Auch seinen fünften Geburtstag feiert Jack in Raum. Raum hat eine immer verschlossene Tür, ein Oberlicht und ist 12 Quadratmeter groß. Dort lebt der Kleine mit seiner Mutter. Dort wurde er auch geboren. Jack liebt es fernzusehen, denn da sieht er seine »Freunde«, die Cartoonfiguren. Aber er weiß, dass die Dinge hinter der Mattscheibe nicht echt sind - echt sind nur Ma, er und die Dinge in Raum. Bis der Tag kommt, an dem Ma ihm erklärt, dass es doch eine Welt da draußen gibt und dass sie versuchen müssen, aus Raum zu fliehen ...
»Nerven zerreißend und fesselnd. "Raum" - angeregt von der wahren Geschichte über Elisabeth Fritzl, eingesperrt mit ihren Kindern von ihrem Vater - ist die Geschichte einer Mutter und ihres Sohnes, deren Liebe sie das Unglaubliche überleben lässt.« Psychologies
Zwölf Quadratmeter...
(zuerst veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am 25.09.2013)
Raum hat eine immer verschlossene Tür und ein Oberlicht, aus dem nur der Himmel zu sehen ist. Außer Jack und seiner Mutter gibt es niemanden. Nur Old Nick, der den Code nach draußen kennt. Aber "Er passiert nur in er Nacht, so wie die Fledermäuse" (S. 33).
Mit 19 Jahren wurde Jacks Mutter von dem Mann mit dem Namen Old Nick gekidnapped und eingesperrt. Seit sieben Jahren lebt sie in diesem Raum, tausende Male vergewaltigt von ihrem Peiniger und in allen Belangen abhängig von ihm. Doch Jack ist nachts im Schrank, erfasst die Dimension des Grauens nicht und beschreibt es auf seine Weise: "Old Nick quietscht Bett" (S. 97).
Für ihn ist das Beisammensein mit seiner Mutter wichtig, und die bemüht sich, Jack alles zukommen zu lassen, was in ihrer Macht steht. Sie ist den ganzen Tag für ihn da, gibt ihm Struktur und fördert ihn, erklärt ihm alles und ist zärtlich zu ihm. Für Jack ist die Welt in Ordnung.
Im Fernseher existiert eine Welt, die es nicht gibt... |
Eines Tages jedoch erklärt ihm seine Mutter, dass es doch eine Welt da draußen gibt und dass sie versuchen müssen, aus Raum zu fliehen...
Erzählt wird das Geschehen aus der Sicht des fünfjährigen Jack, und es ist interessant, ihm in seine Gedankenwelt zu folgen. Als er erfährt, dass es ein reales "Draußen" gibt, kann er es zunächst gar nicht glauben. Es verwirrt ihn sehr, stellt es doch alles auf den Kopf, was bisher für ihn wirklich war: "... die sind alle wirklich im Draußen. Ich bin da aber nicht, Ma und ich, wir sind die Einzigen, die da nicht sind. Sind wir noch in echt?" (S. 98)
Doch wenn ihn die Idee an die reale Welt schon verwirrte, der tatsächliche Kontakt mit der Welt draußen, später, nachdem die Flucht tatsächlich geglückt ist, ist fast mehr als Jack ertragen kann. Nur ganz behutsam gelingt eine Annäherung an das Fremde: "Mein Lieblingsding im Draußen ist das Fenster. Jedesmal ist es anders." (S. 244)
Das Fenster ist das erste Tor zur Welt... |
Mit viel "Mungst" (einer Mischung aus Mut und Angst) bewältigt Jack nach und nach die Annäherung an die oft unerklärliche Welt. Wie sehr ihn das verwirrt, zeigen z.B. folgende Sätze:
"Ma hat gesagt, wir würden frei sein, aber das hier fühlt sich nicht an wie frei." (S. 329)
"In Raum wussten wir immer, wie alles hieß, aber in der Welt gibt es so viel, dass die Personen noch nicht mal die Namen wissen." (S. 341)
"Die Welt verändert andauernd (...), ich weiß nie, wie es in der nächsten Minute ist." (S. 342)
Gerade die Diskrepanz zwischen dem Leben im Raum und dem Leben in der realen Welt ist von der Autorin sehr gelungen dargestellt. Die Verwirrung und die Gedankengänge Jacks sind nachvollziehbar und lassen einen darüber nachdenken, was "Realität" eigentlich bedeutet...
Der Prozess, den die Mutter durchläuft, wird ebenfalls immer wieder angerissen, aber nur in Andeutungen durch die Wiedergabe aufgeschnappter Gesprächsfetzen. Dies ist für das Verständnis des Geschehens aber auch vollkommen ausreichend. Das offene Ende ist ebenfalls schlüssig, denn der Prozess der Annäherung an ein "normales" Leben sowie das Leben überhaupt gehen ja schließlich weiter.
So interessant, wie die Wiedergabe des Geschehens und der Gedanken aus der Sicht des fünfjährigen Jack auch ist, bleibt da doch ein Faktor, der mich während des Lesens immer wieder gestört hat. Es ist die Sprache Jacks.
Während er bereits lesen, schreiben und weit über den Hunderterbereich hinaus zählen kann und auch allgemein über eine schnelle Auffassungsgabe verfügt, passt seine Sprache gar nicht dazu. Zwar redet er häufig sogar in verschachtelten Sätzen, aber oft benutzt er Nomen ohne einen Artikel oder mit fehlerhaftem Artikel und nutzt Verben oft fehlerhaft ("gebringt" ). Auch wenn ich den Einsatz als Stilmittel irgendwie sogar nachvollziehen kann, wirkte die Sprache auf mich in den Passagen zu kleinkindhaft und störend.
Insgesamt aber ein flüssig zu lesendes und ungewöhnliches Buch, das einem sicher noch länger im Gedächtnis haften bleibt. In jedem Fall empfehlenswert!
© Parden
Hier gibt es ein Video auf Deutsch zum Buch vom Verlag Piper.
Und hier gibt es ein zweites Video auf Englisch, was m.E. mehr Einblicke liefert.
Emma Donoghue |
Seit ihrem 23. Lebensjahr kann
Emma Donoghue vom Schreiben leben. Nach Jahren des Pendelns zwischen
England, Irland, und Kanada, wohnt sie seit 1998 in Ontario, wo sie mit Chris Roulston und ihren beiden Kindern zusammenlebt.
Für ihren Roman "Raum" (Room) wurde sie 2010 mit dem Irish Book Award in
der Kategorie "bester Roman" ausgezeichnet. Im April 2013 erschien ihr
aktueller Roman "Das rote Band".
Das ist wieder eine sehr interessante Rezension. Sie erinnert ein wenig an den Jungen im gestreifen Pyjama was die sicht des nicht begreifen könnenden Kindes betrifft.
AntwortenLöschenEs ist auch ein außergewöhnliches Buch...
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