzbewegung, die Ende des 18. Jahrhunderts aufkam.  wiederum sei auf die amerikanische ► Miniserie Into the West verwiesen, denn in dieser widmen die Regisseure der Bewegung fast einen ganzen Teil. Das Massaker am Wounded Knee, über das an anderer Stelle noch zu reden sein wird, hängt auch mit dieser Geistertanzbewegung, die vom weißen Establishment nicht verstanden wurde, zusammen. Grundlage war der Wunsch, dass eines Tages "die Toten und die Büffel wiederkommen werden". Die Helden, die die in Reservationen gesperrten Stämme befreien und die Büffel, Zeichen der Freiheit, der ausreichenden Nahrung und des Tipis. Insofern sind dann Parallelen zum Christentum, zur Auferstehung und zum jüngsten Gericht erkennbar.
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Den Schutzumschlag des 517 Seiten starken Buchen ziert die Abbildung eines weißen Tipis. Ein stilisiertes Zelt ist auch auf dem Einband zu erkennen.
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Die Anhänge: In den vorherigen Rezensionen wurde schon erwähnt, dass Frances Densmores ein interessantes Buch mit dem Titel: "Die Lieder der alten Lakota" verfasst hat. Es geht um das Leben und die Kultur der Teton-Sioux. Nun stellt uns der Verlag dieses Buch etwas genauer vor.  Die amerikanische Musikethnologin (1867 bis 1957), die insbesondere zum Erhalt der Kultur der nordamerikanischen Indianer beitrug. [7]
Mehrere ausgedehnte Reisen unternahm sie zwischen 1911 - 1914 in die Standing Rock Reservation. Sie errang das Vertrauen der Stammesältesten und konnte die Geschichten und Märchen der alten Lakota sammeln und ihre Lieder und Weisen mit einem Phonographen auf Wachszylinder aufnehmen. Zweihundertvierzig Lieder konnte sie so aufnehmen. Achtundzwanzig Originalaufnahmen sind auf einer CD dem Buch, welches ebenso im Palisander Verlag verlegt wurde, zu hören.

 Im Anhang zu Stein mit Hörnern ist eine Erzählung daraus erhalten. In ihr schildert der Indianer Roter Fuchs den Weg als Krieger. Als Europäer mit vielleicht etwas verklärtem "Indianerblick" staunt man beim Lesen der Geschichte. Der Indianerjunge reitet einem Trupp von Kriegern nach. Er weiß, dass seine Mutter sich sehr grämen wird, wenn er "zu zeitig" mit dem Beruf des Kriegers beginnt. Diese Krieger aber akzeptieren seine Hartnäckigkeit. Er wird zum Krieger und weil er zwei feindlichen Krähenindianern das Leben schenkt zum Anführer der Schar.

In einer zweiten Geschichte träumt ein Lakota namens Siya´ka von einer Eule und einer Krähe. In ihr erhalten wir eine Vorstellung davon, wie die Lakota Träume begriffen und deren Inhalt zu Namen wurden. Die Geschichte, in der Inya-he-yukan der Alte zum Krieger wurde und aus einer Muschel mit Spitzen ein Stein mit Hörnern fußt vermutlich auf einer solchen oder ähnlichen Erzählung.

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Als ich die Geschichten erstmals las, kannte ich keine weitere Fachliteratur.  Daher erschließt sich mir heute, nach 30 Jahren, die Geschichte der Liselotte Welskopf-Henrich durchaus neu. Das Interesse an den anderen Büchern über Kultur, Leben und Geschichte der Prärieindianer, die im Palisander Verlag ebenfalls erschienen sind, wächst…
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► Die Lieder der alten Lakota - DNB -
► Stein mit Hörnern - DNB -
► LWH in der DNB
► LWH - Autorenseite 

© KaratekaDD


[1] siehe LWH: Stein mit Hörnern, Palisander Chemnitz 2013, Seite 517 (Schlusszeilen)
[2] vgl. LORENZ, Erik: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer, Palisander, Chemnitz 2010, Seite 170 ff
[3] ABBAW 149, Mitschrift Radiointerview vom 18.04.1973 IN: LORENZ, Palisander, Seite 173
[4] vgl. LORENZ, Palisander, Seite 174
[5] Die Ableitung erfolgt aufgrund der Bemerkung, das Hanska 12 Jahre alt ist. Im letzten Band (Das Helle Gesicht) ist er 14 bis 15 Jahre alt und das ist das Jahr 1973, das Jahr des Aufstandes am Wounded Knee.
[6] siehe LWH: Stein mit Hörnern, Seite 475 ff
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Frances_Densmore; 12.09.2013, 19:10 Uhr

1 Kommentar:

  1. Wieder sehr umfassend - der echte Fan eben. Und die Aussage "Das Interesse an den anderen Büchern (...) wächst" lässt vermuten, dass das Thema noch lange nicht beendet ist... Ich bin gespannt!

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