
Was ist noch übrig von der Roten Armee Fraktion? Der kommunistischen, antiimperialistischen deutschen Stadtguerilla?
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Die Geschichte, die Patrizia Schlosser erzählt, handelt von zweierlei: Da ist zum einen eine Serie von Raubüberfällen, die von Daniela Klette, Ernst Volker Staub und Burkhard Garweg verübt wurden sein sollen, DNA-Spuren weisen auf die drei untergetauchten RAF-Mitglieder hin. Zwölf derartige Verbrechen sollen sie vermutlich hauptsächlich zur Finanzierung ihres verborgenen Lebens begangen haben.
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Quelle |
Die zweite Geschichte behandelt die Vorgänge auf dem Flugfeld Fürstenfeldbruck im Jahre 1972, als 11 israelische Olympiateilnehmer, Geiseln palästinensischer Terroristen, nicht zuletzt wegen des dilettantischen Polizeieinsatzes ums Leben kamen. In vielen Büchern, Spiel- und Dokumentarfilmen wurde davon berichtet, doch noch nie aus der Sicht der bayerischen Bereitschaftspolizisten, die auf dem Flugfeld die Geiseln befreien sollten. Der Vater der Autorin des vorliegenden Buches gehörte zu diesen und erzählt seiner Tochter seine Geschichte.
Beide recherchieren und suchen nach Spuren der oben genannten linksextremen Terroristen, es geht nicht vordringlich darum, diese zu finden. Vielmehr suchen sie nach den Gründen eines solchen Lebens im Untergrund, ergründen Ideologie, Unterstützung, treffen Anwälte, Ermittler und andere ehemalige RAF-Angehörige. Sie treffen auf Ablehnung, auf Angst, denn gegenüber dem „Staat“, den „Bullen“ und der „Journaille“ wird geschwiegen. Trotzdem erhalten sie, zwanzig Jahre nach dem „Rückzug“ der RAF, „Einblick in eine verschwiegene Szene“. (Buchrücken)
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Schlosser bemerkt im Vorwort, dass sich die Recherche nach dem Podcast „gewissermaßen verselbstständigt“ hat. Sie sammelte immer neues Material und so ist dieses Buch selbstverständlich umfangreicher und informativer als das Podcast. Der eigentliche Auslöser sollen aber die Zuschriften gewesen sein, die die Auseinandersetzung von Vater und Tochter, deren Konflikt behandelten. Sicher dürfte das Hören und das Lesen zu Fragen an Bekannte und Verwandte führen, die vor allem im Westen der Republik Erinnerungen an die RAF-Zeit hatten. Die Autorin Patrizia Schlosser meint dann auch, dass es Auslöser für die eigene Beschäftigung mit der jeweiligen Familiengeschichte sein könnte. Oder mit der eigenen wie bei Bloggermitstreiter Rudolf.
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Leserinnen und Leser werden, das Interesse an diesem Teil der deutschen Geschichte vorausgesetzt, unterschiedliche Schwerpunkte für sich erkennen. Da ist einerseits das so meines Wissens noch nicht beschriebene Desaster des Befreiungsversuches der israelischen Olympiateilnehmer. Hier erzählt einer, der eben keine Bücher geschrieben, Dokumentationen gedreht oder an Talkshows teilnahm, hier erzählt einer, der als Bereitschaftspolizist die Ratlosigkeit diverser Vorgesetzter und Politiker (unter diesen Franz Joseph Strauß) am Tower in Fürstenfeldbruck selber gesehen hat. Die Schießerei, die Handgranaten, die toten Geiseln und Geiselnehmer, dass alles hat sich in das Gedächtnis des rund Siebzigjährigen eingebrannt. Aus diesem Blickwinkel wird einem die Notwendigkeit der Gründung einer Spezialeinheit, die solchen Attentaten begegnen kann, plastisch vor Augen geführt.


Insofern ergeben sich manche Parallelen bei unserer Betrachtung heutiger Zeit, Politik und jüngst zurückliegender Geschichte.
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Der Podcast ist lebendig, lebt von den Dialogen und szenisch passend aufgebaut, die einzelnen Kapitel mit musikalischen Mitteln getrennt. Beim Lesen des Buches, welches umfangreicher und detailreicher, lässt es sich besser zurückblättern, manche Fußnote ermöglicht die Recherche und das Verzeichnis zu nützlichen Büchern und Filmen rundet das Buch ab.
Im folgenden Video erklären Vater und Tochter den Gang ihrer "Ermittlungen".
- DNB / Hoffmann & Campe / Hamburg 1.2019 / ISBN: 978-3-455-00649-0 / 254 S.
- Im Untergrund / Podcast / audible
- Webseite von Patrizia Schlosser
© Bücherjunge (20.02.24)
Eine tolle Rezension!! Danke Uwe!
AntwortenLöschenDas Thema ist für viele damalige Zeitgenossen immer noch präsent. Heute fällt es schwer, später geborenen die dichte und aufgeheizte Atmosphäre in Deutschland während des "Deutschen Herbst" zu beschreiben. Wer dabei war, ist immer nich erschüttert. Als Beteiligter (wenn auch nur als kleiner Polizist in Dortmund) war man täglich darauf gefasst, mit der RAF in ein Feuergefecht zu geraten. Mein Kollege Hans Wilhelm Hansen (damals ca. 26 Jahre alt) wurde dabei in einem Dortmunder Wäldchen von RAF-Terroristen erschossen, sein Kollege schwer verletzt. Das erschüttert mich noch heute!
Rudolf Fröhlich
Genau daran musste ich ja denken. Hast du auch den Podcast entdeckt? Möchtest du das Buch lesen?
LöschenPünktlich zum 50. Jahrestag des Attentats auf israelische Sportler während der Olympischen Sommerspiele lädt auf Sky, und damit leider nur im Bezahlfernsehen, die Dokumentation "1972 - Münchens schwarzer September". Das Besondere hier, deshalb der Kommentar, in der Doku treffen Guido Schlosser und seine Tochter Patrizia die Witwe des Sportlers Spitzer, die so erstmals aus dem Mund eines Beteiligten hört, was sich in Fürstenfeldbruck zutrug. G. Schlosser muss sich von Israelis den Vorwurf von Befehlsverweigerung gefallen lassen, während Israelis auch mit dem Leben für ihr Land einstehen würden. Frau Spitzer allerdings versteht den damals jungen Bereitschaftspolizisten ohne Spezialeinsatzerfahrung.
AntwortenLöschenDer Bücherjunge
Gestern, am 28. Februar 2024, melden die Nachrichten die Festnahme von Daniela Klette in Berlin. Die Zielfahnder kamen durch Hinweise aus der Bevölkerung auf ihre Spur. Nun sitzt sie wegen der Raubüberfälle erst einmal in U-Haft. Sicher dauert es, bis wir, eventuell, Hinweise zu den Verbrechen der 3. Generation der RAF erhalten.
AntwortenLöschenHeute begann der Prozess gegen die in Berlin festgenommene ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette. Die beiden anderen sind noch flüchtig.
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