Ein Mann betrachtet einen alten Boxsack, der in seinem Garten an
einem
Zweig des Kakibaums hängt und dessen Leder durch die Witterungseinflüsse
langsam abgebaut wird. Dieses Überbleibsel aus seiner Jugend
ist der Ausgangspunkt für die Geschichte seines Lebens, von der
Highschool bis ins Erwachsenenalter. Als Teenager wurde er von seinem
Ethiklehrer zu Unrecht bestraft, weil er die herumwirbelnden Blätter
vor dem Klassenzimmerfenster beobachtet hatte. Im Boxen findet der
wütende junge Mann ein Ventil und einen Weg, sich der Welt zu stellen.
Jahre später trifft er auf seinen ehemaligen Lehrer, einst das Objekt
seines
schrecklichen Hasses. Wer hätte gedacht, dass sie bei ihrem Wiedersehen
an einer Autobahnraststätte vereint lachen würden?
Beim Boxen ist ein Jab eine abrupt geschlagene Gerade – hier ist es
die Titelgeschichte von Unsu Kims erster Kurzgeschichtensammlung.
Darin begegnet man einer Gruppe Krimineller, deren Einbruch schiefläuft,
sodass sie in dem von ihnen geöffneten Tresorraum eingesperrt
werden. Zum Zeitvertreib denken sie sich BMovieSzenarien aus und
würfeln, wer mit der einzigen Frau in der Gruppe schläft. Es gibt einen
rückfälligen Alkoholiker, der dennoch versucht, ein neues Leben zu
beginnen, und einen missverstandenen Träumer, der ein Spielball der
koreanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Die Protagonisten
sind faszinierend und auf ihre Art Helden, ob nur für einen Tag oder ihr
ganzes Leben lang.
Unsu Kims Geschichten zeigen die Auswirkungen der Zeit auf
Menschen und auf Dinge. Frei von direkter Gesellschaftskritik und
unterschwelligen Botschaften entführen sie in eine Welt von glücklichen
und
unglücklichen Zufällen, die über die Schicksale von gewöhnlichen und
ungewöhnlichen Menschen entscheiden. Unsu Kim hat die unvergleichliche
Fähigkeit, das Leben seiner Helden in einem ungekünstelten, kompakten
und zugleich raffinierten Stil zu schildern – seine Geschichten
gehen unter die Haut. (Klappentext)
- Herausgeber
:
Europa Verlag; 1. Edition (31. März 2022)
- Sprache
:
Deutsch
- Übersetzung : Kyonghae Flügel
- Broschiert
:
206 Seiten
- ISBN-10
:
3958902464
- ISBN-13
:
978-3958902466
Im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks durfte ich dieses Buch mit einer Kurzgeschichtensammlung lesen. Der südkoreanische Autor Un-Su Kim sagte mir bislang noch gar nichts, obschon bereits zwei Thriller von ihm ins Deutsche übersetzt wurden. Literarisch bin ich nach Südkorea bisher nur mit Frauen gereist: Han Kang, Cho Nam-Joo und Min Jin Lee lieferten mir die weiblichen Einblicke in die asiatische Kultur. Nun also sollte ich Südkorea durch männliche Augen kennenlernen. Ob mir dieser Blickwinkel gefallen hat, könnt Ihr hier nachlesen:
MÄNNERGESCHICHTEN...
Acht Kurzgeschichten des 50jährigen südkoreanischen Autors Un-Su Kim
sind in diesem Band versammelt, wobei “JAB” die titelgebende Story ist.
Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen Männer, deren Leben zumeist von
Erfolglosikeit, Mittelmäßigkeit, Scheitern oder Sinnlosigkeit geprägt
ist. Kein strahlendes Bild Südkoreas also, sondern Existenzen abseits
des angestrebten Erfolgs. Das Leben in Korea ist nicht immer einfach.
Leistungsdruck und eine hohe Arbeitsmoral sind allgegenwärtig. Was, wenn
man da nicht standhalten kann, seine Arbeit verliert, die Ehe
zerbricht, man seinen eigentlichen Lebenswünschen entfremdet wird, dem
Alkohol verfällt, sich plötzlich in einer Welt von Hoffnunglosigkeit,
Gewalt und Gleichgültigkeit wiederfindet?
“Kim dachte an die tote Erde, in die er sich manövriert
hatte. Was hat er mit seinen 40 Jahren erreicht? Ihm fiel nichts
Nennenswertes ein. Er hatte es immer eilig, doch die Zeit zog leer an
ihm vorbei. Er fühlte sich unsäglich allein und einsam.” (S. 170)
Solcherlei Aspekte verfolgt Un-Su Kim in seinen Geschichten, die
Möglichkeiten des Invidiuums angesichts des Hamsterrads rigider
gesellschaftlicher Erwartungen und Zuschreibungen beleuchtend. Der
Protagonist der Titelstory beispielsweise entscheidet sich bewusst gegen
den Erfolgszwang und Leistungsdruck und findet so eine Nische, in der
er letztlich zufrieden leben kann. Damit ist er aber auch schon der
einzige Hauptcharakter, der einen für sich positiven Weg gefunden hat.
Alle anderen kämpfen gegen das Gefühl von Ausweglosigkeit und
Sinnlosigkeit an – zumeist vergeblich. Moralischer Verfall, Abstumpfung,
Selbstmitleid, Alkoholismus, Suizid – hier wird kein dunkles Thema
ausgespart. Das Verhältnis von Nordkorea und Südkorea wird zumindest in
einer Erzählung angerissen, die allerdings skurril-kafkaesk daherkommt
und somit m.E. allenfalls eine Botschaft zwischen den Zeilen vermittelt.
Dem Autor gelingt es auf jeweils wenigen Seiten, das Erleben und
Empfinden des jeweiligen Charakters anschaulich und bildhaft
darzustellen, fein beobachtete Momentaufnahmen im Leben von Menschen,
denen der Kompass abhanden gekommen ist. Der Schreibstil ist
gekennzeichnet durch seine ungekünstelte Unmittelbarkeit, die durchaus
auch ins Grobe abgleiten kann, dann aber wieder mit einer
düster-morbiden Poesie aufwartet. Dabei schildert der Autor die
Gegebenheiten lediglich ohne zu werten oder zu moralisieren. Sieben der
Erzählungen werden aus der Ich-Perspektive des jeweiligen
Hauptcharakters geschildert, eine durch einen personaler Erzähler.
"Aber nichts konnte mich davon abhalten zu trinken. Mein
Leben ging schneller in die Brüche, als die Promille in meinen Adern
stiegen” (S.198)
Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und ein oftmals
exzessiver Alkohlkonsum ziehen sich ebenso wie ein negatives Frauenbild
durch die meisten der Kurzgeschichten. Wenn der Verlag schreibt, dass
dieser Band “frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen
Botschaften” sei, so wage ich das ehrlich gesagt zu bezweifeln und
wüsste gern, wie der Verfasser zu dieser Aussage kommt. Das aber nur mal
nebenher.
Wie immer bei Kurzgeschichten-Sammlungen hat mich auch diesmal nicht
jede Erzählung gleichermaßen angesprochen. Manche ließen mich etwas
irritiert zurück, andere stießen mich ab, einige fand ich auf morbide
Art auch faszinierend. Doch das Gesellschaftsbild, das der Autor hier
zeichnet, so düster es auch sein mag, halte ich für einen wichtigen
Fingerzeig. Dabei betrifft einiges sicherlich das schnelllebige und
erfolgsorientierte Südkorea, anderes jedoch ist durchaus universal zu
betrachten. In jedem Fall bringen die Geschichten zum Nachdenken.
Keine Erzählungen, die man mal eben so runterliest. Wohldosiert
allerdings sind sie durchaus empfehlenswert. Auf weitere Werke von Un-Su
Kim bin ich jetzt jedenfalls neugierig geworden. Ob seine Thriller wohl
ähnlich düster gehalten sind?
© Parden
Un-su Kim, geb. 1972 in Busan, Korea, begann seine
Karriere als Schriftsteller im Jahr 2002. Er hat in
seiner Heimat mehrere Literaturpreise gewonnen,
darunter den Yi Sang Literature Award und den
renommierten MumhakdongnePreis. Mit seinem
ersten Thriller Die Plotter ist ihm auf Anhieb ein
Bestseller gelungen, der weltweit für Furore sorgte
und in über 20 Ländern veröffentlicht wurde. Unsu Kim besticht durch seinen einzigartigen Stil
und seine bemerkenswerte Beobachtungsgabe. Die
internationale Krimiszene feiert ihn seit Jahren als
»koreanischen Henning Mankell«.
Stutzig wurde ich beim Namen des Autors, aha, Südkorea. Aber du weißt, Kurzgeschichten sind nicht mein Genre.
AntwortenLöschenDer Autor hat ja auch Thriller geschrieben... ;)
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