Mittwoch, 10. Februar 2021

Bergel, Hans: Von Palmen, Wüsten und Basaren

Reisenotizen aus Israel und diese beinhalten natürlich noch viel mehr, als nur Palmwedel, Sand und Felsen, Ramsch und Menschengedränge.

Hans Bergels (*1925 in Rosenau - Siebenbürgen / Burzenland / Rumänien) Roman Wenn die Adler kommen fiel mir auf einer der wenigen Buchmessen des Jahres 2021 in die Hände, am Stand der Edition Noack & Block. Auf der Suche nach weiteren Büchern dies fünfundneunzigjährigen Autoren stieß ich im selben Verlag auf seine Reisenotizen aus Israel. Ein Thema, was mich seit einigen Jahren immer wieder interessiert.

Die Liste der Veröffentlichungen des Autors ist lang wie sein Leben, reich an Begegnungen und an nicht nur literarischen Themen, dies zeigt auch der schmale Band einer Reise im Jahr 2006. Nach wenigen Seiten ahnt der (noch) unkundige Leser, dass er es hier mit einer Breitseite von Informationen zu tun bekommt, die nachzuvollziehen breite „Recherche“ erfordert.

Und doch, da ist Bekanntes, wenn Bergel gleich einen Abstecher ins Jerusalemer Museum wünscht, um einen Blick auf die Schriftrollen aus Qumran zu werfen, er ist beeindruckt von der „Präzision der Kalligraphie“ der Essener. Deren Zusammenleben bezeichnet Bergel als eine Art „vorkommunistisches Gemeinschaftsmodell“, welches allerdings nicht „auf die Massenerweiterung ihrer Lebensformel“ drängte, welche vor der Geschichte immer zum Scheitern verurteilt wäre. So wird man gleich zu Beginn verblüfft, Essener und Kommunismus, Gedanken eines Autors, der im rumänischen Siebenbürgen in der Nachkriegszeit vermehrt verhaftet, verhört und eingekerkert wurde.



Landschaftsbeschreibungen des Autors lassen den Leser förmlich an den Zeilen kleben, da erscheint es unvermeidlich, dass er im Tycho-Haus in Jerusalem verweilt: Anna Tycho (1894 – 1980) sei die bedeutendste Landschaftsmalerin Israels, Landschaften, die Bergel beschreibt: 

„Israels Landschaften geben sich im wörtlichen Sinn schon von der Landesnatur her als unverwechselbare Sphäre zu erkennen. Die sandgelben Bergwüsten und Wadilandschaften, die Steinhöhen und Gerölltäler... sind Teil eines der größten Wüstengebiete der Erde.“ (Seite 10)

Wer einmal quer durch Israel gefahren ist und dabei den Negev gesehen hat, versteht die Faszination beim Anblick dieser Landschaften, bei der „die Fülle an historischen und mythischen Stätten“ hinzukommt.

Dem Rezensenten bleibt vorerst nur der virtuelle Gang zu den Werken der Malerin, deren Werke der Tagebuchschreiber neben anderen besonders herausstellt. 

Das eine solche Reise auch eine Lesereise ist, sind die kurzen Fragmente angedeuteter Gespräche oft mit philosophischen Bemerkungen versehen, die dem schon erwähnten unkundigen Leser verblüffen, ihm zudenken aufgeben oder auch ratlos zurücklassen.

Jerusalem ist wohl für jeden Besucher herausragend. Im Jahr 2006 beschreibt Bergel die Stadt, wie ich sie drei Jahre später vorfand so:

„Die lebendige Urbanität der gesamten Stadtanlage gründet auch im Berg-und Tal-Rhythmus der Steinlandschaften, in denen das alte Zion, 700 bis 850 Meter ü.M. liegt. Hinzu kommt das Solitäre der Baukörper – Hotels, Wohnblöcke, Bürohäuser. Alles das hat Individualität, die jedoch niemals aus der Übereinkunft zur Einheit ausschert, nicht zuletzt dank des verwendeten Jerusalemsteins. Das überall aus Höfen, Treppengängen, Gärten Terrassen und Dachgärten wuchernde Grün bringt eine Gelöstheit in den Steintürmungen, die der Stadt außer an den drei, vier zentralen Verkehrsknotenpunkten die Note des Privaten verleihen.“ (Seite 19)

Antisemitismus in Israel? Höchstwahrscheinlich, doch. Zwangsläufig, denkt man an den jahrzehntelangen Konflikt mit der muslimischen Welt. Aber Antisemitismus durch Zuwanderer? Bergel benennt hier die zugewanderten Russen, die gemeinsam mit zugewanderten Juden aus Russland ihr europäisches Kulturverständnis nicht aufgeben wollen: Hakenkreuze an Synagogen, Angriffe auf Orthodoxe... Der Autor mit dem geschärften Blick für kulturelle Eigenheiten und Unterschiede spricht hier selten zur Sprache kommende Dinge an. Wobei, 2009 hörten wir vom Einfluss zugewanderter, insbesondere russischer Neubewohner auf Stadtparlamente und die Knesseth... 

Überzeugt die Beschreibung von Landschaft und Stadt, stutzt der jüngere Leser, wenn Bergel die Menschen beschreibt. Da ist von den „durch Figur und Gesichtsschnitt auffallenden (sportlichen) jüdischen Mädchengestalten“ die Rede und dann die Beschreibungen auf den Märkten in der uralten Stadt: Die „Männer, deren Händlervisagen eigener Theorien endemischer Physiognomik bedürfen“, „dicht an dicht doppelärschig dicke Araberinnen in knöchellangen Kitteln, die fetten Gesichter von Tüchern umhüllt, ausgedörrte Beduinenminen,... blassgesichtige Franziskanerinnen und... vierschrötige afrikanische Kopten... Dazwischen Bluejeansteenager aller Rassen, Völker, Religionen, Sprachen und Staturen... Da ist die junge Jüdin, deren gertenschlankes Schreiten an Wüstentiere erinnert und die glutäugigen Moslems des breitgesichtigen palästinensischen Schlages...“

Die engen Gassen mit den Regalen voller Nippes, Ramsch, Gewürzen neben hochwertigen Schmuck und Lederwaren, die kenn ich, den Schmelztiegel der Menschen aus aller Welt auch, den Versuch des „über den Tisch ziehens“ widerstehend ebenso; diese „Bilder“ der Menschen in diesem Gewühl sind mir anders in Erinnerung. Klar, der Alte hat schon recht, aber die Ausdrucksweise entspricht nicht so sehr heutigem Gebrauch. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt, wie es ihm aus der Feder kommt. So erzählt er auch von den Menschen der verschiedenen Volksgruppen im Roman Wenn die Adler kommen. 

Seine Beweggründe, seine Überzeugungen, über die zu lesen zum Verständnis seiner Romane beiträgt, finden sich in diesem Reisetagebuch ebenso; wird er auf sein Deutschsein, auf die Deutschen angesprochen, erkennt der Leser seine kritische Haltung zur Stellung der Bundesrepublik und der Deutschen. Genau darauf wird zu anderer Zeit und in einem anderen Post noch einmal zurückzukommen sein.

Das Buch. Viele Dinge, die vielen Lesern kein Begriff sein werden, die umfassende kulturelle Bildung des Autors, sei es Literatur oder Malerei lässt vieles anklingen, was zum nachfassen, neudeutsch googeln, anregt. Der schmale Band ist trotzdem informativ, macht vielleicht neugierig auf das Land und die Leute, und daher nicht nur für die, die so schon eine gewisse Israel-Affinität besitzen. Sparsam bebildert mit Fotos, die Blitzlichter darstellen, Schnappschüsse, passend zu den kurzen Passagen der Reiseabschnitte.

Kein Buch, welches zur Vorbereitung einer Palästinareise zwingend zu empfehlen wäre, gleichwohl eines, dass den schon in die Atmosphäre eingetauchten Leser ansprach und ein klein wenig beitrug, den Siebenbürgener Sachsen besser zu verstehen, zumal der Rezensent erst begonnen hat, Bergelsche Werke zu rezipieren. 

Daher dürfte diese Rezension eine eher persönliche und keinesfalls eine umfassende, breit gültige Buchbesprechung sein.



An die Edition Noack & Block einen großen Dank für das Rezensionsexemplar.

© Bücherjunge



2 Kommentare:

  1. Eine intensive Besprechung eines kurzen Büchleins. Keine Lektüre für 'mal eben so', will mir scheinen. Viel Vergnügen noch mit weiteren Werken des Autors!

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