Samstag, 8. April 2023

Casement, Nina: Anny Bunny

„Ich würde mich sehr über eine Rezension eurerseits freuen.“ / „Ich lese oft, dass Blogger keine unangebrachten Rezensionsexemplare oder Komplettversionen erhalten möchten…“ / „Ich kann versprechen, dass ihr diese beiden Perspektiven in der Form zum ersten Mal lest!“

Es stimmt, ich mag es tatsächlich nicht besonders, Autorenanfragen zwecks gewünschter Rezensionen zu erhalten. Andererseits, Blogs werden wahrgenommen und vielleicht haben Autorinnen oder Autoren auch diesen oder jenen Beitrag gelesen und verteilen nicht nur mit der Gießkanne ihre Produkte per Mail…

Nun, der folgende Text in der Mail der Nina Casement, den ich statt der Wiedergabe des Klappentextes hier zitiere, machte mich etwas neugierig, während die Skepsis blieb. Besteht sie noch?


„Anny Bunny ist eine Entwicklungsgeschichte – ein Gegenwartsroman, der sich um die gesellschaftliche Sichtweise von Sexualität, Pornografie und damit zusammenhängenden Stereotypen dreht. Er handelt hauptsächlich von Anna, die nach dem Verlust ihrer Eltern nur Pornofilme als Option sieht, ihrem tristen, armutsgeprägten Leben zu entkommen. Die glaubt, wenn sie nicht nur auftritt, sondern selbst produziert, behält sie die Kontrolle. Doch dabei unterschätzt sie die psychischen Auswirkungen des brutalen Branchenalltags und gerät unmerklich in eine Abwärtsspirale.

Doch derweil ihr Plan aufzugehen scheint, bleiben die physischen und psychischen Narben lange verborgen. Viel zu spät wird Anna bewusst, wie sehr das zerstörerische Frauenbild der Filme längst ihren Alltag beherrscht. Kann der Ausstieg in ein normales Leben gelingen?

Und dann ist da noch Phillip, der in der Pubertät merkt, dass etwas mit ihm nicht zu stimmen scheint. Der wünscht, schwul zu sein, weil das begreifbar wirkt, doch akzeptieren muss, dass bei ihm die Dinge noch einmal ganz anders liegen.“ *

Was macht eine junge Frau aus einem Elternhaus, welches jeden Cent dreimal umdrehen muss, wenn es weg bricht, wenn beide Eltern kurz hintereinander versterben? Die Schule ist noch nicht beendet, das Jugendamt übernimmt… Also ich habe keine Ahnung. 

Diese Anna will nicht nur ihrem bisherigen Leben entrinnen, sie will das relativ schnell und im sich selbst gesetzten Zeitraum entsprechend vermögend.  Wir begleiten sie auf dem Weg in diese selbst gewählte Zukunft. 

Talent hat sie, und damit meine ich ganz sicher nicht die „Talente“ einer Pornodarstellerin, sondern unternehmerische. Strukturiert und planmäßig ist sie Selfmadefrau auf hohem Niveau, die „Talente“ sind „nur“ der Einstig in ein Geschäft, von dem ich nie so viel wissen wollte, wie ich jetzt gelesen habe. 

Sex und Gewalt im Zusammenhang mit Prostitution und Menschenhandel waren manchmal Inhalt dieser oder jener Lektüre, hier nun die selbstbestimmte Tätigkeit als „Sexarbeiterin“, wobei der Begriff spätestens nach dieser Lektüre nicht mehr verwendbar ist. Die detaillierten und immer wieder gleichen Abläufe der Streifen an unterschiedlichen Drehorten verursachen so eine Art gedanklichen Brechreiz. Wie ich das meine? Würde man eine Umfrage starten, in der die Frage „Hast du schon mal einen Porno gesehen?“ oder „Guckst du Pornos?“ hätten die meisten Antworten vermutlich geringen Wahrheitswert. Andererseits ist das Geschäft und die „Vielfalt“ unübersehbar groß, die Summen, mit denen Anna alias Anny Bunny umgeht, deuten dies auch an. Es gibt also genügend Konsumenten…

Nach diesem Buch steht allerdings für mich fest, dass ich keinen Porno mehr sehen kann / sehen könnte, ohne an Anna Schneider zu denken und die Bedingungen, unter denen diese Filme oder Filmchen entstehen. Vorbereitungen, Verletzungen, Schmerzen der Darstellerinnen vor „Augen“ (weil gelesen) sind deutlich beschrieben… Ist damit der Zweck für die Autorin erreicht?

Ich stimme der Autorin zu, die selbst schreibt:  

Anny Bunny ist kein Jugendbuch und ebenso wenig erotische Literatur oder Thriller. Ausführliche Gewalt ist nicht Stilmittel des Romans (trotzdem gibt es vereinzelt Szenen, die sehr sensible Gemüter verstören könnten). Stattdessen tastet er vorsichtig sexuelle Rollenklischees ab, insbesondere in einer Branche, die in ihrer Verrohung längst nichts mehr mit Vergnügen zu tun hat.“ 

Es war kein „schönes“ Lesen. Er war nicht einmal interessant, der Blick hinter die Kulissen. Es ist, reines persönliches Empfinden, zum Glück kein Sachbuch, sondern ein Roman. Dieser bekommt mit dem oben erwähnten Phillip einen Kontrapart, der das Lesen ein wenig erträglicher macht, auch weil in seinem Zusammenhang völlig anders von Sex und Gefühlen erzählt wird. Das dieser Phillip als Fotograf, nein, er arbeitet nicht für Anny Bunny,  ebenso sein sein Kleinunternehmen mit viel Mühe aufbauen muss, zeigt diverse Parallelen.

Empfehlenswert? Ich weiß es nicht. Bereue aber auch nicht, dass Angebot von Nina Casement angenommen zu haben.

Casement, Nina: Casement = Flügelfenster oder Fensterflügel. Ein Fenster zu vielen unterschiedlichen Geschichten. Keine Fotos, keine Lesungen. Nur ein paar Angaben über ihre Interessen auf der eigenen Webseite mit angeschlossenem Blog. Schaut hier weiter…


* Casement, Nina, Mail an Litterae-Artesque vom 11.03.2023 / Kursiv: Auszug aus Klappentext

© Bücherjunge

2 Kommentare:

  1. Die Anfrage hätte ich jedenfalls verneint. Aber wir sind ja vielseitig unterwegs...

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    1. Das hätte mich auch nicht gewundert ;)

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