SCHMUTZIGE GEHEIMNISSE...
Schockiert stellen sie fest, dass sie selbst zunächst als Verdächtige gelten, doch schließlich stellt sich der Eheman der Toten und gesteht den brutalen Mord. Eduardo und Paolo erscheint die Lösung des Falls recht oberflächlich und aufgrund bestimmter Umstände auch kaum vorstellbar, und so beschließen sie, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Dabei stoßen sie rasch auf einen umtriebigen alten Mann, der sich regelmäßig aus dem Altersheim schleicht, um ebenfalls in Erfahrung zu bringen, wer oder was hinter dem Mord an der jungen Frau steckt. Auch er scheint die Schuld des Ehemanns anzuzweifeln. Ubiratan hat schon einiges mitgemacht in seinem Leben - Folter beispielsweise, aufgrund seiner kommunistischen Gesinnung. Er wird nun eher unfreiwillig zu einem Verbündeten der Jungen - und versucht, sie vor Schlimmerem zu bewahren.
Was anfangs ein wenig wie ein aufregendes Detektivspiel anmutet, wird nur zu bald schon zu bitterem Ernst. Die drei stochern zunächst recht planlos im riesigen Heuhaufen der Möglichkeiten herum, doch bald schon wird deutlich: dies ist kein Heuhaufen, sondern ein Wespennest! Hier versucht so mancher, seine schmutzigen Geheimnisse im Dunkeln zu belassen - koste es, was es wolle! Dabei verwebt der Autor Edney Silvestre den Fall geschickt mit den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der frühen 60er Jahre in Brasilien - am Vorabend der nächsten Militärdiktatur. Desillusionierend! Letzthin bin ich auf den altertümlichen Begriff "Sittengemälde" gestoßen, und genau das erwaret den Leser auch hier - wobei hier eher alles ins Unsittliche abdriftet, ins Brutale, Unmenschliche, Hoffnungslose. Wie ein Blick in den verwahrlosten und müllverdreckten Hinterhof eines heruntergekommenen und halbverfallenen Gebäudes, in dem die Ratten ebenso zu Hause sind wie die abgestumpften Bewohner.
Die beiden Jungen agieren zunächst naiv und können die z.T. komplexen Zusammenhänge auch gar nicht erfassen. Hier braucht es den Alten, der trotz Folter und Repressalien sein oppositionelles Denken niemals aufgegeben hat. Ubiratan erkennt die Muster von Geld und Macht, von Erniedrigung und Unterdrückung, von Herrschaftsdünkel und der Ohnmacht der Armen (insbesondere der Frauen, insbesondere der schwarzen Frauen, insbesondere derjenigen, die niemanden haben, der sich für sie einsetzt, selbst als Kind nicht), von der Fälschung von Wahrheiten, vom Beugen des Gesetzes. Doch selbst Ubiratan reagiert schockiert, als er hinter das Ausmaß der Verflechtungen blickt, die Vergeblichkeit aller Anstrengungen erkennt.
Ein düsterer Krimi ist das, melancholisch oft - mit dem Gegengewicht einer Freundschaft, die sich über alle Hindernisse bewährt, bis...
Ein gesellschaftskritischer Roman ist das, mit Hieben gegen die herrschende Klasse sowie gegen die katholische Kirche, mit einem wohlwollenden, wenn auch traurigen Blick auf die Entrechteten, mit einem gnadenlosen und unbarmherzigen Spot auf die diktatorisch und absolutistisch anmutenden Herrschaftsstrukturen - teilweise kaum erträglich. Der Fortschrittsglaube auf der einen Seite (Yuri Gagarin!) und die alten, verknöcherten Seilschaften auf der anderen. Ein Land im Spagat.
Und dies ist auch eine Comig of Age Geschichte um zwei jugendliche Freunde, deren Kindheitsblase so unerwartet platzt, und die doch immer an ihrer Freundschaft festhalten. Das einzig Sichere in diesen Tagen im April, als alles sicher Geglaubte plötzlich zum Sumpf der Ungewissheiten wird. Gerade die Geschichte um die beiden Jungen konnte mich zuletzt wirklich berühren.
Schlussendlich ist dies auch ein Roman, der ethisch-moralische Aspekte beleuchtet. Wegsehen und ducken, um nicht in den Fokus derjenigen zu geraten, die ihre Geheimnisse so unbedingt gewahrt wissen wollen? Oder den Mund aufmachen und unbequeme Wahrheiten aussprechen, wohl wissend, dass dies einen hohen Preis nach sich ziehen könnte? Zivilcourage oder Überlebensinstinkt? Und wie nebenher, ganz unbequem, wieder einmal die Frage, wie man selbst sich in einer derartigen Situation verhalten würde.
Eine interessante, ungewöhnliche, düstere Mischung, die den Finger in die Wunden eines Landes legt, über das ich bis dahin nicht viel wusste. Aber eben auch ausreichend Allgemeingültiges, dass der Leser sich nicht selbstgefällig im Sessel zurücklehnen kann, sondern vergleicht und hinterfragt, bestenfalls sich selbst.
Lesenswert!
© Parden
Du kommst lit(t)erarisch zur Zeit ganz schön rum in der Welt.
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