Montag, 24. Oktober 2022

Strunk, Heinz: Ein Sommer in Niendorf

Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort – im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen – gerät er aber bald in die Fänge eines trotz seiner penetranten Banalität dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher, der Mann ist außerdem Besitzer des örtlichen Spirituosengeschäfts. Aus Befremden und Belästigtsein wird nach und nach Zufallsgemeinschaft und irgendwann Notwendigkeit. Als Dritte stößt die Freundin des Schnapshändlers hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau – eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer… (Klappentext)








Im August stellte ich hier im Blog die Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises vor, nun ist bereits der Preisträger bekannt gegeben worden. "Ein Sommer in Niendorf" hat es allerdings nicht auf die Shortlist geschafft, doch gelesen habe ich es trotzdem. Rezensionen zu seinen anderen Büchern hatten mich schon vorgewarnt: Strunk ist derb. Überraschen sollte es mich daher nicht, dass er da auch diesmal keine Ausnahme gemacht hat. Wie ich letztlich mit dem Roman zurecht kam, könnt Ihr gerne hier nachlesen:


























PERSIFLAGE...


Niendorf Ostsee (Quelle: Pixabay)

Protagonist des Romans ist der 51jährige Georg Roth, der sich ein Sabbatical von drei Monaten genehmigt, bevor er seine neue Arbeiststelle antritt. Er hat sich bewusst für Niendorf entschieden, um dort in Ruhe an einem Buch zu arbeiten, das er schon lange schreiben wollte. Eine besondere Familiengeschichte, in der er rücksichtslos mit seinen Vorfahren abrechnen will. Im Gepäck hat er über vierzig Tonbandaufnahmen seines mittlerweile verstorbenen Vaters.

Roth hat sich ein Appartment gemietet, der Ostsee-Strand ist nahe, die Idee von disziplinierter Arbeit und Entspannung zugleich könnte aufgehen. Wenn er denn der Typ wäre, der sich gerne entspannt. Durch Fleiß und Disziplin war er bisher in seinem Beruf erfolgreich, und es fällt ihm daher schwer, diese Attribute einfach so abzulegen. Allerdings geht es mit dem Schreiben nicht so recht voran, es will zunächst nichts Überzeugendes gelingen.

Genervt ist Roth von dem Verwalter der Appartments in seinem Haus, der ihn immer wieder kontaktiert und damit häufig genug um seine Konzentration bringt. Der schwergewichtige Markus Breda ist zudem nicht nur der Appartment-Verwalter, sondern zugleich auch Strandkorbvermieter und Spirituosenladeninhaber. Und gleichzeitg heimlich sein eigener und bester Kunde. Und freigiebig obendrein. Da etwas Entspannung nicht schaden kann, lässt sich Roth imner wieder auf Treffen mit dem Verwalter ein und damit auf die gemeinsamen Besäufnisse. Das männliche Elend nimmt seinen Lauf...


„Er tritt in etwas und ist sich sicher, dass es Aas war, obwohl er noch nie in Aas getreten ist. Er stolpert, fängt sich mit einer Hand ab, greift in etwas Weiches, Feuchtes; die Hand rutscht ab, und er schlägt mit voller Wucht aufs Gesicht.“


'Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.' - So steht es ebenfalls im Klappentext. Tatsächlich musste ich aber eher an Guildo Horn seinerzeit beim Eurovision Song Contest ('Guiildo hat euch lieb') denken. Allenfalls kann Strunks eigenwillige "Neuinterpretation" als Persiflage von Thomas Manns Novelle (die Tragödie einer Entwürdigung) herhalten. Um eine Entwürdigung handelt es sich bei dem midlifecrisisgebeutelten "Helden" in Niendorf unbestritten auch, aber literarisch hinkt der Vergleich definitiv gewaltig.

Ein Unsympath ist dieser Roth, ein zynischer Misanthrop, der gedanklich kein gutes Haar an irgendjemandem lässt und an allen Begegnungen nur Widerwärtiges herausstreicht. Möchtegern-geil und pseudopotent säuft er sich durch die Tage und hält mit seiner scharfzüngigen Verachtung gegenüber jedermann (und jederfrau) nicht hinterm Berg. Der Schreibstil ist oft derbzotig, und ein gewisses Vergnügen an der Schilderung ekeliger Szenen muss man Heinz Strunk wohl auch attestieren.

Dieser Roman ist auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet (immerhin aber nicht auf der Shortlist). Manchmal staune ich nur.


© Parden



























  • Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Buchverlag; 7. Edition (14. Juni 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 240 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3498002929
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3498002923






Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Hamburg geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er elf weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm-Raabe-Preis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert. (Quelle: Rowohlt Buchverlag)


1 Kommentar:

  1. Das hat Frau dann von langen abzuarbeitenden Bücherlisten… ;) - Grüße vom Bücherjungen, der gerade wegen „Tropfgeräuschen“ nicht schlafen kann.

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