Mittwoch, 9. Juni 2021

Grünberg, Arnon: Besetzte Gebiete

Wegen einer fehlgelaufenen Liebesgeschichte und falschen Anschuldigungen verliert Otto Kadoke seine Approbation als Psychiater in Amsterdam. Vor dem Nichts stehend, beschließt er, die Einladung seiner Verwandten Anat, einer fanatischen Zionistin, ins Westjordanland anzunehmen. Als der überzeugte Atheist und Anti-Zionist dort ankommt, muss er sich der Etikette halber zunächst als Anats Verlobter ausgeben, verliebt sich aber schließlich ernsthaft in sie. Sie willigt jedoch nur ein, ihn zu heiraten, wenn die beiden eine gottgefällige Ehe – das heißt mit vielen Kindern – führen, um das Heilige Land zu bevölkern und den Holocaust wettzumachen. Auf Kadoke warten viele Prüfungen. Ein Roman mit fast wahnwitzigen Wendungen und urkomischen Szenen, der zeigt, wie sehr die Vergangenheit unser Verhalten bestimmt. Die tragischkomische Liebesgeschichte des Antihelden Kadoke verwebt schonungslose Gesellschaftskritik, historische Analyse und die Untersuchung tiefmenschlicher, existenzieller Fragen. 

 


  • Herausgeber ‏ : Kiepenheuer&Witsch; 2. Edition (15. April 2021)
  • Sprache ‏ : Deutsch
  • Übersetzung : Rainer Kersten  
  • Gebundene Ausgabe ‏ : 432 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 346200106X
  • ISBN-13 ‏ : 978-3462001068
  • Originaltitel ‏ : Bezette gebieden

 

 

 "Der fünfzehnte Roman des niederländischen Bestsellerautors Arnon Grünberg wird von Kritik und Publikum als Höhepunkt seines schon vielfach preisgekrönten Werkes gefeiert (...) Ein Buch, das in den Niederlanden Begeisterungsstürme auslöste und auch in Deutschland seine Wirkung nicht verfehlen wird." - Diese Sätze gehören ebenfalls zum Klappentext und ließen mich Großes erwarten. Gelesen habe ich den neuen Roman Grünbergs im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin. Dort wurde das Buch sehr kontrovers diskutiert - und entsprechend bewertet. Ich gehörte leider nicht zu denen, die das Werk begeistern konnte. Weshalb nicht? Lest selbst:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 WIE IMMER: EINE FRAGE DES GESCHMACKS. MEINER WAR ES NICHT...

 

Westjordanland (Quelle)

Zum Inhalt verweise ich diesmal auf den doch recht ausführlichen Klappentext. In Kurzform gebracht: ein jüdischer aber nichtgläubiger Psychiater flieht vor den medialen Verleumdungen in den Niederlanden ins Westjordanland. Dort verliebt-verlobt er sich Hals über Kopf in seine Großgroßgroßcousine Anat und gerät dadurch in eine absurde Situation nach der anderen. 

Die vorgestellten Charaktere wirken vollkommen überzogen, was zu dem satirischen Stil des Romans jedoch auch wieder passt. Gefallen müssen einem die vorgestellten Personen deswegen aber nicht. Weder die militante Zionistin Anat noch ihre durchgeknallte Mutter, der ich gleich mehrere psychiatrische Diagnosen attestieren könnte, sind in der Form vorstellbar, ebenso wenig wie Kadoke selbst.

Dieser stellte sich für mich zunehmend dar wie ein Schoko-Osterhase: eine weltfremde Hohlfigur. Irgendwie hat er nie eine wirkliche Meinung, ein eigenes Interesse, einen inneren Antrieb, jede:r kann auf ihn projizieren was er:sie will, und das lebt er dann - bis das nächste um die Ecke kommt. Alles "passiert" ihm einfach, er hat allenfalls kurz Widerstände dagegen, gibt diese aber auch gleich wieder auf - im Sinne der "Assimilation". 

Beim Lesen drängte sich mir eine Frage auf: Ab wann ist Satire zu drüber? Darauf gibt es vermutlich keine Antwort, allenfalls eine subjektive. Es ist kaum zu übersehen, wohin Arnon Grünberg mit seiner Satire-Keule zielt, nämlich auf alles, was in sein Sichtfeld gerät. Das weite Feld der Psychiatrie ebenso wie das (orthodoxe) Judentum, der Zionismus, der Nahost-Konflikt, die Altenpflege, Probleme zwischen Mann und Frau u.a.m. Jede Menge also.

Für mich jedenfalls zu viel, weil solch ein Rundumschlag sich wenig scharf auf ein womöglich wichtiges Thema konzentrieren kann. Fest steht jedenfalls, dass so manche Äußerung im Buch bezogen auf das Judentum in der Form wohl nur von einem Juden getätigt werden durfte, jeder andere käme da gleich in eine gefährliche Schublade... 

Anfangs fand ich einzelne Passagen noch ganz amüsant, doch zunehmend stellten sich Gefühle wie Fremdschämen bis hin zur Langeweile ein. Eine absurde, abstruse, groteske, überzogene, derbe, peinliche oder unvorstellbare Szene reiht sich hier an die nächste, so dass mich die ständigen "es kommt noch schlimmer" Geschichten immer kälter ließen. Es scheint, als ob Grünberg einfach nichts auslassen wollte – doch bei zu vielen Provokationsversuchen tritt zunehmend Gleichgültigkeit ein. Jedenfalls bei mir.

Für mich war das beileibe kein Pageturner – dieser Roman bremste mich geradezu aus. Oftmals habe ich nur noch widerwillig weitergelesen. Mein Gratmesser von Satire und dem von mir so geliebten schwarzen Humor wurde hier eindeutig zu oft überschritten. Die letzten Seiten habe ich schließlich nur noch über mich ergehen lassen, hatte auch keine Lust mehr, mich über irgendetwas aufzuregen oder zu ärgern, Provokationen hin, Tabubrüche her - egal. 

Grünbergs Schwester lebt selbst in einer der fundamental-zionistischen Siedlungen im Westjordanland. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Art der Annäherung an das nicht unproblematische Thema dem Familienfrieden dienlich ist… Aber das soll mein Problem nicht sein.

Wie immer: eine Frage des Geschmacks. Meiner war es leider nicht…


© Parden

 

 

 

 

 

 

 

Und bei „ 52 beste Bücher“ gibt es ein Interview mit Arnon Grünberg über seinen neuen Roman:
https://www.srf.ch/audio/52-beste-buecher/besetzte-gebiete-von-arnon-gruenberg?id=11983802

 

 

 

 

 

 

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York, Amsterdam und Berlin. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, 2002 erhielt er den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurt Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.

(Quelle: KiWi Verlag)

 

1 Kommentar:

  1. Das Privileg, zum Thema Palästina die besseren Bücher aufzutun, habe anscheinend ich.

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