Donnerstag, 7. April 2022

Brown, Natasha: Zusammenkunft

Nach oben kommen. Das war immer der Plan. Seit Jahrhunderten. Dafür hat sie, dafür haben alle vor ihr gekämpft. Und als Schwarze Frau stand ihr letztlich nur ein Weg offen: Völlige Verausgabung, Oxbridge, Londoner Hochfinanz, ein Freund mit Geld so alt und dreckig wie das Empire. Doch als sie endlich eingeladen wird, Mitglied einer Familie, Angehörige einer Klasse, Teil eines Landes zu werden, muss sie am eigenen Körper erfahren, dass die erlittenen Ungerechtigkeiten tiefere Wurzeln geschlagen haben. Wie kann sie sich retten? Wie mit dem Erbe der Geschichte leben? (Klappentext)












  • Herausgeber ‏ : Suhrkamp Verlag; 1. Edition (14. Februar 2022)
  • Sprache ‏ : Deutsch
  • Übersetzung  : Jackie Thomae 
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 113 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : 3518430467
  • ISBN-13 ‏ : 978-3518430460
  • Originaltitel ‏ : Assembly





Diesen fordernden Roman habe ich im Rahmen einer Leserunde bei "Was liest du?" gelesen. Die Diskussionen und den Austausch hierzu habe ich als sehr fruchtbar erlebt, hilfreich beim Zugang zu dem Debüt der britischen Autorin. Keine einfache Lektüre - und dementsprechend auch keine einfache Rezension. Dennoch könnt Ihr sie jetzt hier lesen:


















WICHTIGE DENKANSTÖSSE IN EXPERIMENTELLER DARSTELLUNG...


Die bis zum Schluss namenlose Ich-Erzählerin, eine junge schwarze Frau, hat es zu einem gut bezahlten Job in einer Bank, einer Eigentumswohnung in einem kernsanierten Townhouse und einem weißen Freund aus einer konservativen und wohlhabenden Familie gebracht. Dennoch gehört sie nie wirklich dazu. Die titelgebende "Zusammenkunft", eine Familienfeier auf dem Landsitz der Eltern ihres Freundes, zeigt dies zuletzt sehr deutlich.

Hart gearbeitet hat die Protagonistin, um ihre Karriere bei der Bank erfolgreich zu gestalten. Sie muss sich nicht nur als Frau gegenüber einer Männderdomäne behaupten, sondern auch als Schwarze in einer nach wie vor von Weißen geprägten Welt. Dabei erfährt sie ständig - zumindest subtil - Ausgrenzungen, Anfeindungen oder Demütigungen, obwohl sie es geschafft hat, die Grenzen der ihr zugedachten Lebensumstände zu überwinden.

Definiert wird die Protagonistin, über die nicht viele Details verraten werden außer weiblich, schwarz, erfolgreich, im Grunde über Einschränkungen durch andere. Der Chef, der sie wie eine Marionette dirigiert, wie es ihm beliebt. Die Kollegen, die ihr deutlich machen, dass sie durch die Aufmerksamkeit des Chefs als (ungerechtfertigt) bevorzugt gilt und dass ihr Erfolg nicht mit ihrem Talent sondern dem Wunsch der Vorgesetzten nach Diversität zusammenhängt. Die Mutter ihres Freundes, die ihr zu verstehen gibt, dass sie allenfalls ein Intermezzo darstellt, keinesfalls eine auf Zukunft ausgerichtete Partnerin für ihren Sohn. Und nun auch noch eine ernsthafte Erkrankung, der die Protagonistin nichts entgegenzusetzen beabsichtigt.

Die Ich-Erzählerin arbeitet hart, nimmt alles klaglos hin, beobachtet genau, reagiert jedoch nicht aktiv auf negative Aktionen durch andere. Die auf wenige Szenen konzentrierte, reduzierte Schreibweise ist gewöhnungsbedürftig, bietet flashlightmäßige Einblicke in das Leben und die Umstände der Ich-Erzählerin. Ich empfand die Darstellung als sehr nüchtern ("es ist eben so") und wenig emotional. Die szenische Erzählweise pointiert allerdings die "Anklagepunkte" der Autorin. "Und wenn es vielleicht auch nicht immer gelingt, Empathie zu erzeugen, so schafft das Schreiben und das Lesen doch eine Gelegenheit, Verständnis zu erzeugen und Standpunkte zu teilen." Das äußerte die Autorin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Und ja, so in etwa erging es mir hier. Die Aussagen sind klar, ein Mitfühlen lässt die Ich-Erzählerin kaum zu. Höchstens ein Wütendsein an ihrer statt...

Der Roman endet nahezu willkürlich. Er lässt mich ratlos und unbehaglich zurück, weil die Dinge nicht gelöst sind - nicht der berufliche Werdegang, nicht der Umgang mit der Krankheit der Protagonistin, nicht die Zukunft der Beziehung mit ihrem Freund.

Eine experimentelle Art der Auseinandersetzung mit wichtigen Themen wie Rassismus, Klassismus, Sexismus oder auch Kolonialismus hat Natsha Brown hier gewählt. Eine Protagonistin, die dem Leser gegenüber sehr auf Distanz bleibt, die aber auch sehr deutlich macht, wie sehr nach wie vor althergebrachte Denkmuster dominieren und sie damit klein halten. Ein Buch, das speziell die verkrusteten Strukturen Großbritanniens anprangert, das aber auch weit darüber hinaus und viel allgemeingültiger auf gesellschaftliche Missstände hinweist.

Ich persönlich finde all diese Aussagen wichtig und richtig. Ich hätte mir nur eine zugänglichere Protagonistin gewünscht und einen weniger zerfaserten Roman.


© Parden




















Natasha Brown arbeitete nach ihrem Mathematikstudium an der Universität Cambridge für zehn Jahre im Londoner Finanzsektor. 2019 gewann sie den London Writers Award und konzentriert sich fortan auf das Schreiben. Zusammenkunft gilt in England als das erfolgreichste literarische Debüt 2021. Zum Erscheinen zierte Natasha Brown das Cover des Vogue Magazine, hymnische Besprechungen folgten in allen namhaften Zeitungen. (Quelle: Suhrkamp Verlag)



1 Kommentar:

  1. Vielleicht ist gerade das Unwohlsein ein Gefühl, welches den Roman erst wirken lässt. Viele Grüße, Uwe.

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