Wenn ein Vater das Gesetz schützen soll, doch stattdessen das größte
Unrecht geschehen lässt. Wenn sich ein Mann bei dem Versuch, sein Leben
zu bestreiten, durch sein Schweigen schuldig macht. Wenn ein Kind in
einer Gesellschaft aufwächst, in der Mitgefühl bestraft wird.
Die
beinahe märchenhaft anmutenden Kurzgeschichten in »Kaltfront« blicken
tief in die Seele der Türkei. Mitfühlend und liebevoll erzählt Demirtaş
von den Ärmsten der Gesellschaft: den Hilfsarbeitern, den Busfahrern,
den Straßendieben – sie alle eint der Wunsch nach einem glücklichen
Leben und die schiere Ausweglosigkeit ihrer Situation.
(Verlagsbeschreibung)
An dieser Stelle möchte ich mich zunächst bei Whatchareadin und dem
Penguin Verlag bedanken für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Kurzgeschichten im Rahmen einer Leserunde zu lesen, ist noch einmal eine
ganz andere Herausforderung - aber sie wurde gemeistert. Teilweise
wurde wieder sehr kontrovers diskutiert, manchmal gab es aber auch
Denkanstöße, die das eigene Erleben der Geschichten etwas veränderten.
Literatur aus der Türkei - hier im Blog eher eine Seltenheit. Mein
letzter Beitrag dazu datiert wohl aus dem Jahr 2015:
Der halbe Mond von Hasan Cevat Cobanli.
Bei diesem Buch nun sorgte bereits die Widmung bei mir für Gänsehaut.
Wie es mir ansonsten mit den Erzählungen erging, könnt Ihr hier
nachlesen:
GESCHICHTEN AUS DEM GEFÄNGNIS...
Geschichten aus dem Gefängnis. Nein, die 14 Kurzgeschichten handeln
nicht vom Gefängnis, der Autor schrieb sie als Inhaftierter - er
befindet sich seit November 2016 in Haft. Selahattin Demirtaş hat sich
politisch sehr engagiert in einer prokurdischen Partei, ist Mitglied bei
Amnesty International, war Direktor einer Menschenrechtsvereinigung,
war Erdogan als Gegenkandidat bei den türkischen Parlamentswahlen ein
Dorn im Auge und wurde daraufhin wegen "Mitgliedschaft in einer
Terrororganisation" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Der amtierende
Präsident der Türkei ist ja für seinen Umgang mit Oppositionellen
berüchtigt. Selahattin Demirtaş wurde im Frühjahr 2019 für den
Friedensnobelpreis nominiert.
"Kaltfront" ist bereits der zweite auf Deutsch erschienene Band mit
Kurzgeschichten von Selahattin Demirtaş, die er im
Hochsicherheitsgefängnis von Edirne verfasst hat. Jede der Geschichten
befasst sich mit den teilweise brutalen Gegebenheiten in der Türkei -
die Ausweglosigkeit der Armut, die fehlende Bildung v.a. in den kleinen
Bergdörfern, die Skrupellosigkeit von Regierung, Justiz und Wirtschaft,
die oftmals fehlende Mitmenschlichkeit, das Zerschlagen von Hoffnung,
wenn die Realität die Menschen einholt, das Trauma eines Menschen, der
einen (totgeschwiegenen) Angriff auf ein kurdisches Dorf überlebt hat.
Aber die Geschichten weisen auch auf Möglichkeiten hin - stiller oder
lauter Protest, um die Ohnmacht zu überwinden, Zivilcourage, der Glaube.
Bedrückend sind die Erzählungen häufig, der leise Humor, der hier und
da aufblitzt, bleibt einem dann gleich wieder im Halse stecken.
Selahattin Demirtaş macht die Ohnmacht der Armen, Verfolgten,
Unterdrückten spürbar, und doch ist da der unbedingte Lebenswille der
vorgestellten Charaktere und ihr Versuch, die eigene Geschichte zum
Guten zu wenden. 14 Kurzgeschichten, die nichts beschönigen.
Mich haben die Erzählungen größtenteils nicht unberührt gelassen.
Wohl dosiert gelesen, verschaffen sie einen intensiven Einblick in die
Türkei jenseits der Urlaubs-Prospekte. Unbequeme Lektüre - aber wichtig.
© Parden
Das ist doch verrückt: Da wird der Autor als „Mitglied einer terroristischen Organisation“ eingesperrt unter fadenscheinigen Gründen und kann aus einem Hochsicherheitsgefängnis heraus „subversive“ Geschichten im „antitürkischem“ Ausland veröffentlichen.
AntwortenLöschen„Unbequeme Literatur“: Nicht nur für einen Präsidenten…
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